22.10.2012 (GWUP): Über die echte wie tatsächliche Wirkung von Medikamenten wird gerade in der ,,Alternativmedizin" viel gestritten. Um die Wirksamkeit von Arzneien zu prüfen, werden deshalb bei Untersuchungen Vergleichsgruppen mit Scheinmedikamenten, so genannten Placebos ,behandelt. Wie stark diese auf die Befindlichkeit der Patienten wirken können, schildert der Journalist Thomas Müller in einem Beitrag der ,,Ärzte-Zeitung" aus Anlass eines Neurologenkongresses in Hamburg.
Darin beschreibt er unter anderem den Fall eines Mannes, der nach Einnahme einer Überdosis Antidepressiva mit extrem niedrigem Blutdruck und scheinbaren Anzeichen einer Vergiftung in der Notaufnahme eines Krankenhauses erschien. Später stellte sich heraus, dass der Mann als Teilnehmer einer Medikamentenstudie lediglich Placebos ohne jeden Wirkstoff eingenommen hatte. Allein die Annahme, eine wirksame Arznei zu schlucken, bewirkte bei dem Mittzwanziger die Symptome. Diese Symptome, die sich häufig aufgrund einer Erwartungshaltung entwickeln (beispielsweise nach Lektüre von Beipackzetteln), werden auch Nocebo-Effekt genannt. Dieser kann, so die Experten auf dem Neurologenkongress, bei Patienten, die wegen einer Depression behandelt werden, dazu führen, dass 30-50 Prozent der mit Placebos behandelten Klienten ihre Therapien wegen starker Nebenwirkungen abbrechen. Sind die Patienten generell kritisch gegenüber Psychopharmaka eingestellt, verschlechtert dies ihre Wirkung entsprechend und umgekehrt. Auch bei anderen Beschwerden zeigten sich erstaunlich Effekte: Von Kopfschmerzpatienten, denen man erklärte, sie müssten nach einer speziellen Behandlung mit Kopfschmerzen rechnen, berichtete jeder zweite von Beschwerden. Wurde dies nicht vorher nicht kommuniziert, klagte nur einer von zehn Behandelten über diese Symptome. Vermeintlich teure Tabletten (in Wirklichkeit Scheinmedikamente) wirkten besser als vermeintlich billige (ein bereits bekannter Effekt ). Die Nocebowirkung wiederum kann so stark sein, so der Artikel, dass tatsächlich bereits verabreichte Opiate keine Wirkung mehr haben, wenn man den Patienten suggeriert, die Mittel seien derzeit nicht verfügbar und die Schmerzen müssten noch eine Weile ausgehalten werden.
Ihre Erkenntnisse wollen die Ärzte schnell in den medizinischen Alltag integrieren. Die Medizinerin Ulrike Bingel weist darauf hin, dass das ärztliche Gespräch offenbar maßgeblich die Wirksamkeit von Therapien bestimme. Dies müsse auch honoriert werden.
Für Skeptiker sind die Erkenntnisse der Wissenschaftler von besonderem Interesse. Viele Anbieter aus dem Bereich der ,,Alternativmedizin" verweisen auf spektakuläre Erfolge ihrer Anwendungen, auch wenn, wie bei der Homöopathie, kein physikalisch nachweisbarer Wirkstoff mehr im Medikament vorhanden ist. Für Kritiker sind dies wohlbekannte, rein auf Placebo-Wirkung beruhende Effekte, die die vermeintlichen Heiler völlig zu Unrecht als Erfolge ihrer Methoden verbuchen. Mit den Erkenntnissen aus der Placeboforschung können die Behandlung von Patienten verbessert und ggf. unnötige Medikamentengaben vermieden werden.
Holger von Rybinski
GWUP-Themeneintrag:Ist Homöopathie mehr als Placebo? Die fehlende Beweiskraft einer sogenannten Meta-Analyse.