Oft gehört, gern geglaubt: Der amerikanische Werbefachmann James Vicary hatte in den 1950 ern angeblich die Texte „Drink Coca Cola“ und „Hungry? Eat Popcorn“ in einen Kinofilm einmontiert. Obwohl sie nur für Millisekunden erschienen und nicht bewusst wahrgenommen wurden, steigerte sich den Absatz der entsprechenden Produkte am Kino-Kiosk erheblich.
Soweit die Legende. In nachfolgenden Versuchen konnte das Ergebnis jedoch nie repliziert werden. Später räumte Vicary ein, dass es die Studie nie gegeben hat. Trotzdem sind Wissenschaftler heute gewiss, dass subliminale (unterschweillige) Wahrnehmung tatsächlich existiert. Das Gehirn verarbeitet auch solche Außenreize, die zu schwach sind, um die Schwelle zur bewussten Wahrnehmung zu überschreiten. Mehr als für die Wandersage von der „Cola- und Popcorn-Studie“ interessieren sich Wissenschaftler heute für den Einfluss von subliminalen und anderen unbewussten Wahrnehmungen auf Entscheidungsprozesse. Einer davon ist Prof. John-Dylan Haynes. Psychologe und Neurowissenschaftler ist unter anderem am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig tätig. „Weil subliminale Wahrnehmungen Entscheidungsprozessen beeinflussen, funktionieren gerade komplexe Entscheidungen – nach einer anfänglichen Phase der Informationsaufnahme – am besten, wenn sie ohne bewusste Aufmerksamkeit gefällt werden“, fasst Haynes zusammen.
Ebenso erstaunlich: Manchmal trifft das Gehirn seine Entscheidungen mehrere Sekunden, bevor wir uns dessen bewusst werden. John-Dylan Haynes war einer von elf renommierten Referenten beim diesjährigen Symposium turmdersinne. Die Veranstaltung mit dem Titel „Geistesblitz und Neuronendonner“ fand vom 9. bis 11. Oktober im Germanischen Nationalmuseum (Nürnberg) statt und war erstmals schon einen Monat vor Beginn ausverkauft. „Die über 500 Teilnehme aus ganz Deutschland und die fundierten Publikumsdiskussionen zeigen, dass sich das Symposium endgültig etabliert hat“, resümiert turmdersinne-Geschäftsführer Dr. Rainer Rosenzweig, der die Veranstaltung gemeinsam mit Helmut Fink organisiert hatte.
Bei der Themenwahl haben die Veranstalter ein gutes Gespür bewiesen. Denn Kreativität und Intuition gehören zu den Lieblingsthemen der Forschung, die in den letzten Jahren viele Kreativitäts-Mythen entkräften konnte. Etwa den vom „verrückten Genie“. In Wahrheit sind kreative Menschen durchaus psychisch stabil, mit Ausnahme der Literaten, so Prof. Holm Hadulla vom Center for Advanced Studies an der Uni Köln. In seinem Vortrag entzauberte er auch den Mythos von der inspirierenden Kraft der Rauschmittel: „Die Ideen werden dadurch nicht besser, sie kommen einem im Rausch nur so vor.“ Wenn Kreative dennoch Rauschmittel konsumieren würden, dann meist, um die schöpferische Spannung zu bewältigen. Als Merkmale von kreativen Geistern haben Forscher Neugierde, Motivation, Ehrgeiz und Interesse und Intelligenz ausgemacht. So auch Gerhard Roth, der in seinem Vortrag Intelligenz als „kreatives Problemlösen unter Zeitdruck“ definierte. Zum Stichwort Intelligenz hatte der Professor am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen gleich zwei Nachrichten. Zuerst die scheinbar weniger gute: Der Intelligenzquotient ist größtenteils angeboren und lässt sich durch Umwelteinflüsse nur um 15 bis 20 Punkte verändern. Klingt nach wenig, bedeutet aber: Muss ein Kind mit einem angeborenen IQ von 100 – also Durchschnitt in der Bevölkerung – mit nur wenig geistiger Anregung auskommen, wird es sein Potenzial nie ganz ausschöpfen und lediglich einen IQ von etwa 85 erreichen. Andererseits kann dasselbe Kind durch Förderung einen Wert von 115 bis 120 schaffen, das entspricht guten Werten von Abiturienten. Na, das ist doch eine gute Nachricht! Oder es wäre zumindest eine, wenn solch eine Förderung stattfände, kritisierte Roth.
Über die besten Bedingungen für die Entfaltung von kreativen Geistern sprach in der abschließenden Podiumsdiskussion Klaus Mainzer, Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der TU München. Seine Gesprächspartner waren die Psychologen Nicola Baumann (Professorin an der Universität Trier) und Markus Knauff (Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie und Kognitionsforschung an der Universität Gießen). Einig waren sich alle: Kinder brauchen Anregungen und kreative Freiräume. Genau wie Wissenschaftler, Arbeitnehmer und Studenten. Wichtig seien außerdem flache Hierarchien, betonte Knauff, der direkt von einer Einführungsveranstaltung für Studienanfänger zum Symposium kam. Den Erstsemestern hatte er empfohlen: „Melden Sie sich, wenn Sie meinen, dass ich Quatsch erzähle!“
Material zu den einzelnen Vorträgen wird demnächst bereitgestellt unter www.turmdersinne.de unter "Symposium". Beim nächsten Symposium turmdersinne (15. – 17. Oktober 2010) stehen die Themen Geschlechterdifferenz und Neurowissenschaft im Mittelpunkt. Der Titel: „Mann, Frau, Gehirn“. Weitere Informationen ab Frühling kommenden Jahres unter www.turmdersinne.de.
Weitere Informationen ab Frühling kommenden Jahres.
Material zu den einzelnen Vorträgen des Symposiums 2009 steht unter
www.turmdersinne.de/index.html?symposium ==> "Symposium 2009" zur Verfügung.
Inge Hüsgen ist Redaktionsletierin des "Skeptiker".