Seit langem weisen Anhänger der Echtheit des Turiner Grabtuches darauf hin, dass bei einer Untersuchung des Leinens Pollen gefunden worden seien, wie sie auch in Palästina und der Türkei vorkommen. Durch dieses phantasievolle Konstrukt soll belegt werden, dass die Geschichte des Turiner Grabtuchs weiter als bis 1350 zurückreicht. Diese Behauptung des Kriminologen Max Frei-Sulzer (auch bekannt durch seine Bestätigung der Echtheit der gefälschten Hitler-Tagebücher), wurde 1979 sogar in der Naturwissenschaftlichen Rundschau veröffentlicht.
Auffällig ist zunächst, wie frisch die Pollen aussehen - sehr ungewöhnlich angesichts der Tatsache, dass sie 2000 Jahre alt sein sollen. Aber das ist noch nicht alles. Von den 48 (anderswo ist die Rede von 49) berichteten Pollenarten kommen 33 aus Palästina oder der Türkei, nur 16 stammen aus Italien oder Frankreich, wo das Tuch die letzten 650 Jahre aufbewahrt worden ist. Die Proben sollen von Klebebändern stammen, die Frei 1973 von dem Leinen abnahm.
Walter McCrone gehört zu den führenden Mikroanalysten. Ende der 70er Jahre untersuchte er 26 Klebeband-Abzüge von Frei. McCrone fand bei fast allen Klebestreifen nur etwa 2- 3 einzelne Pollen (nicht Pollenarten!) pro Klebeband (Fläche jeweils etwa 5 Quadratzentimeter). Nur am Ende eines Streifens stellte er eine starke Pollenkonzentration fest. Dort identifizierte McCrone mehrere hundert Pollen.
Aus diesem Befund schließt Steven D. Schafersman, Wissenschaftler mit den Fachgebieten Mikropaläontologie und Sedimentpetrologie: Die Proben müssen gefälscht sein. Wären die Pollen auf natürliche Weise auf das Tuch gelangt, müssten Baum- und Gräserpollen überwiegen. Frei-Sulzers Pollen aus Palästina und der Türkei stammen allerdings fast alle von Kräutern und niedrigen Büschen. Dagegen sind die westeuropäischen Pollen mehrheitlich verschiedenen Baumarten zuzuordnen. Schafersman findet es unglaublich, dass angeblich 2000 Jahre alte Pollen so gut erhalten seien, "als wären sie von lebenden Pflanzen". Andere berichten von mit Kalzit überzogenen Pollen. Frei erwähnt weder die Kalzit-Überzüge, noch dass er sie entfernt habe. Zu berücksichtigen ist auch, dass Frei die fraglichen Gegenden (Istanbul, Urfa, Jerusalem) besucht hat, um Pflanzen zu "Vergleichszwecken" zu sammeln. Schafersman indes sieht als einzige entlastende Möglichkeit für Frei, dass ein anderer ohne seine Kenntnis seine "Vergleichspollen" auf die Klebebänder aufgebracht hat. Auch wenn das Tuch echt wäre und sich in den behaupteten Ländern befunden hätte, wäre diese Zusammenstellung von Pollenarten nach 2000 Jahren mit natürlichen Mitteln unmöglich und als Wunder zu bezeichnen.
Zusammengefasst sind die Behauptungen um die Pollen als Beleg für die Authentizität des Tuches unglaubhaft. Die Pollen sind neueren Ursprungs, sicher keine mehrere hundert oder gar 2000 Jahre alt, und höchstwahrscheinlich das Ergebnis einer Fälschung.
Amardeo Sarma
Literatur
- S. Schafersman: Unraveling the Shroud of Turin
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