Luigi Garlaschelli gelang es letztes Jahr, eine komplette Nachbildung des Turiner Grabtuches zu erstellen. Er nutzte dafür lediglich Farben und Mittel, die einem Künstler des Mittelalters zur Verfügung gestanden hätten. Über frühere ähnliche Versuche, wie die von Joe Nickell, ging Garlaschelli insofern hinaus, als er das Tuch zusätzlich künstlich altern ließ und die Farben nach dem Auftragen auf das Leinen teilweise wieder herauswusch. Das Ergebnis kommt dem Original erstaunlich nahe (s. Abb. oben: links das Replikat: rechts das Turiner Original).
Nachdem Secondo Pia das Turiner Tuch 1898 erstmals fotografiert hatte, wurde wiederholt behauptet, dass das Tuch ein Negativ abbilde. Weil diese Darstellungsform im Mittelalter unbekannt gewesen sein dürfte, könne das Tuch nicht Werk eines Künstlers sein, so eine häufige Argumentation. Allerdings handelt es sich bei dem Bild nicht um ein echtes Negativ, denn das Blut ist rot und die Haare dunkel. Bei einem Negativ - das bekanntlich Hell und Dunkel vertauscht - wäre beides hell. Wir haben es beim Grabtuch vielmehr mit einem Pseudo-Negativ zu tun, dem Ergebnis einer speziellen Maltechnik, die nichts mit photographischen Verfahren zu tun hat.
Die erste Abbildung (oben) zeigt das Gesicht von Luigi Garlaschellis Replikat im Vergleich zum Original (in höherer Auflösung: hier die Reproduktion, hier das Original). Im zweiten Bild ist der gesamte Vorderteil der Reproduktion zu sehen, hier als Positiv, hier als Negativ. Das Bild wurde durch Erhitzung in einem Ofen künstlich gealtert, anders als beim Negativ oben für das Gesicht (links). Um dem Original möglichst ähnlich zu sein sind hier auch Brandlöcher hinzugefügt worden.
Im letzten Bild sieht man die 3D-Rekonstruktion des Originaltuches, verglichen mit dem der Reproduktion. Alle Dateien können hier bei Luigi Garlaschelli heruntergeladen werden.
Obwohl dies das erste Replikat des gesamten Grabtuchs ist, hat es bereits zuvor Nachbildungen der Gesichtspartie gegeben. Der Maler Walter Sanford fertigte solch ein Replikat durch direktes Malen an. Von einer anderen Technik berichtete Joe Nickell bereits 1982 im Skeptical Inquirer. Nickell hatte nach verschiedenen Versuchen mit anderen Vorlagen ein Basrelief verwendet.
Bei einem Basrelief ragt die plastische Darstellung nur wenig über den Hintegrund hinaus. Viele Münzen tragen auf einer Seite Personenabbildungen als Basrelief. Viele Leser dürften sich an ein Spiel aus ihrer Kinderzeit erinnern: Legt man ein Stück Papier auf die Münze und reibt mit einer Bleistiftmine darüber, entsteht ein Pseudonegativ. Das Turiner Grabtuch ist Ergebnis einer ausgeklügelte Variante dieser Methode. Die jahrhundertelange Vergilbung, verursacht durch die katalysierende Wirkung der vermutlich leicht säuerlichen Farben, hat das Ihre zum heutigen Aussehen des Turiner Tuchs beigetragen.
Hier schildert Luigi Garlaschelli, mit welchen Methoden er seine Grabtuch-Replik angefertigt hat.
Amardeo Sarma
Alle Abb.: Luigi Garlaschelli