Ostern ist für Christen das Fest der Auferstehung Jesu und damit ein Kern des Glaubens. Aber: Was wissen wir wirklich über die biblischen Ostergeschehnisse? Weniger, als viele meinen, denn überlieferte Augenzeugenberichte gibt es keine. Zwar ist die Quellenlage bei den Ostergeschehnissen besser als bei Geburt und Jugend Jesu, die nur in 2 von 27 Büchern des Neuen Testaments erwähnt werden. Dennoch sind diese Texte nicht unbedingt widerspruchsfrei. Wagen wir uns über die Fragen zum Turiner Grabtuch und die vielen unkritischen, populären Spekulationen zum Ostergeschehen hinaus.
Außerhalb des Neuen Testaments und der so genannten Apokryphen, Texte früher christlicher Gemeinden, die nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurden, gibt es keine von der christlichen Überlieferung unabhängige Quellen. Auch die vielfach zitierten Berichte von Flavius Josephus und Tacitus sind als nicht unabhängig zu sehen. Sie wurden zu einer Zeit geschrieben, als die Anhänger Jesu ihn bereits bekannt gemacht hatten. Zudem erschienen die Geschichten plausibel, denn der Typus der Endzeitpropheten war zu dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Bei Flavius Josephus gibt es darüber hinaus gute Gründe für die Annahme, dass die entsprechenden Passagen im Original gar nicht vorhanden waren, sondern erst nachträglich von christlichen Kopisten eingefügt wurden. Bei allen Texten des Neuen Testamentes muss zudem berücksichtigt werden, dass Teile aus theologischen und politischen Gründen später verändert oder auch eingefügt wurden, wie auch der Neutestamentler Bart Ehrmann in seinen Büchern schreibt und an vielen Beispielen erläutert.
Zwischen der Darstellung in den frühen Briefen (Episteln) und den Evangelien fällt eine große Diskrepanz auf. Beispielsweise wurden die Paulusbriefe Jahrzehnte vor den Evangelien geschrieben, auch wenn sie im Neuen Testament erst nach den Evangelien zu lesen sind. Dort spielt die Kreuzigung und Auferstehung Christi eine zentrale Rolle, wird aber auf gänzlich andere Weise geschildert als in den Evangelien. Nach den Episteln wurde Jesus „dem Fleisch nach (…) als Nachkomme Davids“ geboren [Röm 1,3], um dann „wie ein Sklave und den Menschen gleich“ [Phil 2,7] zu leben.
Zu Jesu Tod heißt es in den Paulusbriefen, dass er „ausgeliefert“ [1 Kor 11,23] wurde (Judas und ein Abendmahl mit den Jüngern werden, wie auch anderswo, nicht erwähnt). Er sei von den „Machthabern dieser Welt“ (es sind hier satanische, nicht weltlichen Machthaber gemeint) in Verkennung der „Weisheit Gottes (…) gekreuzigt“ [1 Kor 1,8] worden, um dann „in Macht“ von den Toten aufzuerstehen [Römer 1:4]. Christus sei „begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich (…) Als Letztem von allen erschien er auch mir (Anm: Paulus).“ [1 Kor 15,3-8]. Offenbar ging aber Paulus nicht von einer Hinrichtung auf Befehl von Pilatus aus, denn er fordert die Unterwerfung gegenüber der (gottgewollten) staatlichen Ordnung: „Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen.“ [Röm 13,2].
Pilatus taucht erst in den späten Episteln des 2. Jahrhunderts auf (1 Tim, 2 Tim, Tit, Jud und 2 Petr), als die Evangelien bereits bekannter waren: „Ich gebiete dir bei Gott, von dem alles Leben kommt, und bei Christus Jesus, der vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis abgelegt hat und als Zeuge dafür eingetreten ist“ [1 Tim 6,13] oder auch die Erwähnung von Augenzeugenberichten Jesu: „Denn wir sind nicht irgendwelchen klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft Jesu Christi, unseres Herrn, verkündeten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe.“ [2 Petr 1,16]. Erst diese späten Episteln geben eine Geschichte wieder, die den Geschichten der Evangelien und der Apostelgeschichte ähneln.
Diese Probleme und Widersprüche sind auch in theologischen Kreisen seit den Arbeiten und Kritiken von David Friedrich Strauß (1808-1874), William Wrede (1859-1906), Rudolf Bultmann (1884-1976) und Albert Schweitzer (1875-1865) bekannt, und die damit verbundene historisch-kritische Methode hat sich auch innerhalb der Theologie etablieren können. George Albert Wells, Germanistik-Professor und Autor mehrerer Bücher zur Historizität Jesu, stellt lapidar fest: Der Jesus der frühen Epistel ist nicht der Jesus der Evangelien und der Apostelgeschichte.
Mit dem Fehlen unabhängiger Quellen und bei den enormen Widersprüchen im Neuen Testament und anderen frühchristlichen Texten bleiben also Tod und Kreuzigung Jesu im Nebel der Geschichte verborgen.
Amardeo Sarma
Link zum Thema:
Literatur:
- Doherty, E. (2003): Das Jesus-Puzzle. Basiert das Christentum auf einer Legende? Lenz, Neustadt am Rübenberge.
- Eddy, P.R; Boyd, G.A.(2007): The Jesus Legend, Baker Academic.
- Ehrmann, B. (2008): Abgeschrieben, falsch zitiert und missverstanden. Wie die Bibel wurde, was sie ist. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh.
- Ehrmann, B. (2009): Jesus, Interrupted, Harper Collins.
- Wells, G.A. (2009): Cutting Jesus down to Size, Open Court.
- Josephus, Flavius (2004): Jüdische Altertümer, Marixverlag, Wiesbaden.
- Tacitus (2004): Sämtliche erhaltene Werke, Magnus Verlag, Essen.
Anmerkung:
http://www.bibleserver.com/ ist eine hervorragende Quelle für die Bibel in allen Sprachen und in vielen Übersetzungen.
Doherty vertritt die These, dass Jesus ein Mythos ist. Dagegen postulieren Eddy und Boyd nicht nur die weitgehende historische Korrektheit der Evangelien, sondern betrachten auch die darin beschriebenen Wunder als real. Ehrmann stellt viele Details der Evangelien, nicht aber die Historizität von Jesus in Frage, wobei die verbleibenden Aussagen stark von populären Vorstellungen abweichen. Er sagt dabei, dass ihm in internen Diskussionen viele Theologen zustimmen, auch wenn sie diese Erkenntnisse nicht öffentlich, zum Beispiel im Gottesdienst, vertreten. Wells sieht in den Episteln und in den Evangelien zwei vollkommen verschiedene und unvereinbare Traditionen, wobei er eine eingeschränkte Historizität von Jesus entsprechend der Evangelien akzeptiert.