“Schon allein deshalb ist diese Frage keine fassbare Angelegenheit...”
Ein Gespräch mit Amardeo Sarma über die Möglichkeiten, Religion skeptisch zu betrachten
Seit 20 Jahren hat sich die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) der Aufklärung über die Blüten des Irrationalen verschrieben. Als Teil der internationalen Skeptiker-Bewegung setzen sich die Mitglieder auf ihren jährlichen Konferenzen, in Workshops und Forschungsprojekten sowie in der Zeitschrift Skeptiker kritisch mit “außergewöhnlichen Behauptungen” auseinander. Ihre Gegenstände entnehmen sie zumeist den Bereichen Esoterik und Pseudowissenschaft. Inwieweit Religionen zum Gegenstandsbereich der GWUP gehören, ist in der Mitgliedschaft umstritten. Erst im Frühjahr hatte es über diese Frage eine ausführliche, teilweise leidenschaftliche Debatte in der GWUP-Mailingliste gegeben. Am Rande der diesjährigen Skeptiker-Konferenz in Würzburg unterhielt sich Gunnar Schedel für die MIZ mit Amardeo Sarma, dem Geschäftsführer der GWUP.
MIZ: Die Debatte, ob oder inwieweit Religionen zum Arbeitsbereich der GWUP gehören, ist nicht neu. Sie flammt alle paar Jahre wieder mal auf. Was war diesmal der Anlass?
Amardeo Sarma: Der Anlass ist eigentlich immer der gleiche: Einige Mitglieder vermuten, dass die GWUP bestimmte Themen nur deshalb auslässt, weil diese im Bereich der Religion liegen bzw. weil sich die GWUP nicht mit den Religionsgemeinschaften anlegen will. So war es auch diesmal. Darauf folgte dann eine zeitweise erhitzte Debatte. Wir haben 1997 zur Frage, wie die GWUP im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Religion steht, ein Seminar durchgeführt und eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet. Für die meisten Mitglieder war das Thema damit geklärt. Aber offensichtlich besteht jetzt wieder einmal Diskussionsbedarf und wenn es offene Fragen gibt, müssen diese beantwortet werden. Wir werden die Debatte also zum Anlass nehmen, unsere Position erneut zu präzisieren.
MIZ: Wie lässt sich die derzeitige Position der GWUP in dieser Frage beschreiben?
Amardeo Sarma: Prinzipiell behandeln wir alle Themen gleich – unabhängig davon, ob sie das Etikett Religion tragen oder nicht. Wir beobachten, analysieren und bewerten alles, sofern es zum Gegenstandsbereich der GWUP gehören. Wir haben in der Vergangenheit, das gilt für die GWUP wie auch für die anderen skeptischen Organisationen weltweit, religiöse Behauptungen zum Beispiel dann aufgegriffen, wenn sie einen wissenschaftlichen Anspruch erheben. Da wäre die Auseinandersetzung Evolution contra Kreationismus zu nennen, die in Deutschland zwar kaum eine Rolle spielt, in den USA aber große Bedeutung hat. Oder die Frage nach der Echtheit des Turiner Grabtuches. Oder die vielen Berichte über weinende Heiligenstatuen oder andere Wunder. Natürlich untersuchen wir auch Behauptungen, dass Menschen aufgrund irgendwelcher religiöser Einflüsse besser geheilt werden. All das lässt sich wissenschaftlich untersuchen und gehört somit zum Arbeitsbereich der GWUP. Andererseits gibt es religiöse Themen, die zwar prinzipiell einer wissenschaftlichen Prüfung zugänglich sind, für die aber derzeit innerhalb der GWUP keine Kompetenz vorhanden ist. Dazu gehören historische Fragestellungen, zum Beispiel ob alle Paulus-Briefe tatsächlich von Paulus stammen oder wie die Historizität von Jesus einzuschätzen ist. Wenn sich die GWUP zu einem Thema öffentlich äußert, muss sie die Fachleute dafür haben, die inhaltlich Stellung nehmen können, so dass wir nicht nur eine Meinung äußern, sondern fachlich fundiert Auskunft geben.
MIZ: Nach meiner Beobachtung finden sich im Skeptiker zwar regelmäßig Berichte über Wunderheiler im klassischen Sinne, ich kann mich aber an keinen Beitrag über charismatische Heiler wie Reinhard Bonnke und Konsorten erinnern. Ist das darauf zurückzuführen, dass diesen Bereich derzeit – zufällig – niemand im Auge hat, oder wird ein Unterschied gemacht...
Amardeo Sarma: Sobald die Behauptung aufgestellt wird, dass eine Heilung stattfindet, gehört das zu unserem Arbeitsbereich, unabhängig davon, ob das christlich, hinduistisch oder sonstwie begründet wird. Denn der Anspruch, dass mit bestimmten Mitteln eine Heilung erzielt wird, kann empirisch überprüft werden. Wenn wir trotzdem keine Untersuchungen zu einem bestimmten Verfahren oder konkreten Personen vornehmen, kann es wirklich damit zusammenhängen, dass sich niemand damit auseinandergesetzt hat.
MIZ: Neben empirisch überprüfbaren Behauptungen gibt es aber auch Grenzbereiche. Ich denke etwa an Bert Hellinger; der ist zwar der Psycho-Szene zuzuordnen, wesentlicher Bestandteil seiner Autorität ist jedoch die Berufung auf Gott. Bleibt eine Kritik an Hellinger und seiner Methode nicht unvollständig, wenn nicht zumindest die Behauptung, eine Kommunikation mit Gott zum Zwecke der Therapie von Patienten sei möglich, in Frage gestellt wird.
Amardeo Sarma: Auch dieser Fall scheint mir ganz klar: es wird eine Einwirkung der jenseitigen Welt auf die diesseitige Welt mit dem Ergebnis einer Heilung postuliert und solche Behauptungen sind Thema der GWUP, weil das mit wissenschaftlichen Methoden prüfbar ist. Ich würde hier also nicht von einem Grenzbereich sprechen. Eines sollte klar sein: nur weil eine Behauptung ein Etikett “Religion” oder “Esoterik” trägt, ist das weder ein Ausschluss- noch ein Einschlussgrund für unsere Betrachtung. Natürlich können wir nicht zu all den Phänomenen, die sowohl aus theoretischer Sicht zu unserem Bereich gehören als auch aufgrund unseres Profils, Stellung nehmen. Wenn niemand entsprechende Untersuchungen durchgeführt hat, ist das auch nicht sinnvoll. Denn letztlich muss die GWUP immer darauf achten, dass sie ernst genommen wird, wenn sie in eine Debatte eingreift. Wir werden bei einer Kritik der Religion vermutlich ähnlich ernst genommen, wie der IBKA bei einer Kritik der Homöopathie. Bei der Auswahl, welche Behauptungen getestet werden, spielen auch pragmatische Überlegungen eine Rolle, etwa wie weit ein Glaube überhaupt verbreitet ist und ob man von einer Relevanz für die Gesellschaft ausgehen kann.
MIZ: Nach welchen Kriterien können kritikfähige Aussagen und dem rationalen Diskurs entzogene religiöse Kernaussagen getrennt werden?
Amardeo Sarma: Ein klassisches Beispiel, für das, womit wir uns nicht beschäftigen, ist die Frage “Gibt es Gott oder gibt es Gott nicht?” Die Schwierigkeiten fangen schon damit an, dass der Gegenstand nicht klar definiert ist. Denn wenn man den Gottesbegriff dahingehend aufweicht, dass man ihn als eine Repräsentation der heute gültigen Naturgesetze versteht, könnten sich selbst einige Mitglieder, die sich als Atheisten bezeichnen würden, mit dem Begriff anfreunden. Schon allein deshalb ist diese Frage keine fassbare Angelegenheit, die man mit unseren Methoden prüfen kann.
MIZ: Aber wie lässt sich die Festlegung dieser Grenze operationalisieren?
Amardeo Sarma: Wenn jemand sagt, Gott hätte eine Auswirkung auf das Diesseits außerhalb der Naturgesetze, die prüfbar ist, dann wäre es ein Thema für die Wissenschaft und damit prinzipiell Thema der GWUP. Die Grenze steht und fällt mit der wissenschaftlichen Prüfbarkeit.
MIZ: Erklärungen der Welt bzw. einzelner Phänomene, die auf einer materialistischen Grundlage stattfinden, zerstören doch alle Mythen, ganz gleich ob esoterische, religiöse oder weltliche. Die GWUP trägt in meinen Augen insofern, ganz gleich wie sie ihr Verhältnis zur Religion festlegt, zu einer Säkularisierung des Denkens bei. Wer Spaß am skeptischen Denken gefunden hat, wird diese Fähigkeit früher oder später auf alle möglichen Bereich anwenden, zumeist auch auf die Religion. Ob die GWUP will oder nicht: sie hat diesbezüglich eine subversive Langzeitwirkung...
Amardeo Sarma: Welche Langzeitwirkung wir haben, können wir nicht prognostizieren, das wird die Zukunft zeigen. Allerdings ist es durchaus ein Anspruch der GWUP, dass kritisches Denken nicht nur auf parawissenschaftliche Phänomene angewendet wird. Zu welchen langfristigen Einsichten die einzelnen Mitglieder kommen, bleibt selbstverständlich ihnen überlassen. Aber soweit ich das beobachten kann, gilt für viele Skeptiker und Skeptikerinnen, dass sie diese Kritierien, diese rationale Sicht der Dinge auf andere Bereiche übertragen, sei es nun Religion oder im weitesten Sinne Politik. Insofern könnte dieser Effekt sicherlich eintreten. Allerdings müssen wir auf der anderen Seite sehen, dass es innerhalb der GWUP durchaus auch Mitglieder gibt, die ihre religiösen Überzeugungen von einer materialistischen Einschätzung der Welt trennen. Insofern kann ich also auch die Prognose geben, dass es sicherlich auch weiterhin Menschen geben wird, die einerseits einer Religionsgemeinschaft angehören und andererseits hundertprozentig hinter den Zielen der GWUP stehen. Der subversiven Langzeitwirkung stehen nämlich wirksame “Schutzmechanismen” oder eine effektive Trennung dieser “Welten” bei den einzelnen Menschen gegenüber.
MIZ: Die GWUP hat sich bislang vor allem durch Aufklärungsarbeit und was vielleicht “Verbraucherschutz” zu nennen wäre, ausgezeichnet. Nun hat es den Anschein, dass eine Debatte, die in den USA seit jeher von großer Bedeutung ist, nach Europa schwappt. In Italien wurde die Evolutionslehre kurzfristig aus den Lehrplänen für die Grund- und Mittelstufe gestrichen. Erst nach vehementen öffentlichen Protesten wurde dies zurückgenommen bzw. relativiert. Würde die GWUP auf der politischen Ebene reagieren, wenn auch in Deutschland konservative Kräfte die Evolutionslehre aus den Lehrplänen entfernen würden?
Amardeo Sarma: Die italienischen Skeptiker haben es vorgemacht. Natürlich wäre unsere Reaktion von der spezifischen Situation abhängig. Aber auf alle Fälle wäre ein solcher Vorgang für die GWUP ein Alarmsignal und Anlass, sofort tätig zu werden. Die italienischen Skeptiker haben auch sofort Unterschriftensammlungen initiiert und Wissenschaftler aus allen Bereichen mobilisiert. In solchen Dingen heißt es: Wehret den Anfängen, bevor es wirklich Fuß fasst. Ein Vergleich mit den USA zeigt nämlich, wie wichtig es ist, auf der Hut zu sein. So wie wir die Debatten über Kreationismus spöttisch kommentieren, haben die amerikanischen Skeptiker vor 15 Jahren über uns gelächelt, wie die Menschen in Europa mit der so genannten Alternativen Medizin übers Ohr gehauen werden. In Amerika spielte das damals überhaupt keine Rolle. Und die übergroße Sicherheit hat vielleicht dazu beigetragen, dass niemand gemerkt hat, wie in den USA mit Werbekampagnen und mit einer ungeheuer geschickten Marketingstrategie ein Markt für die Alternative Medizin geschaffen wurde, so dass heute nahezu kein Unterschied mehr zu Europa besteht. Es gibt ein Beispiel für eine erfolgreiche Kampagne, die in einem Bereich stattfand, der mit Religion nichts zu tun hat. Aus den Erfahrungen der internationalen Skeptikerbewegung heraus haben wir frühzeitig über Facilitated Communication informiert und ich denke, wir hatten unseren Anteil daran, dass dieses Verfahren in Deutschland nicht so Fuß fassen konnte wie anderswo. Wenn irgendwann die Auseinandersetzung Evolution versus Kreationismus die deutschen Schulen erreichen würde, mit all den Folgen für die wissenschaftliche Bildung der Kinder, müssten wir sofort dagegen vorgehen. Wie gesagt, die italienischen Skeptiker haben es vorgemacht und sie haben auch Erfolg gehabt mit ihren Aktionen.
MIZ: Vielen Dank für das Gespräch.