von Carl Sagan
Was ist Skeptizismus? Er ist nichts sehr Geheimnisvolles. Wir begegnen ihm tagtäglich. Wenn wir einen Gebrauchtwagen kaufen und wir zumindest ein klein wenig gewitzt sind, werden wir etwas Rest an skeptischer Energie aufbringen - was immer unsere Erziehung davon gelassen hat. Sie können sagen: "Hier ist ein glaubwürdig aussehender Bursche. Ich werde einfach nehmen, was immer er mir anbietet". Oder Sie sagen: "Gut, ich höre, daß gelegentlich beim Verkauf von Gebrauchtwagen kleine Unregelmäßigkeiten vorkommen, vielleicht vom Verkäufer unbeabsichtigt". Sie machen dann einiges. Sie treten gegen die Reifen, Sie öffnen die Türen, Sie schauen unter die Motorhaube. (Sie tun dies unter Umständen sogar, wenn Sie gar nicht wissen, was unter der Motorhaube vorzufinden sein sollte; oder Sie bringen vielleicht einen Freund mit, der sich mit Mechanik auskennt.) Sie wissen, einige Skepsis ist erforderlich und Sie verstehen warum.
Es ist lästig, daß Sie mit dem Gebrauchtwagenhändler unterschiedlicher Meinung sein müssen oder daß Sie ihm Fragen stellen müssen, die er nur widerstrebend beantwortet. Mindestens ein geringer Grad zwischenmenschlicher Konfrontation spielt beim Kauf eines Gebrauchtwagens eine Rolle, und niemand hält dies für besonders angenehm. Aber dafür gibt es einen guten Grund denn, wenn Sie nicht wenigstens etwas Skepsis anwenden, wenn Sie eine durch nichts gehemmte Leichtgläubigkeit haben, werden Sie später wahrscheinlich dafür zu bezahlen haben. Dann werden Sie wünschen, Sie hätten frühzeitig einen geringen Aufwand an Skepsis geübt.
Um dies zu verstehen, müssen Sie nicht vier Jahre studieren. Jeder versteht dies. Die Schwierigkeit ist, ein Gebrauchtwagen ist eine Sache, aber Fernsehwerbespots oder Ankündigungen von Präsidenten oder Parteiführern sind eine andere. Wir sind skeptisch auf einigen Gebieten, aber unglücklicherweise nicht auf anderen.
Zum Beispiel gibt es eine Art von Werbespots für Aspirin, die aufzeigen, daß das Konkurrenzprodukt nur soundsoviel des schmerzstillenden Wirkstoffes, den Ärzte am meisten empfehlen, haben welcher geheimnisvolle Wirkstoff dies ist, wird nicht gesagt wogegen ihr Produkt eine wesentlich größere Menge (1,2 bis 2 mal mehr pro Tablette) enthalten. Deshalb sollten Sie ihr Erzeugnis kaufen. Aber warum nicht einfach zwei Tabletten der Konkurrenzmarke nehmen? Es wird von Ihnen erwartet, daß Sie nicht fragen. wenden Sie keinen Skeptizismus auf. Denken Sie nicht. Kaufen Sie!
Solche Ansprüche in Produktanzeigen stellen eine kleine Täuschung dar. Sie kosten uns ein wenig Geld, oder verleiten uns, ein geringfügig schlechteres Produkt zu kaufen. Es ist nicht so schlimm. Aber betrachten Sie folgendes:
Ich habe hier das Programm der diesjährigen "Whole Life Expo" in San Francisco. Zwanzigtausend Leute besuchten die letztjährige Veranstaltung. Hier sind einige der Programmpunkte:
- "Alternative Behandlungsweisen für AIDS-Patienten: Sie werden die natureigenen Abwehrkräfte wiederherstellen und Zusammenbrüche des Immunsystems verhindern - lernen Sie die jüngsten Entwicklungen, die die Medien bisher ignorierten, kennen". Mir scheint, diese Darbietung kann echten Schaden anrichten.
- "Wie gefangene Bluteiweiße Schmerzen und Leid erzeugen".
- "Mineralien, sind sie Talisman oder Steine". (Ich habe meine eigene Meinung.)
- Es wird ausgesagt, "so wie ein Kristall Schall- und Lichtwellen für Rundfunk und Fernsehen fokussiert", - Kristalldetektoren gehören eher der Vergangenheit an - 'vermögen sie, geistige Schwingungen für den eingestimmten Menschen zu verstärken". Ich wette, sehr wenige von Ihnen sind eingestimmt.
- Oder hier: "Rückkehr der Gottheit, eine rituelle Vorführung".
- Ein anderes: "Synchronisation, die Erfahrung des Erkennens". Jene ist gegeben von "Bruder Charles".
- Oder, auf der nächsten Seite: "Du, Saint-Germain, und Heilung durch die Violette Flamme".
So geht es weiter und weiter, mit vielen Ankündigungen über "Gelegenheiten" - vom Zweifelhaften bis zum Falschen reichend -, die auf der "Whole Life Expo" erhältlich sind.
Wenn Sie in der Lage wären, in unterschiedlichen Zeitabschnitten - in denen menschliches Dasein existiert - auf die Erde zu treten, würden Sie einen Satz weitverbreiteter, mehr oder weniger ähnlicher Glaubenssysteme vorfinden. Sie wechseln, oft sehr rasch, oft in Zeiträumen einiger Jahre. Aber manchmal existieren Glaubenssysteme viele Tausende von Jahren. Mindestens einige sind immer vorhanden. Ich denke, es ist richtig zu fragen warum. Wir sind homo sapiens. Uns unterscheidet jener sapiens-Teil. Wir sollten gescheit sein. Warum gibt es immer diese Systeme bei uns? Nun, zum einen eine große Zahl dieser Glaubenssysteme spricht echte menschliche Bedürfnisse an, die durch unsere Gesellschaft nicht erfüllt werden. Da gibt es unbefriedigte medizinische Bedürfnisse, geistige Bedürfnisse, und Bedürfnisse nach einer Gemeinsamkeit mit der übrigen Menschengemeinschaft. In unserer gegenwärtigen Gesellschaft mag es mehr solche Versäumnisse geben als in vielen anderen während der menschlichen Geschichte. So ist es für die Leute vernünftig, herumzustöbern und verschiedene Glaubenssysteme gleichsam auszuprobieren, um zu sehen, ob sie helfen.
Nehmen Sie zum Beispiel eine moderne Verrücktheit, "Channeling". Die grundlegende Aussage ist, wie beim Spiritismus, daß wenn wir sterben, wir genau genommen nicht verschwinden, daß ein Teil von uns fortbesteht. Jener Teil, wird uns erzählt, kann in der Zukunft in die Körper von Menschen und anderen Lebewesen zurückkehren, und so verliert der Stachel des Todes viel von seiner Wirkung für uns persönlich. Mehr noch, wenn die Annahmen über Channeling wahr sind, haben wir die Möglichkeit, mit Verstorbenen, uns lieben Personen, in Kontakt zu treten.
Persönlich gesprochen, ich wäre entzückt, wenn Wiedergeburt wirklich wäre. Meine beiden Eltern habe ich in den letzten Jahren verloren, und liebend gerne würde ich ein kleines Gespräch mit ihnen führen, um ihnen zu erzählen, was die Kinder so treiben, um ihnen zu versichern, daß alles in Ordnung ist, wo immer sie auch sind . Das berührt etwas sehr Tiefes. Gleichzeitig weiß ich, genau aus diesem Grund, daß es Leute gibt, die versuchen werden, die Verletzlichkeit der Trauernden auszunutzen. Die Spiritualisten und die Channeler hätten besser eine zwingende Sache.
Nehmen Sie die Vorstellung, daß Sie durch scharfes Denken an geologische Formationen sagen können, wo Erz- oder Ölvorkommen sind. Uri Geller behauptet dies. Sind Sie Direktor einer erz- oder ölsuchenden Firma, hängt Brot und Butter am Auffinden der Erze oder des Öles; da klingt es nicht so schlecht, eine eher geringe Menge Geldes, verglichen mit dem, was Sie normalerweise eine geologische Erkundung kostet, auszugeben, diesmal um Lagerstätten psychisch zu finden. Sie könnten versucht sein.
Betrachten Sie UFOs, die Annahme, daß Lebewesen in Raumschiffen von anderen Welten uns ständig besuchen, halte ich für eine aufregende Vorstellung. Zumindestens ist es eine Abwechslung vom Gewöhnlichen. Während meines wissenschaftlichen Lebens habe ich einiges an Zeit für die Suche nach außerirdischen Intelligenzen aufgewandt. Bedenken Sie, wie viel Aufwand ich sparen könnte, wenn diese Burschen hierher kämen. Wenn wir jedoch in Bezug auf eine Behauptung eine gewisse emotionale Verletzlichkeit erkennen, müssen wir genau hier die stärksten Anstrengungen für eine skeptische Überprüfung machen. Das ist es, wo wir gefordert sein können.
Lassen Sie uns erneut Channeling betrachten. Da lebt im Staate Washington eine Frau, die behauptet, eine Verbindung mit einem 35000 Jahre alten Jemand herzustellen, mit "Ramtha" - er spricht , nebenbei bemerkt, sehr gut Englisch mit, wie es mir klingt, etwas indianischem Akzent. Nehmen Sie an, wir hätten Ramtha hier, und weiter, Ramtha ist zur Zusammenarbeit bereit. Wir könnten einige Fragen stellen:
- Wie wissen wir, daß Ramtha vor 35000 Jahren lebte?
- Wer führt Buch über die dazwischenliegenden Jahrtausende?
- Wie kommt es, daß es genau 35000 Jahre sind? Es ist ja eine recht runde Zahl?
- 35000 mehr oder weniger wieviel?
- Wie war es vor 35000 Jahren?
- Wie war das Wetter?
- Wo auf der Erde lebte Ramtha? (Ich weiß, er spricht Englisch mit indianischen Akzent, aber wo war das?).
- Was ißt Ramtha? (Archäologen wissen manches darüber, was die Leute damals aßen).
Wir hätten eine echte Gelegenheit herauszufinden, ob seine Behauptungen wahr wären. Wenn dies wirklich jemand vor 35000 Jahren wäre, könnten Sie eine Menge über die Zeit vor 35000 Jahren lernen. So oder so, entweder ist Ramtha tatsächlich 35000 Jahre alt, dann entdecken wir etwas über diesen Zeitabschnitt - das ist vor der Wisconsin-Eiszeit, ein interessantes Zeitalter -, oder er ist ein Sprüchemacher und wird entlarvt. Was sind die Sprache der Eingeborenen, wie ist die Sozialstruktur, mit wem lebt Ramtha - Kindern, Enkel - wie ist der Lebenslauf, die Kindersterblichkeit, was trägt er an Kleidung, wie ist seine Lebenserwartung, welche Waffen, Pflanzen und Tiere gibt es? Erzähle es uns! Statt dessen hören wir die dümmlichsten Predigten, nicht unterscheidbar von denen, die angeblich UFO-Insaßen den armen Menschen erzählen, die angeben, von diesen entführt worden zu sein.
Gelegentlich erhalte ich übrigens Briefe von jemandem, der in Verbindung mit Außerirdischen steht und mich einlädt, etwas zu fragen. Ich habe deshalb eine Fragenliste. Denken Sie daran, die Außerirdischen sind sehr fortschrittlich. So frage ich nach Dingen wie, "Geben Sie eine kurzen Beweis für Fermats letztes Theorem". oder die Goldbach Vermutung. Weil die Außerirdischen es nicht Fermats letztes Theorem nennen werden, muß ich erklären, um was es geht, und schreibe deshalb eine kleine Gleichung mit einem Exponenten auf. Ich bekomme niemals eine Antwort. Andererseits, wenn ich so etwas wie "Sollten wir Menschen gut sein?" frage, bekomme ich immer eine Antwort. Ich nehme an, daß aus dieser unterschiedlichen Fähigkeit zur Beantwortung von Fragen etwas abgeleitet werden kann. Sie reagieren außergewöhnlich gerne auf irgend etwas Ungenaues, aber es gibt nur Schweigen gegenüber irgend etwas Speziellem, wo eine Möglichkeit bestünde, herauszufinden, ob sie wirklich etwas wissen.
Der französische Wissenschaftler Henri Poincaré stellte zur Frage, warum Leichtgläubigkeit wuchernd ist, fest: "Wir wissen auch, wie grausam die Wahrheit oft ist, und wir zweifeln, ob nicht Täuschung tröstlicher ist". Genau dies habe ich mit meinem Beispiel zu sagen versucht. Aber ich glaube nicht, daß das der einzige Grund ist, warum Leichtgläubigkeit so umsichgreifend ist. Skeptizismus fordert etablierte Einrichtungen heraus. Wenn wir jeden, sagen wir Oberstufenschüler, gewohnheitsmäßig Skeptikersein lehren, werden sie vielleicht ihre Skepsis nicht auf Aspirin- Werbespots und 35000 Jahre alte Channeler beschränken. Unter Umständen werden sie anfangen, unangenehme Fragen über ökonomische, soziale, politische oder auch religiöse Einrichtungen zu stellen. Wo sind wir dann?
Skeptizismus ist gefährlich? Das ist meiner Ansicht nach genau seine Aufgabe. Es ist das Geschäft des Skeptizismus gefährlich zu sein. Deshalb besteht eine große Zurückhaltung, ihn in den Schulen zu lehren. Deshalb finden Sie keine allgemeine Verbreitung von Skeptizismus in den Medien. Wie sollen wir andererseits eine sehr gefährliche Zukunft meistern, wenn wir nicht die grundlegenden, intellektuellen Werkzeuge haben, den Verantwortungsträgern bohrende Fragen zu stellen, besonders in einer Demokratie?
Ich glaube, es ist nützlich, über die Art von nationalen Schwierigkeiten nachzudenken, die hätten vermieden werden können, wenn in der amerikanischen Gesellschaft Skeptizismus weiter verbreitet wäre. Das Iran/Nicaragua-Debakel ist so offensichtlich ein Beispiel, daß ich es im Blick auf unseren armen, bedrängten Präsidenten nicht ausbreiten will. Der Widerstand der Regierung gegen einen allgemeinen Teststopvertrag und ihre andauernde Leidenschaft, Nuklearwaffen unter der Vorgabe, uns "sicher" zu machen, zu zünden - eine der Hauptantreiber des atomaren Wettrüstens -, ist ein anderer solcher Punkt. Das Gleiche gilt für "Star Wars". Die von CSICOP ermutigte Gewohnheit zu skeptischem Denken hat Bedeutung in Angelegenheiten größter Wichtigkeit für die Nation. Es gibt genug Unsinn, verbreitet von beiden politischen Parteien, daß unparteiischer Skeptizismus zum nationalen Ziel, erforderlich für unser Überleben, erklärt werden sollte.
Ich möchte etwas mehr über die Verantwortung des Skeptizismus sagen. Sie können gedanklich soweit kommen, daß es Ihnen Freude macht, sich über all jene anderen lustig zu machen, die die Dinge nicht ebenso klar wie Sie sehen. Dies ist eine mögliche gesellschaftliche Gefahr für eine Organisation wie CSICOP. Wir müssen uns dagegen sorgfältig wappnen.
Es scheint mir ein empfindlicher Ausgleich zwischen zwei gegensätzlichen Anforderungen nötig zu sein: Sorgfältigste Überprüfung aller an uns herangetragenen Hypothesen und zur selben Zeit eine große Offenheit für neue Ideen. Offensichtlich sind dies zwei mit Spannung behaftete Denkansätze. Aber wenn Sie nur einem dieser Ansätze nachgeben, welcher auch immer es ist, sind Sie in tiefen Schwierigkeiten.
Wenn Sie nur skeptisch sind, dann gelangen keine neuen Ideen zu Ihnen durch. Sie lernen nie etwas Neues. Sie werden eine mäkelnde alte Person, überzeugt davon, daß Unsinn die Welt regiert. (Sicher sind da viele Sie stützende Daten.) Aber dann und wann, vielleicht einmal unter hundert Fällen, setzt eine neue Vorstellung eine Leitlinie, wertvoll und wundervoll. Wenn Sie gewohnheitsmäßig zu skeptisch gegenüber allem sind, werden Sie es verpassen oder zurückweisen, und Sie werden auf jp-den Fall dem Verstehen und Fortschritt im Wege stellen. Wenn Sie andererseits bis zum Punkt der Naivität offen sind und nicht ein Gramm skeptischen Denkens in sich haben, können Sie nicht nützliche Ideen von den wertlosen unterscheiden. Wenn alle Ideen gleiche Gültigkeit haben, sind Sie verloren, weil dann, wie mir scheint, keine Ideen irgendwelche Gültigkeit haben.
Einige Ideen sind besser als andere. Die Vorrichtung sie zu unterscheiden ist ein unverzichtbares Werkzeug im Umgang mit der Welt und besonders im Umgang mit der Zukunft. Und genau die Mischung dieser zwei Denkansätze ist es, die ausschlaggebend für den Erfolg der Naturwissenschaften ist.
Wirklich gute Wissenschaftler machen beides. Mit sich allein, zu sich selbst sprechend, bringen sie riesige Mengen neuer Ideen hervor und kritisieren sie hemmungslos. Die meisten Ideen gelangen nie an die Öffentlichkeit. Nur die sorgfältig selbst gefilterten Ideen treten hervor und werden vom Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft unter die Lupe genommen. Es kommt manchmal vor, daß Ideen, die von jedermann akzeptiert sind, sich als falsch herausstellen oder zumindest von Ideen größerer Allgemeingültigkeit übertroffen werden. Und es ist, während da natürlich einige persönliche Verluste sind Gemütsbindungen an eine Hypothese, bei deren Aufstellung Sie selbst eine Rolle hatten – nichtsdestotrotz verbindende Ethik, daß, jedesmal wenn solch eine Vorstellung umgestoßen wird und durch etwas Besseres ersetzt wird, das Unterfangen c4er Wissenschaft den Nutzen hat. Im Wissenschaftsbetrieb kommt es oft vor, daß Wissenschaftler sagen "Sie wissen, dies ist ein wirklich gutes Argument; meine Annahme ist falsch". und sie ändern dann tatsächlich ihre Ansicht und Sie werden von ihnen nie wieder jene alten Anschauung hören. Sie tun es wirklich. Es kommt nicht so oft vor, wie es sollte, weil Wissenschaftler menschlich sind und Veränderung manchmal schmerzlich ist. Aber es geschieht tagtäglich. ich kann mich nicht erinnern, wann vergleichbares das letzte Mal in Politik oder Religion geschah. Es ist sehr selten, daß, nehmen wir an, ein Senator antwortet: "Dies ist ein gutes Argument. Ich werde jetzt meine politische Ansicht ändern".
Ich möchte gerne ein paar Punkte zu den anregenden Vorlesungen über die Suche nach außerirdischer Intelligenz (SETI = Search for Extraterrestial Intelligence) und über Tiersprache auf unserer CSICOP-Konferenz sagen. In der Wissenschaftsgeschichte gibt es eine aufschlußreiche Folge von größeren intellektuellen Schlachten, die letztlich alle um die Frage gehen, wie zentral menschliche Lebewesen sind. Wir könnten sie Schlachten über die "antikopernikanische Eitelkeit" nennen.
Hier einige der Streitpunkte:
- Wir stehen im Zentrum des Universums. All die Planeten und die Sterne und die Sonne und der Mond bewegen sich um uns. (Junge, wir müssen wirklich etwas Besonderes sein.) Dies war der vorherrschende Glaube - Aristarchus ausgenommen bis zur Zeit von Kopernikus. Viele Leute sahen dies gerne, weil es ihnen eine persönliche unverdiente, zentrale Stellung im Universum gab. Allein die Tatsache, daß sie auf Erden waren, gab ihnen ein Privileg. Das tat gut. Dann stellte sich heraus, daß die Erde nur ein Planet ist und daß jene anderen hellen bewegten Lichtpunkte auch Planeten waren. Entäuschend. Sogar bedrückend. Als wir zentral und einzigartig waren, war es besser.
- Aber immerhin unsere Sonne steht im Zentrum des Universums. Nein, jene anderen Sterne, sie sind auch Sonnen, und mehr noch, wir sind draußen in der galaktischen Weite. Wir sind weit weg vom Zentrum der Milchstraße. Äußerst bedrückend.
- Gut, immerhin die Milchstraße liegt im Zentrum des Universums. Dann aber ein klein wenig Fortschritt in der Wissenschaft. Wir finden, da ist überhaupt kein Ding wie ein Zentrum des Universums. Mehr noch, da gibt es hunderte Milliarden anderer Galaxien. Nichts besonderes mit dieser einen. Tiefe Schwermut.
- Nun, wenigstens wir, Menschen, wir sind die Krönung der Schöpfung. wir sind etwas Besonderes. Alle jene anderen Geschöpfe, Pflanzen und Tiere, sie sind niedriger. Wir sind höher. Wir haben keine Verbindung mit ihnen. Jedes Lebewesen wurde einzeln erschaffen. Dann kommt Darwin. Wir finden eine evolutionäres Kontinuum. Wir sind eng verbunden mit den anderen Tieren und Pflanzen. Schlimmer, die nächsten biologischen verwandten von uns sind Schimpansen. Jene sind unsere engen Verwandten – jene Burschen? Es ist eine Herausforderung. Waren Sie jemals im Zoo und haben sie genau beobachtet? Wissen Sie was sie tun? Stellen Sie sich vor, was es für eine seltsame Wahrheit war, als Darwin diese Erkenntnis im viktorianischen England herausbrachte. Da gibt es andere wichtige Beispiele - privilegierte Bezugspunkte in der Physik und das unbewußte Denken in der Psychologie die ich übergehe.
Ich behaupte, daß da in der Tradition dieser langen Reihe von Debatten - jede einzelne wurde von den Kopernikanern gewonnen, von den Jungs, die sagen, da ist nichts Besonderes mit uns - ein tiefer emotionaler Unterstrom in den Diskussionen beider von mir erwähnten CSICOP-Sitzungen war. Die Suche nach außerirdischer Intelligenz und die Suche nach möglicher "Sprache" im Tierreich berühren eine der letzten verbliebenen vorkopernikanischen Glaubenssätze.
Immerhin sind wir die intelligentesten Wesen im ganzen Universum. Wenn es keine klugen Burschen irgendwo anders gibt, ist doch noch etwas besonderes mit uns, auch wenn wir mit Schimpansen verwandt sind, auch wenn wir in der Weite eines wüsten und schauerlichen Universums leben. Aber in dem Moment, wo wir außerirdische Intelligenzen finden, ist das letzte Stück Eitelkeit Vergangenheit. Ich denke, einiges an Widerstand gegen die Vorstellung von außerirdischer Intelligenz ist auf die antikopernikanische Eitelkeit zurückzuführen. Genauso, ohne in der Debatte, ob andere Tiere - höhere Primaten, besonders große Affen intelligent sind oder eine Sprache haben, Stellung zu beziehen, gibt es da auf einer emotionalen Ebene das gleiche Problem. Wenn wir Menschen als Geschöpfe definieren, die eine Sprache haben, und niemand sonst hat eine Sprache, sind wir immerhin unter diesem Blickwinkel einzigartig. Zeigt es sich jedoch, daß alle jene schmutzigen, stinkenden, lachhaften Schimpansen auch Ideen, in "Ameslan" oder sonstwie, austauschen können, was ist dann noch besonderes an uns übrig geblieben? Treibende emotionale Voreingenommenheiten sind, oft unbewußt, in wissenschaftlichen Debatten bei diesen Streitfragen gegenwärtig. Es ist wichtig festzustellen, daß wissenschaftliche Debatten, genauso wie pseudo-wissenschaftliche, aus diesen, unter vielen verschiedenen, Gründen voller Emotionen sein können.
Lassen Sie uns jetzt genauer die Radiosuche nach außerirdischer Intelligenz betrachten. Wie ist dies unterschieden von Pseudowissenschaften? Lassen Sie mich eine Reihe echter Fälle angeben:
In den frühen sechziger Jahren hielten die Sowjets in Moskau eine Pressekonferenz ab, auf der sie berichteten, daß eine ferne Radioquelle, CTA-102 genannt, periodisch, wie eine Sinusquelle, mit einer Periode von ungefähr hundert Tagen variiert. Warum beriefen sie eine Pressekonferenz ein, um über eine ferne, variierende Radioquelle zu berichten? Weil sie dachten, daß es eine außerirdische Zivilisation mit ungeheuren Kräften ist. Dafür ist es wert, eine Pressekonferenz zu veranstalten. Dies war, bevor überhaupt das Wort "Quasar" existierte. Heute wissen wir, daß CTA-102 ein Quasar ist. Wir wissen nicht allzu genau, was Quasare sind, - und es gibt dafür mehr als eine sich gegenseitig ausschließende Erklärung in der wissenschaftlichen Literatur. Nichtsdestotrotz wenige halten einen Quasar wie CTA-102 ernsthaft für eine die Milchstraße umkreisende außerirdische Zivilisation, weil es eine Reihe alternativer Erklärungen für ihre Eigenschaften gibt, die mehr oder weniger mit den uns bekannten Gesetzen der Physik im Einklang stehen, ohne fremdes Leben heranziehen zu müssen. Die außerirdische Hypothese ist eine Hypothese als letzte Zuflucht. Nur wenn alles andere versagt, werden sie sie erwägen.
Zweites Beispiel: 1967 fanden britische Wissenschaftler eine nahe, starke Radioquelle, die auf einer viel kürzeren Zeitskala, mit einer festen Periode in zehn signifikanten Formen, fluktuiert. Was war es? Ihr erster Gedanke war, daß es etwas wie eine uns gesandte Botschaft oder ein interstellarer Leitstrahl für Raumschiffe war, die die Räume zwischen den Sternen befahren. Unter sich an der Cambridge Universität gaben sie ihr sogar die eigenartige Bezeichnung LGM-1 (Little Green Men 1). Jedoch ( sie waren klüger als die Sowjets) beriefen sie keine Pressekonferenz ein, und bald wurde es klar, was sie hatten war, was heute ein "Pulsar" genannt wird. Es war der erste Pulsar, der "Krebs-Nebel" Pulsar.. Gut, was ist ein Pulsar? Ein Pulsar ist ein zur Größe einer Stadt zusammengeschrumpfter Stern, anders als andere Sterne nicht durch Gasdruck, nicht durch Elektronenveränderungen, sondern durch Kernkräfte zusammengehalten. In einem gewissen Sinn ist es ein Atomkern von der Größe Pasadenas. Nun das ist, vertrete ich, eine Vorstellung mindestens so eigentümlich wie ein interstellarer Raumstrahl. Die Antwort darauf, was ein Pulsar ist, muß etwas recht Fremdes sein . Es ist nicht eine außerirdische Zivilisation, es ist etwas anderes; aber etwas, das unsere Augen und unsere Sinne öffnet und Möglichkeiten in der Natur aufzeigt, an die wir niemals gedacht hätten.
Dann gibt es da die Frage der "Falsch-Positiven". Frank Drake in seinem originellen Ozma-Versuch, Paul Horowitz im META (Megachannel Extraterrestrial Assay) Programm, das von der Planetary Society unterstützt wurde, die Gruppe an der Ohio Universität und viele andere Gruppen hatten alle ungewöhnliche Signale, die ans Herz gingen. Sie denken für einen Augenblick, daß sie ein echtes Signal hereinbekommen haben. In einigen Fällen haben wir nicht die geringste, verschwommenste Vorstellung, was es war; die Signale wiederholen sich nicht, In der nächsten Nacht richten Sie das gleiche Teleskop auf den gleichen Fleck am Himmel mit der gleichen Modulation und der gleichen Frequenz und Bandbreite, alles andere das Gleiche, und Sie hören nicht einen Ton. Sie veröffentlichen diese Daten nicht. Es mag eine Fehlfunktion des Detektionssystemes sein. Es mag ein vorbeifliegendes AWACS-Militärflugzeug sein, auf Frequenzkanälen sendend, die eigentlich für die Radioastronomie reserviert sind. Es mag ei-n medizinisches Gerät zur Wärmetherapie (engl. diathermy) um die Ecke sein. Es gibt da viele Möglichkeiten. Sie erklären nicht sofort, daß Sie außerirdische Intelligenz gefunden haben, nur weil Sie ein ungewöhnliches Signal auffingen.
Und wenn es wiederkehren würde, würden Sie es dann verkünden? Sie würden nicht! Vielleicht ist es eine Täuschung. Vielleicht ist es etwas, was in Ihrer Versuchsanordnung vorgeht, an das zu denken, Sie nicht klug genug waren. Sie würden stattdessen Wissenschaftler an einer Reihe anderer Radioteleskope anrufen und sagen, daß Sie an dieser besonderen Stelle am Himmel, auf dieser Frequenz und Bandbreite und Modulation und all dem Übrigen irgend etwas Komisches hereinzubekommen scheinen. "Könnten sie bitte danach suchen und schauen, ob sie etwas ähnliches empfangen"? Und nur wenn mehrere unabhängige Beobachter die gleiche Art Information vom gleichen Fleck am Himmel erhalten, nehmen Sie an, etwas zu haben. Sogar dann wissen Sie nicht, daß da etwa außerirdische Intelligenz ist, aber immerhin konnten Sie bestimmen, daß es nicht etwas Irdisches ist. (Und auch, daß es nicht etwas im Erdumfeld ist; es weiter weg ist als jenes. ) Das ist die erste Abfolge von Ereignissen, die nötig wären, um sicher zu sein, daß Sie wirklich ein Signal von einer außerirdischen Zivilisation empfangen hatten.
Bemerken Sie, daß da eine gewisse Disziplin eine Rolle spielt? Skeptizismus verlangt Verantwortung. Sie können nicht einfach losrennen, schreiend "kleine grüne Männchen", weil Sie am Ende recht dumm aussehen könnten, wie es den Sowjets mit CTA-102 erging, wenn es sich herausstellt, daß es etwas ganz anderes ist, Besondere Vorsicht ist notwendig, wenn soviel auf dem Spiel steht wie hier. Wir sind nicht gezwungen, uns eine Meinung zu bilden, bevor es bewiesen ist. Es ist in Ordnung, unsicher zu sein!
ich werde of t gefragt: "Denken Sie, daß es außerirdische Intelligenz gibt?", Ich antworte mit dem Standardargument - dort draußen sind viele Orte, und verwende das Wort Milliarden und so weiter. Und dann sage ich, es wäre für mich erstaunlich, wenn dort keine außerirdische Intelligenz wäre, aber natürlich noch gibt es -keinen überzeugenden Hinweis darauf, Und dann werde ich gefragt: 'Ja, aber was denken Sie wirklich?". Ich antworte: "Ich erzähle Ihnen eben, was ich wirklich annehme". 'ja, aber was -ist Ihr inneres Gefühl?". Aber ich versuche nicht mit meinen Inneren zu denken. Wirklich, es ist okay ein Urteil zurückzustellen, bis der Beweis da ist.
Nachdem mein Aufsatz "Die hohe Kunst der Unsinn-Erkennung" in "Parade" (l. Feb, 1987) erschienen war, erhielt ich, wie Sie sich vorstellen können, eine Menge Briefe. 65 Millionen lesen Parade. in dem Aufsatz gab ich eine lange Liste von Dingen, die, wie ich sagte, als "Unsinn erwiesen und anzunehmen" sind - dreißig oder vierzig Punkte. Fürsprecher all jener Ansichten waren einheitlich verärgert, so erhielt ich eine Menge Briefe. Ich gab auch sehr grundsätzliche Anweisungen, wie über Unsinn nachzudenken ist - Argumente, die sich nur auf Autoritäten berufen, funktionieren nicht, jeder Schritt in der Beweiskette muß gültig sein, und so weiter. Viele Leute schrieben zurück und sagten: "Sie haben absolut recht im allgemeinen; unglücklicherweise trifft dies aber nicht für meine besondere Lehre zu".
Zum Beispiel ein Briefeschreiber meint, die Vorstellung, daß intelligentes Leben außerhalb der Erde existiert, ist ein vortreffliches Beispiel für Unsinn. Er schloß: "Ich bin mir aus meiner Erfahrung darüber ganz sicher. Es gibt kein bewußtes Leben irgendwo sonst im Universum. Die Menschheit kehrt so an ihren rechtmäßigen Platz im Zentrum des Universums zurück".
Ein anderer Schreiber stimmte all meinen Allgemeinheiten zu, sagte jedoch, daß ich als eingefleischter Skeptiker meinen Verstand der Wahrheit verschlossen habe. Ganz besonders habe ich die Tatsache vernachlässigt, daß die Erde sechstausend Jahr alt ist. Gut, ich habe es nicht ignoriert; ich bedachte die angeführten Beweise und verwarf sie dann. Es gibt einen Unterschied, und dies ist ein Unterschied, sollten wir sagen, zwischen Vorurteil (prejudice) und Urteil (postjudice). Vorurteil heißt, eine Beurteilung zu treffen, bevor Sie auf die Fakten geschaut haben. Ein Urteil ist eine Beurteilung danach, Vorurteil ist schrecklich in dem Sinne, daß Sie Ungerechtigkeiten begehen oder daß Sie ernsthaft Fehler machen. Ein Urteil ist nicht schrecklich. Natürlich können Sie nicht perfekt sein; Sie mögen auch Fehler begehen. Aber es ist erlaubt eine Beurteilung zu treffen, nachdem Sie die Beweise untersucht haben. In einigen Kreisen wird dazu sogar ermutigt.
Ich glaube, zu einem Teil wird die Wissenschaft vom Durst nach Wundersamem vorangetrieben. Es ist eine sehr mächtige Gemütsbewegung. Alle Kinder fühlen es. In einer Klasse von Schulanfängern fühlt es jedermann; in einer Abiturklasse fühlt es fast niemand, oder zumindest gibt es niemand zu. Irgendetwas passiert zwischen Schulanfang und -ende, and es ist nicht nur die Pubertät. Nicht nur, daß die Schulen und die Medien nicht viel über Skeptizismus lehren, es gibt dort auch wenig Ermunterung zu diesem anregenden Gefühl für Wunder. Wissenschaft und Pseudowissenschaft erregen beide jenes Gefühl. Schlechte Öffentlichkeitsarbeit der Wissenschaft schafft eine ökologische Nische für Pseudowissenschaft. wenn Wissenschaft dem Normalbürger in zugänglicher und aufregender Weise erklärt würde, wäre kein Platz für Pseudowissenschaft. Da gibt es aber wohl eine Art von Gresham's Gesetz, nachdem in leichtfaßlicher Form die schlechte Wissenschaft die qualitätsvolle verdrängt. Dafür, glaube ich, müssen wir verantwortlich machen erstens uns selbst als wissenschaftliche Gemeinschaft, da wir es nicht besser fertig bringen, Naturwissenschaft populär aufzubereiten, und zweitens die Medien, die unter diesem Gesichtspunkt fast einheitlich schrecklich sind. Jede Zeitung in Amerika hat eine tägliche Astrologiespalte. Wie viele haben nur eine wöchentliche Astrologiespalte? Und dann, meine ich, ist es auch der Fehler des Erziehungssystemes. Wir lehren nicht nachzudenken. Dies ist ein sehr ernstes Versagen, das sogar die Zukunft gefährden rnag in einer Welt, aufgerüstet mit 60.000 Atomwaffen.
Ich behaupte, es gibt viel mehr Wunder in der Wissenschaft als in der Pseudowissenschaft. Und mehr noch, in welchem Maße dieser Ausdruck auch Bedeutung haben mag, Wissenschaft hat den weitergehenden Vorzug - und es ist ein nicht zu vernachlässigender - wahr zu sein.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von C.H. Roß, M. Mahner.
Dieser Artikel ist aus seinem Hauptvortrag anläßlich der CSICOP-Konferenz am 3.-4. Apr. 1987 in Pasadena hervorgegangen und in "The Skeptical Inquirer" XII Vol. 1 abgedruckt.
Dieser Beitrag erschien im "Skeptiker" 1/1988.