Interview mit Amardeo Sarma
Der Diplom-Ingenieur Amardeo Sarma studierte Elektrotechnik am Indian Institute of Technology (Delhi) und an der Technischen Hochschule Darmstadt. Derzeit ist er Senior Manager bei NEC Network Laboratories. Amardeo Sarma ist Fellow und Mitglied des Exekutivkomitees von CSI (Committee for Skeptical Inquiry, ehemals Committee for the Scientific Investigation of Claims of the Paranormal, CSICOP). Der 51-Jährige ist Gründungsmitglied der GWUP und seit 20 Jahren ehrenamtlich als Geschäftsführer der Organisation aktiv.
Zunächst würden wir gern etwas mehr über Ihren Werdegang erfahren. Wo sind Sie aufgewachsen?
Ich wurde in Deutschland geboren, wuchs aber seit dem dritten Lebensjahr weitgehend in Indien, dem Heimatland meines Vaters, auf. Seit meinem 22. Lebensjahr lebe ich wieder in Deutschland.
Und welche Erlebnisse in ihrem Leben haben Sie besonders geprägt?
Geprägt hat mich die gleichzeitige Einwirkung verschiedener, zum Teil gegensätzlicher Kulturen, Religionen und säkularer Einflüsse. Als Kind haben mich besonders Astronomie, Evolutionsgeschichte und die Vielfalt der Tierwelt einschließlich der ausgestorbenen Tierarten fasziniert. Großen Einfluss hatten auch meine Familienbesuche im Haus des Physik-Nobelpreisträgers C. V. Raman auf dem Gelände des Raman Research Institute in Bangalore in den Jahren 1968 bis 1970. Er zeigte mir dort das erste Mal den Planeten Saturn im Teleskop und empfahl mir, doch später Astronomie zu studieren. Ein dickes Astronomie-Buch wollte er mir schenken, wenn ich ihm das versprechen würde, was ich aber nicht konnte. Raman hielt wenig von „Parawissenschaften" und religiösen Feierlichkeiten, auch wenn er sich andererseits stets traditionell (mit Turban) kleidete. Meine Großmutter war einer seiner Cousinen, stammte wie er aus dem Dorf Mangudi, nahe Tirunelveli in Süden von Tamil Nadu, und war mit seiner Frau befreundet.
Wie kamen Sie zur Kritik an den Parawissenschaften?
In meiner Jugend führte mich das Interesse an Wissenschaft auch an Thesen heran, die ich zunächst fälschlicherweise für wissenschaftlich hielt, wie die Ansätze Erich von Dänikens oder das „Rätsel um das Bermuda-Dreieck". In den ersten Studienjahren in Delhi wurde ich sogar im Studentenkreis zu okkulten Sitzungen eingeladen. Aber immer wieder hörte ich von der Kritik an diesen Dingen, und kurz nach meinem Bachelor-Abschluss in Delhi und während meines Weiterstudiums in Darmstadt erhielt ich von meinem Bruder das Buch von Lawrence Kusche: „The Bermuda Triangle Mystery - Solved (dt.: „Die Rätsel des Bermuda-Dreiecks sind gelöst!", Rowohlt, Reinbek 1980). Hierdurch und durch weitere Kritiken an Parawissenschaften fühlte ich mich nachträglich durch die fehlende Verfügbarkeit kritischer Literatur betrogen. Warum hatte ich nicht früher (und konkret) von dieser Kritik gehört?
Von großer Bedeutung war für mich sicherlich die erste Ausgabe des Skeptical Inquirer, die ich in die Hand bekam (Heft VI-3, Frühjahr 1982). Sie behandelte ein für mich sehr spannendes Thema: Das Titelbild zeigte einen Gesichtsabdruck auf Textil, den Joe Nickell hergestellt hatte. Auf diese Weise hatte Nickell demonstriert, dass ein Körperabdruck wie auf dem Turiner Grabtuch durch technische Mittel erzeugt werden kann, dass es für das Bild also keiner übernatürlichen Erklärung bedarf. Hauptthema des Heftes war „Shroud Science".
Gleichzeitig beschäftigten sich andere Personen in Deutschland auf ganz unterschiedliche Weise kritisch mit Parawissenschaften, so zum Beispiel Prof. Prokop und Frau Prof. Oepen (siehe Interview auf S. 106-108 in diesem Heft) mit Außenseitermethoden der Medizin und Wolfgang Hund mit Jugendokkultismus.
Die US-Skeptikerorganisation CSICOP (später: CSI) und ihr Magazin Skeptical Inquirer existierten ja bereits seit 1976, in Deutschland war die Organisation jedoch noch wenig bekannt. Das änderte sich, als Douglas R. Hofstadter 1982 in einem Zeitschriftenartikel auf den Skeptical Inquirer aufmerksam machte. Der Beitrag erschien in der Februar-Ausgabe von Scientific American, Spektrum der Wissenschaft veröffentlichte die deutsche Übersetzung in der April-Nummer desselben Jahres unter dem Titel „Wissenschaft und Aberglaube: Ein Kampf zwischen David und Goliath". Dieser Artikel gab CSI COP einen starken Schub. Möglicherweise gäbe es ohne diesen Artikel weder die GWUP noch viele andere ähnliche Organisationen weltweit.
War dies die Initialzündung für die Gründung einer deutschen Skeptikerorganisation?
Nicht unmittelbar, aber Hofstadters Artikel weckte das Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit Parawissenschaften. Zahlreiche Personen, unter anderem einige spätere Gründungsmitglieder der GWUP, abonnierten daraufhin den Skeptical Inquirer.
Im Herbst 1986 wandte sich der damalige Executive Director von CSICOP, der Australier Mark Plummer, an die Abonnenten den Skeptical Inquirer in Europa. Plummer regte die Abonnenten an, untereinander Kontakt aufzunehmen und regionale Aktivitäten zu starten. Aus Deutschland meldeten sich 20 Personen, und ich wurde gebeten, den Kontakt unter den Interessenten herzustellen. Ich erfuhr auch die Namen von zwei weiteren Interessenten, Gerd Hövelmann aus Marburg und CSICOP-„Scientific Consultant" Frederik A. Friedel, mit denen ich damals einige Gespräche führte. Über Hövelmann erhielt ich die Kontaktdaten von Frau Prof. Oepen. Ferner sprach ich einige interessierte Personen in meinem Umfeld an, darunter Manfred Körkel. Nach vielen Briefwechseln war es dann so weit: Ich lud ein zu einem Treffen im Hotel Bockshaut in Darmstadt am 7. Februar 1987, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Es kamen insgesamt zehn Personen: Ich traf Helmut Heil, Prof. Robert König, Dipl.-Ing. Manfred Körkel, Ing. grad. Heinz Lenk, Dipl.-Ing. Gerhard Maierhöfer, Prof. Irmgard Oepen, Carl Heinz Ross, Hans-Joachim Schugk und Walter Turner.
Wie kam es nun zur Gründung des Vereins?
Wir wollten zunächst keinen Verein gründen, sondern eher als lockere Arbeitsgemeinschaft agieren: Die „Arbeitsgemeinschaft der Skeptiker zur Untersuchung von Pseudowissenschaften und Okkultem" (ASUPO), die schon damals beschloss, die Zeitschrift Der Skeptiker herauszugeben, zunächst noch im A5-Format. Ich übernahm die Koordination der ASUPO, Gerhard Maierhöfer wurde erster Redakteur des Skeptiker. Die Produktion erfolgte mit ganz einfachen Mitteln. Zunächst wurde sie mit der damaligen Version von Microsoft Word erstellt und dann im Offsetverfahren gedruckt. Für die Vorlagen der ersten A4-Ausgaben Mitte 1988 benutzten wir das Atari-Programm Signum und einen Nadeldrucker.
Im Mai 1987 besuchten Mark Plummer und Wendy Grossmann, die für die britischen und irischen Skeptiker arbeitete, im Rahmen ihrer Unterstützungsarbeit für die neu entstandenen europäischen Skeptiker-Gruppen auch Deutschland, und wir nutzten die Gelegenheit für ein erstes Treffen am 30. Mai in den Räumen der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Gastgeber war Prof. Dr. Robert König. Dr. Schugk hielt einen Vortrag über das umstrittene Erdstrahlenprojekt, das durch das damalige Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) gefördert und durch die Münchner Professoren H.-D. Betz und H.-L. König durchgeführt wurde. Später sollte der Projektantrag bewilligt werden und Anlass zu einer der größten GWUP-Aktionen werden (siehe Skeptiker 1/1991).
Die Diskussionen bei diesem Treffen bestärkten uns darin, doch einen „eingetragenen Verein" zu gründen, als Termin wurde der 11. Oktober festgelegt: Um diese Tage sollte auch die erste Konferenz abgehalten werden. Knapp 30 Personen gründeten am 11. Oktober in Bonn in einem türkischen Restaurant (wo auch die Tagung stattfand) die GWUP. Darunter waren u. a. der heutige Leiter des Zentrums Dr. Martin Mahner und der spätere Skeptiker-Redaktionsleiter Edgar Wunder. Weitere bekannte GWUPler der Gründerzeit sind Dr. Jürgen Windeler, Werner Walter, Ralf Wambach, Dr. Hans Richter und viele mehr, die uns seit 20 Jahren unterstützen.
Wie war die Stimmung in der neu gegründeten Gruppe?
Unsere Treffen waren geprägt von Aufbruchsstimmung und Gemeinschaftsgeist. Nicht wenige von uns hatten die Erfahrung gemacht, dass die kritische Beschäftigung mit unseren Themen im Bekannten- und Kollegenkreis zu Befremdung oder gar klarer Ablehnung führte. Die GWUP dagegen bot erstmalig ein Forum zum sachlichen Austausch. Hinzu kommt, dass die Zeit reif war für eine organisierte „Stimme der Vernunft". Im Gegensatz zu heute war fundierte Parawissenschaftskritik meist schwer zugänglich und zudem stark in den Fachdisziplinen verhaftet. Wir wollten die Erkenntnisse und Methoden der Wissenschaften auf Parawissenschaften anwenden und die Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit mitteilen.
Welche Rolle spielte die erste Präsidentin der GWUP, Frau Prof. Irmgard Oepen, in der GWUP?
Die Rolle von Irmgard Oepen war eine sehr herausragende. Durch sie wurde mir und anderen klar, dass wir unsere Aufgaben nicht auf die intellektuelle Aufklärungsarbeit beschränken können, die mich vor allem angetrieben hatte. Es musste der soziale Aspekt der Verantwortung hinzukommen. Besonders im medizinischen Bereich stehen häufig Glück, Gesundheit und manchmal auch das Leben der Betroffenen auf dem Spiel. Irmgard Oepen brachte vor allem diesen Verbraucherschutz-Aspekt in die GWUP herein. Fortan ging es immer mehr darum, auch den Schutz der Verbraucher und Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, damit bei ihnen keine falschen Hoffnungen geweckt werden und damit sie vor allem keine notwendigen und wirksamen Maßnahmen versäumen, weil sie beispielsweise unreflektiert auf die Wirkung der Homöopathie vertrauen.
Die GWUP war von Anfang an sehr interdisziplinär ausgerichtet, zu den Aktiven gehören damals wie heute Ingenieure, Mediziner, Psychologen, Pädagogen, Physiker und Vertreter anderer Fachrichtungen. Was war die Motivation für solch eine heterogene Gruppe?
Ich denke, es war vor allem die Tatsache, dass wir gemeinsam erfolgreicher und effizienter sind. Es gab genug zu tun, und die ersten Aktiven nahmen Themen auf, die sie für wichtig hielten. Viele waren froh, endlich ein Forum zu finden, wo man über Fachgrenzen hinweg kritisch über solche Dinge sprechen konnte.
Bei den allermeisten unserer Themen kommen wir durch einen interdisziplinären Dialog zu den besten Ergebnissen. Zwei Beispiele: Ein Psychologe und ein Physiker etwa können jeweils andere Aspekte von Psi-Phänomenen erklären und tragen gemeinsam mit Vertretern weiterer Disziplinen dazu bei, das Thema besser zu verstehen. Ebenso ist Homöopathie nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch und physikalisch zu betrachten.
Titel der ersten Skeptiker-Ausgabe 1987 |
Wie hat sich die GWUP in den letzten 20 Jahren entwickelt?Sind Ihre persönlichen Erwartungen erfüllt worden?
Die GWUP hat sich in diesen 20 Jahren als kritische Stimme etablieren können und hat damit meine damaligen Erwartungen klar übertroffen. Dennoch glaube ich heute, dass wir unser Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft haben. Es bleibt schwierig, in einer Zeit hoher beruflicher Belastungen Ehrenamtliche zu finden, die viel Zeit investieren können, zumal man hiermit weder im beruflichen noch im privaten Umfeld viel Lorbeeren ernten kann. Als Meilenstein ist daher die Schaffung unseres Zentrums für Wissenschaft und kritisches Denken mit dem hauptamtlichen Leiter Dr. Martin Mahner zu nennen. Dennoch wäre die GWUP ohne ihre hochkompetenten und engagierten ehrenamtlich Aktiven nicht dort, wo sie jetzt ist. Ich bin darauf sehr stolz und möchte allen danken, die die GWUP zu dem gemacht haben, was sie heute ist.
Wie kam es zu dem Namen GWUP?
Favorisiert wurde der Name „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften". Prof. König äußerte sich damals klar gegen das Wort „paranormal" im Namen und nahm somit vorweg, was die amerikanische Skeptiker-Organisation CSICOP mit ihrer Namensänderung in CSI (Committee for Skeptical Inquiry) im letzten Jahr getan hat. Wir wollten uns eben nicht nur auf paranormale Phänomene beschränken. Viele pseudowissenschaftliche Behauptungen kommen ohne Verweis auf das „Paranormale" aus. Bei Ufos, Bigfoot und Kreationismus geht es ja nicht um paranormale Phänomene. Auch der Teil „Untersuchung von Parawissenschaften" stellt klar, dass es nicht nur um das Testen von Phänomenen und Behauptungen geht, sondern um die Untersuchung und Bewertung der Parawissenschaften selbst, ihre Wissenschaftlichkeit und ihre Vorgehens- und Argumentationsweisen.
Manche Kritiker werfen der GWUP vor, dass sie „keine eigenen Untersuchungen durchführt"...
Einige halten uns bis heute für einen Verein zur Durchführung von Experimenten im Labor, um uns dann vorzuwerfen, wir würden dem selbstgesteckten Anspruch nicht gerecht oder uns fehle generell die Kompetenz bei Fragen zu Parawissenschaften. Aber solche Vorwürfe sind aus meiner Sicht Nebelkerzen. Zum einen führen wir durchaus mit unseren bescheidenen Mitteln Untersuchungen durch (Wünschelrutentest in Kassel, regelmäßige Psi-Tests in Würzburg, siehe dazu auch den Bericht auf S. 137-139). Zum anderen mangelt es bei vielen Themen nicht an wissenschaftlichen Daten oder Untersuchungen, sondern an einer verständlichen und klaren Aufbereitung der vorhandenen Informationen für das interessierte Nicht-Fachpublikum.
Deshalb konzentrieren wir uns mit unseren wirklich sehr knappen Ressourcen auf die allgemein verständliche Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie die Anwendung und Beurteilung der Phänomene aus wissenschaftlicher Sicht. Unsere Arbeit findet daher im Rahmen einer wesentlich breiter verstandenen Untersuchung statt, wozu auch die Prüfung der inneren und äußeren Konsistenz sowie Plausibilitätsanalysen und vieles mehr gehören. Ein Beispiel: Um Logikfehler in einer Argumentation zu erkennen, braucht es keine Labortests.
Was hat die GWUP in 20 Jahren erreicht?
Wir haben einiges erreicht: Die GWUP ist stetig gewachsen und ist aus der Szene nicht mehr wegzudenken. Wir geben jetzt seit 20 Jahren den Skeptiker heraus, veranstalten jährlich eine Tagung und sind im Internet sehr erfolgreich mit unseren Informationen präsent. Viele Regionalgruppen sind vor Ort aktiv und organisieren Vorträge und andere Veranstaltungen. Die Medien kennen und nutzen uns als Ansprechpartner, unsere Mitglieder werden als Experten eingeladen. Schauen wir uns auch die Zahl der kritischen Bücher und Artikel an, die von unseren Mitgliedern geschrieben worden sind! Wir haben eine große Menge an kritischen Informationen gesammelt, die wir Interessenten anbieten können.
Und wo sehen Sie die Zukunft der GWUP?
Aus meiner Sicht sind für die Zukunft zwei Schwerpunkte zu nennen. Erstens gibt es im Bereich Bildung viel zu tun. In der Schule werden fragwürdige Verfahren wie die Edu-Kinestetik an Schülern angewandt, und es gibt Versuche, Pseudowissenschaften wie den Kreationismus oder Intelligent Design zu etablieren. Stattdessen sollten wir anstreben, kritisches und wissenschaftliches Denken verbindlich in den Lehrplan zu integrieren und damit neben dem Fachwissen auch Methodenwissen und seine Anwendbarkeit auf das Alltagsleben zu vermitteln. Zweitens sollten wir uns stärker auf die Bereiche konzentrieren, für die uns Prof. Irmgard Oepen sensibilisiert hat: fragwürdige „Theorien", auf deren Basis Menschen Vermögen, Beruf, Glück und Gesundheit auf Spiel setzen. Damit füllen wir eine wichtige Lücke. Während andere Organisationen den Verbraucher- und Patientenschutz vernachlässigen oder sogar mit den Para-Anbietern gemeinsame Sache machen, lassen wir die Betroffenen nicht allein.
Ich wünsche mir aber vor allem, dass wir noch mehr Frauen für uns gewinnen können. Das würde uns gerade bei den soeben genannte Themen sehr helfen. Ich glaube insgesamt, dass der GWUP die Themen nie ausgehen werden, lediglich die Schwerpunkte ändern sich mit der Zeit. Daher benötigen wir auch zukünftig die Unterstützung von engagierten Aktiven.
Interview: Rouven Schäfer
Dieser Artikel erschien im Skeptiker 3-4/2007.