Affenzirkus, Pantherjagd und Krokodilalarm
Im Jahre 2001 wurden Großstädte, Badeseen, Flüsse und Wälder zur freien Wildbahn für mysteriöse Kreaturen. Während in Indien ein „Affenmann“ die Bevölkerung in Atem hielt, sorgte in Deutschland neben den schwarzen Panthern (Skeptiker 2/01) vor allem das „Rhein-Krokodil“ für Schlagzeilen
Mark Benecke, Silke Teichmann
Wegen der großen Hitze schlief ich auf dem Flachdach meines Hauses. Plötzlich ein Schatten, dann sah ich ein Ungeheuer weglaufen“, berichtete Vinard Kumar Yadav (19) atemlos in der Bild-Zeitung vom 27. 5. 2001. Zu diesem Zeitpunkt tobte ein mysteriöses Wesen schon in der achten Woche durch Indien. Der Terror hatte am Stadtrand von Delhi begonnen, wo laut Polizeibericht „ein Affe oder ein Mann mit Affenmaske“ die Menschen biss und kratzte. „Komisch, dass keines der Opfer an Tollwut erkrankt“, erklärten die Behörden da noch misstrauisch, „das passiert doch sonst immer“.
Ende April hatten die Bewohner von Kela Bhatta eine Kreatur mittels Schüssen in die Luft vertrieben, in der folgenden Nacht erschien sie drei Arbeitern auf einer Straße in Anand Vihar. „Das Geschöpf wollte uns töten“, gaben die verschreckten Männer zu Protokoll, „außerdem redete es im Bhojpuri-Sprachdialekt“. Am 10. 5. schaute dann erstmals ein Mensch dem Störenfried direkt ins Gesicht. Vineet Sharmas Großmutter, so berichtet es zumindest ihr gerade volljähriger Enkel, sah das „einen Meter vierzig große Geschöpf, das aussieht wie ein Schatten mit Affengesicht. Außerdem hat es rot glühenden Augen.“
Die Tatsache, dass in der Folgezeit manchmal zwei Affenmänner, dann wieder eine „wie eine Mumie weiß bandagierte Gestalt“ (Aussage von Chandrawati Singh, der Ehefrau des Homöopathen Dr. Singh aus Delhis Stadtsektor 22) und schließlich sogar ein zu Tode erschreckter Dieb mit Affenmaske („Ich habe niemanden verletzt“) gefunden wurden, stiftete zunächst keinen Unfrieden. Die ersten und einzigen Todesopfer des Monkey Man waren angeblich ein Eisenbahner und ein Obdachloser, die allerdings Hunderte von Kilometern voneinander entfernt gefunden wurden und beide schwere Schädelverletzungen aufwiesen. Zeugen hatten jeweils „einen Schatten“ in der Nähe der Opfer gesehen.
Sogar in der seriösen Times of India schwankte die Bewertung der Ereignisse anfangs. Berichte und Anfragen der britischen Boulevard-Zeitung The Sun wurden patzig mit der Bemerkung kommentiert, jeder Dritte in England glaube schließlich auch an die Auferstehung Jesu Christi. Als das Tier dann aber nachts Metallklauen schwingend auf einem Skateboard gesichtet wurde, hatte die Stunde von skeptischen Aufklärern wie Sanal Edamaruku erstmals auch in Indien geschlagen, die in Fernsehen und Zeitungen zur Vernunft riefen. Auch der Leiter des Zoologischen Gartens in Delhi erläuterte, dass ein Affe der gesichteten Art im gesamten Umkreis nicht existieren könne, und die international geschätzte Anthropologin Arun Sonakia gab abschweifend, aber wissenschaftlich korrekt zu Protokoll, dass der Mensch sowieso nicht vom Affen abstamme.
Bei der Polizei war bereits am 19. 5. das Fass übergelaufen. Seit diesem Tag nahm sie Menschen, die aus Armen-Siedlungen unbegründete Affenmannsichtungen meldeten, einfach fest. Unschön war, dass das zuletzt sechs Meter große Monster noch mehrere Verkehrsunfälle verursachte und bis zum 15. 6. über hundert Verletzte auf die Polizeiwachen hetzte. Seither ist Ruhe in Delhi.
Die englische Fortean Times, humorig-trockenes weltweites Zentralorgan für Skurriles und Absurdes, kassierte den Affenmann im Auftrag der Leserinnen und Leser sofort mit der ihr eigenen Nonchalance ein. Die rotglühenden Augen seien ein klarer Hinweis darauf, dass es sich um eine „fortianische Entität“ handele. Dieser schicke Begriff leitet sich von dem amerikanischen Exzentriker Charles Fort (1874–1932) ab, der angeblich als erster ungezwungen alle Berichte zu scheinbar paranormalen Erscheinungen in großem Stil sammelte. Die beiden anderen Wesen aus der forteanischen Rotaugen-Liga sind der Mottenmann und das Black Shuck. Während der eher ungefährliche Moth Man erstmals am 14. 11. 1966 in West Virginia auftauchte, wo er seither als Mischung aus Fledermaus und Nachtfalter umhergeistert, ist das Black Shuck schon gruseliger. Das rindsgroße, schwarze Wesen ist seit Ewigkeiten nachts in Norfolk, East Anglia, und Devon zu sehen. Und obwohl es häufig ohne Kopf herumirrt, „leuchten trotzdem dort, wo die Augen sein müssten, grüne, rote oder gelbe Flammen“. Dieses Feuer brennt allerdings nur, wenn Menschen mit einer Lampe in Richtung des raschelnden Ruhestörers leuchten. Daher glauben Naturwissenschaftler, dass es sich am ehesten um die sehr typische Rückstrahlung des Kunstlichts vom Augenhintergrund wilder Tiere handeln muss. Langweilige Spielverderber?
Für folkloristische Betrachtungen war in deutschen TV-Stationen keine Zeit. Auf der Suche nach ordentlicher Affenmann-Footage – die Bilder sollten bewegt sein – kramte eine gutmütige RTL-Archivarin ein Stück Zelluloid heraus, das ebenfalls einen trampelnden Zottel zeigte – nämlich die bekannte, verwackelte Mini-Doku des angeblich 1967 in den USA von Roger Patterson gefilmten Bigfoot. So schaffte es auch der rasch recycelte Bigfoot im Zuge der Affenmann-Berichterstattung am 17. 5. 2001 noch einmal in die Abendnachrichten, um zu illustrieren, dass Affenmänner alle Jahre wiederkommen, und außerdem der Fantasie der zweifelnden Zuschauer ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Auch die Bild-Zeitung konnte sich der verlockenden Footage nicht erwehren, nahm ein Bild aus demselben Filmchen, untertitelte es aber im Gegensatz zum korrekt vertonten RTL-Bericht mit der glatt gelogenen Bildunterschrift: „Das erste Foto des mysteriösen Affenmenschen, der Neu-Delhi in Panik versetzt“.
In den Abend-Nachrichten des größten deutschen TV-Privatsenders RTL verrieten die beiden Autoren des hier vorliegenden Artikels schon am 17. 5. 2001, dass die Verletzungen der angeblichen Opfer kein bisschen wie typische Affenbisse oder -kratzer aussahen und mutmaßten, was viel eher im Affenfell stecken könnte: Ein Mensch – oder ein Hirngespinst. Deshalb suchten sie Bilder von Fabelwesen aus dem 16. Jahrhundert heraus, denn schon damals waren Affenmenschen bekannt. Doch erst weiter eintrudelnde Affen-Meldungen ließen beim Autor (MB) die schlussendliche Glocke klingeln: Abgesehen davon, dass ausgerechnet jugendliche Schelme sowie fast ausschließlich sehr arme Inder, die sich mit ihrer Geschichte ein paar Rupien verdienen konnten, das Monster sichteten, kam mir auch der mittlerweile in indischen Zeitungen favorisierte Verdacht, es handle sich in Wahrheit um einen verkleideten Spion, seltsam bekannt vor. In staubigen Bücherbergen fand sich die Lösung: Vor Jahren hatte der sowjetische Sanitäts-Oberstleutnant V. S. Karapetjan seiner Kollegin Dr. Marie-Jean Kofman erzählt, dass er im Zweiten Weltkrieg in der Nähe der Stadt Buinaksk einen Affenmenschen untersucht habe. Sein Auftrag: Festzustellen, ob diese Kreatur – jawohl – ein „verkleideter Spion“ sei.
„Es war zweifelsfrei kein verkleideter Mensch sondern ein wilder Mensch irgendeiner unbekannten Art. Er stand vor mir wie ein Riese und reckte mir seine mächtige Brust entgegen. Brust, Rücken und die Schultern waren von zottigen Haaren dunkelbrauner Farbe bedeckt. Er war insgesamt beträchtlich größer als alle Bewohner dieser Gegend“, soll der Offizier gesagt haben.
In der ehemaligen Sowjetunion wurden Affenmänner also schon lange vor den Ereignissen in Indien regelmäßig gesichtet und mit bizarr klingenden Legenden geadelt, und zwar im riesigen Faltengebirge, das von Turkestan im Westen über ehemalige Sowjetgebiete bis nach China im Osten reicht. Aus dem Altaigebirge und der südlichen Mongolei werden Affenmänner ebenso berichtet wie aus dem Kaukasus, und so erklärt es sich auch, dass die Berggeschöpfe unter Dutzenden von Namen, besonders als mongolische „Alma“, bekannt sind. Der Glaube an sie saß so tief, dass zwei Universitätsprofessoren in der Mongolei und Russland sogar noch bis Ende der siebziger Jahre Hinweise auf die Tiermenschen sammelten. Schon damals waren die Almas stets groß und breitschultrig. Und sie hatten auch immer glühende Augen.
In China leben die fremden Wesen hingegen gerne auf Bäumen und bauen Nester. In den USA taucht der Bigfoot (Sasquatch) zwar mittlerweile eher als humoristische Gestalt auf, im April 2001 wurden laut New Scientist von einer Expedition um den Zoologen Robert McCall aber auch angebliche Haare und Kratzspuren des Wesens (allerdings an einem Baumstamm in Bhutan) gefunden. „Wir konnten daraus DNA extrahieren“, berichtete der ebenso bekannte wie umstrittene Oxforder Molekularbiologe Bryan Sykes, „aber sie gleicht nicht der von einem anderen Lebewesen, das wir kennen.“ So etwas sei ihm noch nie passiert. Die allzu flinke Schlussfolgerung der Expedition: Die Haare stammen vom lange gesuchten Bigfoot, der Einheimischen zufolge in der Gegend haust.
Während der Monkey Man aus Delhi seinen kurzen Zug durch die Weltpresse machte, trieb auch in Sri Lanka (wiederum laut Bild-Zeitung) zur selben Zeit ein anderer wildgewordener Affe sein Unwesen. Das angeblich sexbesessene Monster versetzte nicht nur Frauen in Panik, sondern auch Kioskbesitzer. Das Geschöpf klaute nachts immer Schokolade – vielleicht als Affrodisiakum?
Ach ja, Fußspuren des Affenmenschen wurden bei den jüngsten Affenereignissen nicht gefunden – keine einzige. Und so hat die Fortean Times wohl doch das letzte Wort: „Vermutlich wird sich die ganze Sache mit einem Ruck und ohne für die Polizei eindeutige Erklärung in Luft auflösen. Wie dem auch sei – wir berichten weiter.“ Viel Vergnügen!
Autoren: Mark Benecke (International Forensic Research Consulting, Köln) und Silke Teichmann (RTL TV, Nachrichtenredaktion, Köln)
Quellen
Affenmann:
- Times of India, www.timesofindia.com/, 7.–25. 5. 2001 (Autoren: Rashmee Z. Ahmed, Sudeshna Chatterjee, Arun Kumar Das, Vinay Kamat, Lalit Kumar, PTI, S. Raghunath, Parmindar Singh, The Times of India News Service)
- Fortean Times, Mai (#147) und Juni (#148, S. 8-9), 2001
- RTL Aktuell (Abendnachrichten) vom 17. 5. 2001 (Autorin: Silke Teichmann)
- RTL Aktuell (Abendnachrichten) vom 24. 5. 1993
- Süddeutsche Zeitung Nr. 144/2001 vom 26. 6. 2001, Seite V2/11 (Wissenschaft) (Autor: Mark Benecke)
- FAZ, 21. 5. 2001, S. 11 (Autor: AFP)
- FAZ, 30. 5. 2001, S. 52 (Autor: Martin Kämpchen)
- Die größten Rätsel unserer Welt, S. 254 ff., Deutscher Bücherbund, Stuttgart, 1989 (Autor: Felix Paturi)
- BILD online 17. 5. 2001, 18. Mai 2001
- Stuttgarter Zeitung online, 19. 5. 2001
- AFP, 19. 5. 2001 (Meldungs-ID: AFP 191402 Mai 01, Autoren: ho/ilo)
- New Scientist online, 2. 4. 2001 (Autor: Andy Coghlan)
Mottenmann:
- http://www.mothmanlives.com/
- ttp://www.bigfella.com/violent.dir/mothmn.html
- http://www.geocities.com/SunsetStrip/Alley/7982/moth.htm
Black Shuck:
- http://www.norfolkcoast.co.uk/ml_blackshuck.htm
- http://www.angelfire.com/hi/nightterror/blackshuck.html
Internet-Tipps
- http://www.benecke.com
- http://skepdic.com/bigfoot.html
- http://www.strangemag.com
- http://www.izoo.org/isc/
- http://www.uni-mainz.de/~meyec012/studium/yeti.html#3
- http://www.cryptozoology.com
Für Magin sind Yetis, Affenmenschen, Naturelfen, Kobolde und ähnliche Wesen „archetypische und mythische Erlebnisse der lebendigen Tradition eines Volkes“. So genannte fortianische Phänomene seien Ausflüge in das „Wunderland“ des Schriftstellers Lewis Carroll, „in dem die Dinge eine andere Bedeutung haben und das Alltägliche nicht mehr wiedererkannt wird. Etwas passiert im Kopf der Zeugen, wenn sie das, was sie undeutlich gesehen haben, mit etwas Bekanntem zu verbinden suchen. Sind die Erfahrungen bei aller Authentzität häufig vage – etwa die Begegnung mit der ungezähmten Natur –, so sind es die Deutungen nicht: Sie sind immer geprägt von Moden und den Denkmodellen des Zeitgeistes. Helle Lichter am Himmel waren erst Geister, dann Feuerdrachen und heute sollen es Raumschiffe sein. Drachen waren Wassergötter, dann unchristliche Monstren, später noch zu entdeckende Tiere und im evolutionstheorie-begeisterten 19. Jahrhundert überlebende Dinosaurier.“ Und so lebe auch der Berggeist Rübezahl noch immer fort als „Yeti auf dem Rhonegletscher“. Bernd Harder
Dass es auf der Erde einen Riesenaffen à la „King Kong“ von der Größe eines Hochhauses gibt, verhindert allein schon die Schwerkraft: „Wenn man sich einen Gorilla um das Zehnfache vergrößert vorstellt und die Proportionen beibehält, bedeutet dies, dass die Abmessungen – Länge, Breite und Höhe – um das Zehnfache wachsen“, erklärt das Magazin bild der wissenschaft. „Das Volumen dieses Riesen stiege entsprechend mit der dritten Potenz an und würde das Gewicht auf das Tausendfache erhöhen. Die Querschnittsflächen der Knochen, die das Gewicht tragen, würden aber nur quadratisch zunehmen, also um das Hundertfache wachsen. Der Druck würde sich demnach bei einer Verzehnfachung aller Abmessungen ebenfalls verzehnfachen. Das Ergebnis: King Kong könnte nicht etwa zehnmal schneller laufen wie sein kleiner Bruder, sondern er würde schon nach dem ersten Schritt zusammenbrechen.“
Auch eine Fliege von einem Meter Größe würde am Boden kleben wie ein Felsklotz: Die Flügelflächen hätten sich zwar um das Zehntausendfache vergrößert, dafür aber wäre das Insekt um eine Million Mal schwerer geworden. Die Monsterechse Godzilla könnte in Wirklichkeit ebenfalls nicht buchstäblich in den Himmel wachsen: „Denn mit zunehmender Größe wandert der Schwerpunkt eines Körpers nach oben. Ein großes Lebewesen, das sich auf zwei Beinen fortbewegt, benötigt daher einen feinen Gleichgewichtssinn und motorische Fähigkeiten, damit es nicht stürzt. Außerdem braucht es ein Herz, das noch den höchsten Punkt – normalerweise das Gehirn – mit Blut versorgt. Große Tiere laufen daher meist auf vier Beinen. Damit ist einerseits ihre Körperachse horizontal ausgerichtet, was die Pumpleistung des Herzens weniger beansprucht, und andererseits haut sie nichts so leicht um.“ Bernd Harder
Literatur: Bührke, K.(1999): King Kong unter Druck. In: „bild der wissenschaft“ 10/99, S. 58-60
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 4/2001.