07.04.2010 (GWUP) - Gute Nachrichten aus England: Simon Singh, der bekannte Wissenschaftsautor, hat gegenüber der British Chiropractic Association (BCA) einen Teilsieg errungen. Die BCA hatte ihn wegen Verleumdung verklagt, weil er die Anwendung der Chiropraktik kritisiert hatte. Seiner Meinung nach schadet die Behandlungsmethode bei manchen Anwendungen mehr, als sie nutzt. Nun wurde ihm das Recht zugesprochen, sich in seinem Streit mit den Alternativheilern auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung zu berufen.
Ein britischer Richter hatte seine damaligen Äußerungen als Tatsachenbehauptungen angesehen und damit im Zweifel als verurteilenswürdig. Der Autor hatte in seiner Argumentation von „bogus treatment“ gesprochen, was man als „Scheinbehandlung", aber auch als „betrügerische Behandlung“ verstehen kann - was im Einzelfall nachzuweisen gewesen wäre und damit nach Ansicht des Richters tatsächlich eine Verleumdung darstellen könnte. In der Berufungsverhandlung indes stützten die zuständigen Richter Singhs Interpretation und widersprachen dem ersten Urteil.
Singh nahm die Entscheidung erleichtert zur Kenntnis, kritisierte in einem BBC-Interview jedoch die hohen Kosten von ca. 200.000 britischen Pfund, die für beide Streitparteien angefallen waren, nur um die Bedeutung von ein paar Worten zu definieren. Viele Wissenschaftler hatten laut Singh Angst, über den Fall zu schreiben, weil sie befürchteten, in London deswegen verklagt zu werden. So habe sogar ein australischer Journalist ein Interview mit ihm auf Anraten seines Anwalts nicht veröffentlicht, aus Furcht vor Konsequenzen. Nach Darstellung von Singh brachten selbst die Vertreter des Gerichts in ihrer offiziellen Stellungnahme zum Ausdruck, dass sie über die britischen „libel laws“ und deren mögliche Einschränkung der freien Rede und Diskussion nicht glücklich seien. Gerichte über wissenschaftliche Kontroversen entscheiden zu lassen, käme einer Einladung gleich, sie zu einem Orwell'schen Wahrheitsministerium zu machen, so ein Zitat aus der Urteilsbegründung in der „Times“. In Großbritannien gibt es bereits Bemühungen um eine Reform der umstrittenen Gesetze.
Zunächst können Simon Singh und die Wissenschaftswelt aufatmen. Der Vorsitzende der British Chiropractic Association hat jedoch bereits angekündigt, er wolle nun beim Obersten Gerichtshof die Erlaubnis einholen, den Rechtsstreit mit der ursprünglichen Begründung der falschen Tatsachenbehauptung fortzusetzen.
Holger von Rybinski
Devlin, Hannah (2010) Science writer Simon Singh’s victory in chiropractor case raises hope of libel reform . Times online, 02.04.2010
Aufklärung auf der Anklagebank - Jochen Bergmann zum Fall Simon Singh