27.05.2009 (GWUP) - Wie verschiedentlich andernorts gemeldet, hat der Physiker und Wissenschaftsautor Simon Singh bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der British Chiropractic Association (BCA) vorerst eine Niederlage erlitten.
Die BCA hatte Singh im Jahre 2008 auf Verleumdung verklagt, nachdem er in der Zeitung „The Guardian" einen kritischen Bericht über Chiropraktik veröffentlicht hatte. In dem Artikel hatte Singh einen Abriss über alternative Behandlungsmethoden präsentiert, wie er ausführlicher auch in seinem mit Edzard Ernst verfassten Buch "Gesund ohne Pillen?" zu finden ist. Der Erfinder der Chiropraktik, David Palmer, glaubte, dass der Großteil aller Krankheiten auf Fehlhaltungen durch verschobene Rückenwirbel zurückzuführen ist. Die Therapie besteht dann im Einrenken dieser vermeintlich verschobenen Wirbel. So behandelte Palmer z.B. sogar Taubheit und Koliken durch seine „Wirbelsäulenmanipulation".
Dieser Praxis, die nach Selbstdarstellung auch heute noch von vielen Chiropraktikern beibehalten wird, galt Singhs Kritik. Die manuellen Anwendungen werden häufig nicht nur auf Rückenbeschwerden beschränkt, wo sie - wenngleich nicht immer ungefährlich - durchaus Beschwerden lindern können. Diese erweiterten Anwendungen bezeichnete er als „bogus treatment" - ein Ausdruck, dessen Bedeutungsspektrum von „falscher Behandlung" über „Scheinbehandlung" bis „betrügerische Behandlung" reichen kann. Auch die Gefährlichkeit von Manipulationen des Nackenbereichs, die im schlimmsten Falle Schlaganfälle auslösen können, prangerte der Wissenschaftsautor an. Dabei beruft er sich auf die Auswertung der verfügbaren Studien zum Thema.
Die Reaktion folgte prompt: Die BCA verklagte Singh auf Verleumdung. Ihrer Ansicht nach stellen die Äußerungen Singhs eine Diffamierung ihrer Organisation dar und keine durch das Gesetz gedeckte freie Meinungsäußerung. Offenbar sieht das der Richter Sir David Eady ähnlich. Er wirft Singh einer Meldung des „New Scientist" zufolge vor, wissentlich falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt zu haben. Er stört sich offenbar insbesondere an dem Wort „bogus", das er ausschließlich im Sinne von „betrügerisch" deutet. Singhs Ansicht nach ist die Gefährlichkeit und Unwirksamkeit der Chiropraktik bei vielen Anwendungen belegt, daher sollte sie ehrlicherweise in vielen Fällen nicht mehr angewandt werden. Eine andere Aussage habe er nie beabsichtigt. Der Richter interpretiert die Aussagen des Autors jedoch nicht als Meinungsäußerung, sondern als Tatsachenbehauptung. Demzufolge müsste Simon Singh also beweisen, dass die britische Chiropraktiker-Organisation Patienten absichtlich betrogen hat.
Dies dürfte schwierig werden. Selbst Skeptiker würden den meisten Alternativmedizinern nicht unterstellen, dass diese von ihren teilweise absurden Behandlungsmethoden, die im harmlosen Falle unwirksam, im schlimmsten Falle gefährlich sind, nicht überzeugt sind. Aufgabe von Journalisten und Verbraucherschützern ist es jedoch, vor sinnlosen oder gar gefährlichen Therapien zu warnen. Dies hat Simon Singh getan, unter korrekter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Fakten.
Es entsteht hier also der Eindruck, dass ein engagierter, kompetenter Kritiker der Alternativmedizin mundtot gemacht werden soll. Das Urteil zeigt auch schon Wirkung: Singh bittet auf seiner Website um Verständnis, dass er sich derzeit nicht zu dem Verfahren äußern kann, verweist jedoch auf die rege Unterstützung, die er in den letzten Wochen von zahlreichen Bloggern erhalten hat, die sich auf seine Seite gestellt und schnell und sachkundig den Fall kommentiert haben sowie auf eine Solidaritätsseite auf Facebook, die hoffentlich viele Unterstützer findet.
Holger von Rybinski
Quellen:
- o.V (2009) Chiropractic loses first round in libel fight. New Scientist 2708, 15. Mai 2008
- Jack of Kent (2009) BCA vs Simon Singh: An Astonishing Illiberal Ruling. Blog von "Jack of Kent", 08.05.2009
- Rings, Jörg (2009) Der Fall Simon Singh. Science-Blogs vom 18.05.2009 mit Link zum Text des von der BCA beanstandeten Guardian-Artikels.
- Drösser, Christoph (2009): Eine Frage des Rückgrats. DIE ZEIT, 10.06.2009 Nr. 25