Der neue Dan-Brown-Spannungsschmöker „Das verlorene Symbol" ist eine Art Freimaurer-Schnitzeljagd in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Wir sprachen mit dem Großmeister der Vereinigten Großlogen von Deutschland, Prof. Rüdiger Templin, über Geheimbünde, Rituale und Verschwörungsmythen.
Winkelmaß und Zirkel waren für die tägliche Arbeit der Steinmetze und Bauplaner unverzichtbar und stellen heute zwei der wichtigsten Freimaurer-Zeichen dar. Sie symbolisieren Gleichheit und Geradlinigkeit oder auch das Gleichgewicht der materiellen und geistigen Kräfte. Die Schweriner Freimaurerloge erklärt dazu: „Das Winkelmaß, Symbol der Materie, ordnet unsere Handlungen ... Der Zirkel, Symbol der geistigen Arbeit, bestimmt unser Verhalten gegenüber allen Menschen." |
Skeptiker: In „Illuminati" schreibt Dan Brown aus der Sicht eines Verschwörungstheoretikers und spinnt ein weltumspannendes Komplott dieses uralten Geheimbundes. In „Das Verlorene Symbol" nimmt er einen anderen Geheimbund, nämlich die Freimaurer, gegen populäre Verschwörungsmythen in Schutz. Warum?
R. Templin: Erst einmal: Die Freimaurer sind keine geheime Gesellschaft. Und mittlerweile wissen das auch die meisten Leute. Bei einer Online-Umfrage einer deutschen Freimaurer-Groß-Loge hat nicht einmal jeder Fünfte der 1 300 Teilnehmer eine entsprechende Überzeugung geäußert. Und sogar nur drei Prozent brachten die Weltverschwörung ins Spiel. Welche großen Geheimnisse sollte denn auch eine Vereinigung haben, über die man so gut wie alles nachlesen kann, die Internetpräsenzen betreibt und hier und da zum Tag der offenen Tür einlädt?
Skeptiker: Möglicherweise das eine oder andere düstere Ritual – wie etwa jenes, das gleich zu Beginn von „The Lost Symbol" geschildert wird.
R. Templin: Ich habe noch nie jemanden Wein aus einem Totenschädel trinken sehen. Zweifellos ist diese Szene mit einem Unbekannten im Büßergewand, der einen recht obskuren mysteriösen Brauch zelebriert, ein guter atmosphärischer Einstieg in das Buch. Aber die Zeremonie ist frei erfunden, allenfalls vage angelehnt an verschiedene alte Rituale, auch der irregulären Freimaurerei.
Skeptiker: Wohl aufgrund solcher befürchteter Passagen hatten manche Freimaurer, etwa die Großloge von Österreich, sich von dem Buch distanziert, noch ehe es überhaupt erschienen war. Unnötigerweise. In einigen Kommentaren ist nun sogar von einer „heimlichen Liebeserklärung an die Freimaurerei" die Rede.
R. Templin: Das würde ich so direkt nicht sagen. Tatsache ist aber, dass Dan Brown den US-Freimaurern einen Brief geschrieben hat, in dem er darlegt, warum er mit ihnen sympathisiert. Darin heißt es: „In einer Welt, in der Menschen sich bekriegen wegen der Frage, wessen Definition von Gott die richtige ist, kann ich gar nicht genügend ausdrücken, welch tiefen Respekt und Bewunderung ich für eine Organisation hege, in der Männer unterschiedlicher Glaubensrichtungen in der Lage sind ‚miteinander das Brot zu brechen' in einem Band von Brüderlichkeit, Freundschaft und Kameradschaft."
Skeptiker: Die Illuminaten, die im 18. Jahrhundert ähnlich hehre Ziele verfolgten, treten bei Dan Brown dagegen als „gefährlichste antichristliche Macht auf Erden" auf. Was unterschied eigentlich die historischen bayerischen Illuminaten von den Freimaurern?
R. Templin: Illuminaten und Freimaurer sind nicht gleichzusetzen, auch wenn es personelle Überschneidungen gab. Es ist richtig, auch der Illuminatenorden wandte sich den freiheitlichen Idealen der Aufklärung zu. Allerdings war die Gründung 1776 eine Art Rebound-Effekt zu dem weitreichenden dogmatischen Einfluss der Jesuiten, vor allem an den Hochschulen. Die Illuminaten hatten eine eindeutig antiklerikale Struktur und ein politisches Ziel: den Absolutismus abzuschaffen oder zumindest mit liberalen Ideen zu durchwirken. Das sind zwei Merkmale, die sich von den Alten Pflichten der Freimaurerei von 1723 deutlich unterscheiden. Denn die Freimaurer als Organisation machen keine Politik und verstehen sich auch nicht als Alternative zu einer Kirche oder Religion.
Skeptiker: Nichtsdestotrotz ist der Einfluss der Freimaurer etwa auf die Verfassung der Vereinigten Staaten unbestritten.
R. Templin: Gewiss, zwei Drittel der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung waren Freimaurer, darunter Thomas Jefferson, Benjamin Franklin und Robert Livingston. Auch andere Freimaurer, wie zum Beispiel Kemal Atatürk, Salvador Allende oder Guiseppe Garibaldi, haben in ihren Ländern eigenverantwortlich dazu beigetragen, die politischen Verhältnisse zu verändern – im Sinne ihrer individuellen Überzeugung, die von den ethisch-humanistischen Idealen der Freimaurerei geprägt war. Falsch ist hingegen die Vorstellung, dass Freimaurerlogen sich bestimmte politische Ziele zu Eigen machen, womöglich auch noch konspiratorisch.
Skeptiker: Die letzte Weltkonferenz der Freimaurer-Großmeister fand 2009 in Gabun statt. Was wird bei solchen globalen Treffen besprochen?
R. Templin: Jedenfalls nicht, wie man eine Regierung stürzen oder die Wirtschafts- und Finanzkrise noch weiter verschärfen könnte – also nichts von alledem, was Verschwörungstheoretiker sich vorstellen. Es ging zum Beispiel um die Förderung von Bildung und Aufklärung unter andersartigen gesellschaftlichen Bedingungen, etwa in islamischen Staaten oder in Entwicklungsländern. Auch Klima und Umwelt waren große Themen.
Skeptiker: Nun dreht sich „Das verlorene Symbol" natürlich nicht in erster Linie um den ethisch-moralischen Imperativ der Freimaurer, sondern um Ikonografie und Mysterien. Eine FreimaurerPyramide in der amerikanischen Bundeshauptstadt spielt dabei eine Schlüsselrolle. Was hat es damit auf sich?
R. Templin: Die Pyramide an sich ist gar kein maurerisches Symbol – sondern nur das gleichseitige Dreieck, welches ein wesentliches Konstruktionselement vieler Kultbauten darstellt, von den Pyramiden bis hin zu den Bauwerken der Dombauhütten. Dass die Pyramide immer wieder mit der Freimaurerei in Verbindung gebracht wird, hat eher legendenhafte Gründe. Da werden dann zum Beispiel die Steinmetze im alten Ägypten kurzerhand zu freimaurerischen Vorfahren erklärt, unter anderem deswegen, weil sie die ersten Mysterienbünde gegründet hätten. Das ist aber weit hergeholt und historisch nicht belegbar.
Skeptiker: Dennoch wird auch die Pyramide auf der One-Dollar-Note den Freimaurern zugeschrieben. Und Dan Browns Harvard-Symbologe Robert Langdon findet diese „Unvollendete Pyramide" in einem Nachschlagewerk, wo sie dafür steht, „dass der Mensch im Aufstieg zur Vollendung seiner Möglichkeiten immer unvollendet ist."
R. Templin: Der fehlende Schlussstein der Pyramide im Great Seal ist in der Lesart der Staatsgründer wohl durchaus ein Zeichen dafür, dass die Vereinigten Staaten noch im Begriff seien, zu wachsen. Nichtsdestotrotz taucht die Pyramide in der besten und fundiertesten Sammlung von FreimaurerSymbolik gar nicht auf. Ich spreche von dem „Vergleichenden Handbuch der Symbolik der Freimaurerei mit besonderer Rücksicht auf die Mythologien und Mysterien des Alterthums" aus dem Jahr 1863.
Skeptiker: Zu der „verborgenen Geschichte" der Stadt Washington gehört laut Dan Brown auch, dass deren Architektur von Hinweisen auf die Freimaurer geprägt sei. So bilden beispielsweise die Stadtgrenzen des District of Columbia ein akkurates Viereck, das für den Winkel steht, der wiederum ein wichtiges Freimaurer-Symbol ist. Auch imaginäre Linien zwischen verschiedenen Bauwerken und Gebäuden ergeben eine Figur, die Winkelmaß und Zirkel der Freimaurer entspricht.
R. Templin: Das ist richtig. Bei der Grundsteinlegung für das Kapitol im Jahr 1793 etwa trat George Washington mit dem vom Marquis de Lafayette gefertigten rituellen Freimaurerschurz der Großloge von Maryland auf. Auch die Stadtgestaltung folgte freimaurerischen Prinzipien.
Skeptiker: Für Verschwörungsfans ein gefundenes Fressen.
R. Templin: Ja, vor allem in Deutschland bekommen die Freimaurer bis heute noch die Nachwirkungen der abstrusen Phantastereien Erich Ludendorffs zu spüren, der als echter Überzeugungstäter eine übelwollende Anti-Freimaurer-Kampagne startete. Ludendorff erklärte die Freimaurer neben dem Judentum, dem Jesuitenorden und der Kommunistischen Internationalen zu den Protagonisten einer überstaatlichen Verschwörung, die nach der Weltherrschaft strebe und die er unter anderem für den verlorenen Weltkrieg und sein Scheitern bei der Reichspräsidentenwahl von 1925 verantwortlich machte. In Ludendorffs Hass auf die Freimaurer wurzeln eine Vielzahl der Vorurteile und Mythen, mit denen wir heute konfrontiert werden. Deshalb sind wir eigentlich ganz froh, dass Dan Brown das Thema Freimaurerei mal von einer anderen Seite betrachtet hat und ein positives Bild von den freimaurerischen Ideen, auch von ihrem Sinn für Symbolismus, zeichnet.
Interview: Bernd Harder
Fotos: Detlef, Marco Klaue, Klementiev (Fotolia)
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 1/2010.