"Hörst du mich in deinem dunklen Raum?"
Möglicherweise liegt das daran, dass "Tonbandstimmen" mitnichten Äußerungen von Verstorbenen oder höheren Wesen sind, sondern nur ein Phänomen unserer begrenzten und fehlbaren Sinneswahrnehmung. Experten kennen zwei Methoden der Tonbandstimmenforschung: "Die erste besteht darin, dass man das Tonbandgerät (natürlich ist auch ein Kassettenrekorder geeignet) mit einem Mikrophon verbindet und auf ,Aufnahme' stellt. Dann stellt man eine Frage, etwa "Hörst du mich in deinem dunklen Raum?', und lässt das Band weiterlaufen, 15, 20 oder auch mehr Sekunden. Nun spult man zurück bis zum Startpunkt und hört sich das Band an - nicht einmal, nein, mehrmals, bis zu 15-mal, denn man muss sich einhören" (zit. nach Gertler/Mattig (1992), S. 77f.). Die zweite Methode besteht darin, das Tonbandgerät an ein Radio anzuschließen und das so genannte weiße Rauschen einer nicht vergebenen Frequenz auf Mittel- oder Kurzwelle aufzunehmen und anschließend konzentriert nach "Botschaften" abzuhören.
Wer suchet, der findet
Wer suchet, der findet natürlich auch - allerdings keine Geisterstimmen. Aber was dann? Sagen wir einfach: Geräusche, die auf mindestens drei verschiedene Arten zustande kommen können:
1. Rauschen: Rauschen entsteht durch thermische Bewegungen von Elektronen in elektrischen Leitern und Halbleitern (Transistoren, Dioden etc.). Dieses Rauschen nimmt mit der Temperatur zu. Die Geräusche, die nach der oben beschriebenen Prozedur beim Abspielen des Tonbands oder der Kassette zu hören sind, haben mithin zwei Quellen: Es handelt sich zum einen um das Rauschen der Elektronen, zum anderen um das Rauschen, das entsteht, wenn ein leeres Band am Tonkopf vorbeigleitet. Ein Magnetband besteht nämlich aus winzigen magnetisierbaren Partikeln (Eisen, Eisenoxyd, Kobalt, Nickel), auf einem Kunststoffband aufgebracht sind. Da die magnetisierbaren Partikel nicht beliebig klein hergestellt werden können (sonst würden sie sich kaum mehr magnetisieren lassen), entsteht eine gewisse magnetische Rauigkeit. Hört man sich nun kurze Passagen dieses Rauschens immer wieder an, kann der Eindruck entstehen, dass ein sinnvolles Geräusch darin steckt.
2. Magnetisches Kopieren: Nimmt man auf ein leeres Band oder eine unbespielte Kassette ein kurzes Stück auf und lässt dieses Band längere Zeit liegen, dann kopiert sich die magnetische Information auf benachbarte Wickelschichten. Dadurch kann man später beim Abspielen Töne an Stellen hören, die eigentlich leer sein müssten. Da tiefe Frequenzen mit größerer Amplitude aufgezeichnet werden, werden hauptsächlich diese kopiert und die "Geisterstimme" klingt eindrucksvoll dumpf.
3. Mischen an Nichtlinearitäten: An nicht linearen elektronischen Bauteilen wie zum Beispiel Transistoren und Dioden passiert mitunter ein unfreiwilliges "multiplikatives Mischen", also eine spezielle Form der Vervielfältigung von elektrischen Signalen. Wenn etwa ein amplitudenmoduliertes Hochfrequenzsignal (Rundfunk, Kurzwelle, CB-Funk o.ä.) in den Mikrophoneingang eines qualitativ nicht sehr hochwertigen Tonbandgeräts gelangt, dann mischt sich das Rundfunksignal mit der Information auf dem Band, sodass später Musik oder Sprache zu hören ist - je nach Tageszeit und Frequenzband sogar Russisch oder Arabisch, was bei Tonbandstimmen-Fans fast zwangsläufig zu einer Interpretation als "Geisterstimme" führt.
"Waltraud, du bist lieb, darum gibt es keinen Krieg."
"Wer sich von seiner Wahrnehmung täuschen lässt, ist selber schuld!", hält ein "Verein für Transkommunikationsforschung" auf seiner Internet-Seite dagegen. Doch das ist wenig mehr als ein frommer Wunsch - und offenbart zugleich einige Unkenntnis über den Forschungsstand der Wahrnehmungs- und Kognitionspsychologie. Psychologen wissen, dass unsere Sinneswahrnehmung längst nicht so perfekt und objektiv ist, wie wir meinen. Sondern sie wird sehr stark von unseren Erwartungen beeinflusst. Einfach ausgedrückt: Man sieht das, was man sehen will. Man hört das, was man hören will. Man glaubt das, was man glauben will. Was "Transkommunikationsforscher" tiefinnerlich umtreibt, wird auf besagter Webseite ebenfalls offenbar: "Tonbandstimmen sind ein wahres Geschenk des Himmels und können Trost, Hoffnung, Zuversicht und Lebensmut spenden", heißt es dort. Und weiter: "Wer mit der richtigen Einstellung an solche Versuche herangeht, wird davon nur profitieren." Tatsächlich? Die Redaktionsleiterin der GWUP-Zeitschrift "Skeptiker", Inge Huesgen, hat ihre eigenen Erfahrungen mit "Tonbandstimmen" gemacht. Als Lokalreporterin besuchte sie eine ältere Dame, die in der Überzeugung lebte, als Retterin der Welt vor dem nuklearen Overkill auserwählt zu sein. Wieso? Aus einem englischsprachigen Radio-Mitschnitt hörte sie statt "World Trade" und "Country" heraus: "Waltraud" (ihr Name) und "kein Krieg". Ihre subjektive Deutung: Der Geist des verstorbenen sowjetischen Staatschefs Leonid Breschnew habe ihr via Rundfunk aus dem Jenseits die Botschaft übermittelt: "Waltraud, du bist lieb, darum gibt es keinen Krieg." Selbst wenn man einmal die Tatsache außen vor lässt, dass die vermeintliche Kontaktaufnahme mit verstorbenen Angehörigen zu einer Obsession mit wahnartigen Zügen ausarten kann, hat "Tonbandstimmenforschung" nur sehr wenig mit "Lebensmut und Zuversicht" zu tun, im Gegenteil: Letztendlich verteidigen "Transkommunikationsforscher" bloß mit quasireligiöser Inbrunst die "Mythologie" zu einer fehlinterpretierten persönlichen Erfahrung.
Literatur:
- Harder, Bernd (2005): Das Lexikon der Großstadtmythen - Unglaubliche Geschichten von Astralreisen bis Zombies, Frankfurt/Main, S. 210 - 212.
- Hemminger, Hansjörg;Harder, Bernd (2000): Was ist Aberglaube? Bedeutung, Erscheinungsformen, Beratungshilfen, Gütersloh. Bei Amazon bestellen.
- Wolfgang Hund (2000): Falsche Geister - echte Schwindler? Esoterik und Okkultismus kritisch hinterfragt, Würzburg.Bei Amazon bestellen.
- Hund, Wolfgang (2001): Was wir wahrnehmen, ist nicht wahr - Pink Floyd & Co" Hersbruck 1998; erweiterte und überarbeitete Neuauflage 2001 (päd. Verlag G. Hund)
- Gertler, Andreas;Mattig, Wolfgang (1992): Stimmen aus dem Jenseits - Parapsychologie und Wissenschaft, Berlin.
- James Randi (2001): Lexikon der übersinnlichen Phänomene - Die Wahrheit über die paranormale Welt, München.Bei Amazon bestellen.
Linktipps:
- Sehr interessante Seite von Tondbandstimmenforschern mit Hörbeispielen, die dem skeptischen Argumenten gewidmet ist
- Skeptic's Dictionary: Electronic Voice Phenomenon (EVP)
- GWUP-Newsmeldung: Was ist dran am Okkultismus/Satanismus?
- Alcock, James E. : Electronic Voice Phenomena - Voices of the Dead?
- Edwards, Harry: CALLING ALL SPIRITS!