An die Stiftung Jugend forscht e.V.
16.07.2015
Homöopathie bei Honigbienen: ein fragwürdiger Versuch
Sehr geehrte Damen und Herren,
es gehört zu den grundlegenden Fertigkeiten für die Arbeit von Forscherinnen und Forschern, wissenschaftliche Fragen zu stellen, Versuche zu entwickeln und Antworten zu finden. Deshalb begrüßt der Wissenschaftsrat der GWUP e. V. (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) die Arbeit der Stiftung „Jugend forscht" und verfolgt sie mit großem lnteresse. Über Jahrzehnte hat die Stiftung mit ihren Wettbewerben unzählige junge Menschen an die Forschung herangeführt und sie für das breite Spektrum von Naturwissenschaften und Technik begeistert.
Umso überraschender ist es für uns, dass ausgerechnet zum 50-jährigen Jubiläum der Stiftung eine Arbeit im Bundeswettbewerb vertreten ist, die hinsichtlich Konzeption und Resultat den Boden der Wissenschaftlichkeit verlässt und eine Reihe kritischer Fragen aufwirft.
Die Projektdatenbank unter www.jugend-forscht.de verzeichnet den Versuch einer 18-jährigen Abiturientin, in dem durch Gabe eines homöopathischen Mittels die Widerstandskraft von Honigbienen gegenüber Milbenbefall gesteigert wurde. Dieses Forschungsprojekt „Mit Homöopathie zur Turbobiene? Geht das?" gehört zu den sieben Landessiegern in Niedersachsen und gewann beim Bundesfinale in Ludwigshafen einen Sonderpreis.
Die Jungforscherin fütterte rund ein Jahr lang drei Bienenvölker mit einem Gemisch aus Zuckerwasser und dem homöopathischen Präparat T100, drei weitere Völker erhielten nur Zuckerwasser. Alle vier Tage zählte sie die toten Milben, die aus den Stöcken gefallen waren. Außerdem erfasste sie das Gewicht der Völker und den Honigertrag. Ihr Schluss: Das homöopathische Präparat kann Vitalität und Abwehrkraft der Honigbienen tatsächlich stärken.
Sollte dieser Schluss sich als wahr erweisen, so wäre das eine wissenschaftliche Sensation, die die Grundfeste des bestehenden Wissens erheblich erschüttern würde und mit einem Nobelpreis nur unzureichend gewürdigt wäre (vgl. Lambeck M.: Die Komplementärmedizin an der Universität Frankfurt/Oder. Skeptiker 4/2010, S. 172-182; siehe hier und hier; ders.: Nobelpreise abholbereit. Weltwoche Nr. 50, 2010, S. 47.).
Bei dem homöopathischen Präparat T100 muss angenommen werden, dass es den Prinzipien der Homöopathie folgt. Aufgrund der hochgradigen Verdünnung wird keine Materie enthalten sein, was durch Reiben und Schütteln gegen den Erdmittelpunkt ersetzt wird. Dies widerspricht in mehrfacher Hinsicht gut bestätigten Erkenntnissen der Wissenschaft.
Die junge Forscherin versucht mit ihrer Arbeit einen statistischen Beleg für die Homöopathie zu erbringen, obwohl von deren Anhängern in Ermangelung wissenschaftlicher Belege über deren Wirksamkeit regelmäßig behauptet wird, dass solche Belege gar nicht nötig wären. Mit dem beschriebenen Versuchsansatz ist das auch definitiv nicht möglich. Die Struktur der dargestellten Ergebnisse lässt das Auftreten einiger weitverbreiteter Fehler in der statistischen Auswertung vermuten. Ohne das Vorliegen der vollständigen Versuchsdokumentation kann darüber allerdings nur spekuliert werden. Um dies kritisch prüfen zu können, wiederholen wir die am 17.06.2015 bereits erhobene Bitte, uns die ausführliche Versuchsdokumentation zugänglich zu machen.
Bezüglich der Versuchdurchführung sind die folgenden Kritikpunkte zu nennen:
- Betrüblich ist die geringe Anzahl (6) der untersuchten Bienenvölker. Projekte zur Zucht resistenter Völker, z.B. http://aristabeeresearch.org sind auf Jahrzehnte angesetzt und beziehen tausende von Völkern ein. Die eingeschränkte Aussagekraft der Ergebnisse erscheint uns in deren öffentlicher Darstellung nicht ausreichend klargestellt.
- Es fehlen ferner konkrete Zahlenangaben zu den Ergebnissen, mit denen man Signifikanz und Effektstärke beurteilen könnte.
- Schließlich bleibt offen, worum es sich bei dem verwendeten homöopathischen Mittel T100 handelt. Nach unseren Recherchen ist ein Präparat dieses Namens in der klassischen Homöopathie unbekannt. Einem Zeitungsbericht zufolge stellt der Onkel der Teilnehmerin Homöopathika her. Der Ausschluss eines Interessenkonfliktes erfordert die Klärung der Frage, ob es sich bei besagtem Onkel um den Hersteller des Mittels T100 handelt.
- Es ist unklar, inwieweit oder ob überhaupt verblindet wurde und somit, ob Experimentatoreffekte ausgeschlossen werden können. In dem genannten Zeitungsartikel wird forsch behauptet: „Der Placebo-Effekt (ist) also ausgeschlossen". Ganz abgesehen davon, dass im vorliegenden Experiment nicht von einem eigentlichen Placebo-Effekt gesprochen werden kann, müsste man grundsätzlich aufwändig herzustellende doppelte Verblindungen voraussetzen, um eine solchen Schluss ziehen zu können, auch beim Tierexperiment.
Eine Bestätigung der Homöopathie würde also derart außergewöhnliche Belege erfordern, dass Zweifel angebracht sind, ob sie überhaupt erbracht werden können (Weymayr, C.; Heißmann, N.: Die Homöopathie-Lüge. Piper 2012). Somit darf auch bezweifelt werden, ob dies im Rahmen eines Wettbewerbs für jugendliche Forscher gelingen kann. Wird das aber dennoch behauptet und in der Öffentlichkeit unkritisch kommuniziert, so entsteht dort nicht etwa der Eindruck, die Forscherin habe diese außergewöhnlichen Belege erbracht. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass gar keine außergewöhnlichen Belege nötig wären, um die Stimmigkeit des homöopathischen Prinzips nachzuweisen.
Dies ist eine krasse Verzerrung der wissenschaftlichen Realität, die dem zu Recht hohen Renommee der Einrichtung "Jugend forscht" keinesfalls gerecht wird. Dies ist allerdings primär nicht der jungen Forscherin allein anzulasten. Die Entscheidungsgremien von "Jugend forscht" müssen sich vielmehr fragen lassen, aufgrund welcher Überlegungen die Arbeit über den Regional- und den Landeswettbewerb in den Bundeswettbewerb gelangen konnte. So hoch Motivation und Fleiß auch zu bewerten sind - es darf nicht dazu kommen, dass dabei die wissenschaftliche Solidität auf der Strecke bleibt und Ergebnisse als valide in der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die wissenschaftliche Methodik hat das Ziel, verlässliche Erkenntnisse von bloßen Behauptungen zu unterscheiden. Wir wünschen uns, dass diese Forschungsweise auch und vor allem der engagierten Jugend vermittelt wird - ein Ziel, das wir mit Ihrer sehr erfolgreichen Einrichtung teilen.
Mit freundlichen Grüßen
Vorsitzender der GWUP
im Namen des unterzeichnenden Wissenschaftsrats der GWUP:
Prof. Dr. Michael Bach, Lydia Benecke, Prof. Dr. Dr. Ulrich Berger, Prof. Dr. Peter Brugger, Prof. Dr. Edzard Ernst, Dr. Krista Federspiel, Prof. Dr. Dittmar Graf Prof. Dr. Wolfgang Hell, Prof. Dr. Dieter Herrmann, Wolfgang Hund, Prof. Dr. Bernulf Kanitscheider, Prof. Dr. Johannes Köbberling, Prof. Dr. Walter Krämer, Prof. Dr. Peter Kröling, Prof. Dr. Martin Lambeck, Prof. Dr. Heinz Oberhummer, Dr. Rainer Rosenzweig, Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer, Dr. Barbro Walker, Dr. Christian Weymayr, Dr. Rainer Wolf.