Antichrist Superstar
Bernd Harder
Die Schöne und das Biest in einer Person: Seine Bühnen-Persönlichkeit "Marilyn Manson" hat der Amerikaner Brian Warner nach der Beauty-Queen Marilyn Monroe und dem Satanisten Charles Manson benannt. Im Sommer 2002 landete er mit "Tainted Love" ("Verdorbene Liebe") einen weiteren Smash-Hit.
Der US-Musiker Marilyn Manson ist Mitglied der "Church of Satan" und kokettiert mit Tod und Teufel. Image oder echte Überzeugung?
Was der "durchgeknallte Schock-Rocker" auf der Bühne inszeniert, sei "die Hölle", schaudert einem Reporter der deutschen Teenie-Postille Popcorn: "Der hagere Typ im bizarren Korsett-Outfit verwandelt sich in einen Dämon: bedrohlich, obszön, dem Wahnsinn nahe! Marilyn zertrümmert wie im Rausch das Schlagzeug, bespuckt Zuschauer, geht auf seine Roadies los, zerschlägt Flaschen und ritzt sich mit den Scherben Wunden in den Oberkörper." Die Kiosk-Konkurrenz Yam rätselt derweil, ob Marilyn Manson gar "ein Menschenleben auf dem Gewissen hat". Am Abend des 1. 4. 2001 habe der 33-jährige Sänger eine Bekannte namens Jennifer Syme "mit Drogen vollgepumpt und sie in diesem Zustand Auto fahren lassen". Die junge Frau rammte drei parkende Wagen und starb noch an der Unfallstelle.
Für den Spiegel ist Manson eine der Symbolfiguren der "freien Hasswirtschaft". Auch die beiden jugendlichen Amokläufer von Littleton hätten offenbar seine Musik geliebt.
"An seinem Hassgebaren aber änderte Manson nichts - und verzückt damit bis heute ein millionenstarkes junges Publikum."
Im Sommer 2002 feierte "Marilyn der Schreckliche" (Popcorn) mit "Tainted Love" einen weiteren Smash-Hit. Seinen Fans gilt der Sänger und Band-Leader als Kultfigur des Hässlichen und Bösen. Kritiker werfen ihm vor, mit Gewaltexzessen einen starken Anreiz zur Nachahmung zu erzeugen, und weisen ihm unter anderem eine Mitschuld an den Morden im Erfurter Gutenberg-Gymnasium zu. Wer ist dieser Mann?
"Ich kann es nicht einmal ertragen, wenn ich sehe, wie die Leute lachend im Restaurant sitzen, sich amüsieren und das Leben genießen. Ihre erbärmliche Heiterkeit macht mich krank. Und wenn man erst den Fernseher einschaltet, leben die Leute wirklich so? Soll das alles ein Witz sein? Setzen wir Kinder in die Welt, damit sie an 'Baywatch' und konserviertes Gelächter glauben? ...
Scheiß auf diesen blinden Konsumismus. Dumme Menschen haben nichts Besseres verdient. Sie würden sich sogar ein T-Shirt mit der Aufschrift 'Ich bin total bescheuert' kaufen, wenn ihnen Cindy Crawford erzählt, wie cool das ist.
Am liebsten würde ich sie alle umbringen, aber damit täte man ihnen wahrscheinlich nur einen Gefallen. Die grausamste Strafe, die ich ihnen antun kann, ist einfach, dass ich sie jeden Morgen aufwachen, ihr mieses kleines Leben weiterführen, sie ihre bescheuerten Kinder aufziehen lasse. Und eine Platte wie 'Antichrist Superstar' mache, die sie vor den Kopf stoßen, die alles und jeden zerstören wird. Fahr zur Hölle, Amerika. Ihr könnt mich alle. Die Welt spreizt ihre Schenkel, um einen beschissenen, neuen Star zu gebären..."
Eine Tagebuchnotiz aus dem Jahr 1997 von Marilyn Manson - jenem Amerikaner, der wenig später tatsächlich "für die meisten Menschen schlichtweg die Manifestation des Bösen, eine Bedrohung für das Seelenheil ihrer Kinder" werden sollte, erinnert sich der Musikjournalist Maik Koltermann.
Das besagte Album "Antichrist Superstar" erschien wenig später und erklomm Platz drei der US-Charts. Bei der anschließenden Tournee überschütten Manson und seine Bandmitglieder das Publikum mit Hass-Tiraden auf Kultur und Gesellschaft. Er selbst inszenierte sich auf der Bühne wie eine Art gefallener Engel mit Strapsen.
Vor allem in den USA laufen seitdem Elternverbände, konservative Politiker und religiöse Organisationen Sturm gegen den Rockstar. Sogar gefälschte und angeblich von der "American Family Association" in Umlauf gebrachte Eidesstattliche Erklärungen zu vermeintlichen Bühnenexzessen kursieren, die Manson in seiner Autobiografie "A long hard road out of hell" absichtsvoll und ausführlich zitiert:
"Ich bin 17 Jahre alt, männlichen Geschlechts und wohnhaft in (Adresse ausgestrichen), Oklahoma City, Oklahoma. Ich habe Marilyn Manson vor drei Jahren kennen gelernt. Ich war ein 14-jähriger Ausreißer und wurde von ihm in den Kreis seiner Freunde oder "Familie" aufgenommen... Ich habe gesehen, wie Manson aus der "Satanischen Bibel" rezitiert und Menschen aus dem Publikum segnet, die entweder selber nach vorne gekommen oder dorthin gestoßen worden sind. Alle Personen, die sich in dieser Gruppe aufhalten, werden mit Schweineblut übergossen. Dann ernennt er diese Auserwählten zu seinen "Priestern". Ich habe gesehen, wie Manson kleine Küken sowie mehrere Hundebabys und Kätzchen aus einer Tüte zieht und sie ins Publikum wirft. Es handelte sich um lebende Tiere. Sodann fordert Manson die Menge auf, der Musik ein Opfer zu bringen. Er besteht darauf, dass das Konzert nicht anfängt, bevor alle Tiere tot sind. Ich habe gesehen, wie die Sicherheitskräfte Dutzende von Kondomen in die Menge geworfen haben, während Manson die Menschen im Publikum aufforderte, wahllos miteinander zu kopulieren. Ich habe gesehen, dass Teile des Publikums miteinander Geschlechtsverkehr hatten und andere sexuelle Handlungen verrichteten. Ich habe gesehen, dass Manson gegen Ende des Konzerts einen satanistischen Gottesdienst abgehalten hat. Manson forderte die Menge auf, Satan in ihr Leben zu lassen. Ich habe gesehen, wie Marilyn Manson ein Schaf auf die Bühne mitgenommen hat, und aus meinem Blickwinkel am seitlichen Bühnenrand konnte ich sehen, wie Manson an diesem Schaf den Geschlechtsverkehr vollzogen hat."
Fundamentalistische Christen belegen Manson und dessen Band gar mit Bannsprüchen und Exorzismus-Ritualen, da die Musiker von Dämonen und bösen Geistern besessen seien. Hat der exzentrische Bürgerschreck den Teufel im Leib? In "A long hard road out of hell" beschreibt Manson selbst folgende "Vision":
"Der letzte Tag der Menschheit ist angebrochen. In New York wird das Jüngste Gericht von einer gigantischen Konfetti-Parade begleitet. Nur werfen die Leute keine Papierfetzen, sondern verfaultes Fleisch und Gemüse in die Luft. Mein Körper hängt von einem riesigen Kruzifix herab, das an einem großen Floß aus Menschenhaut und Tierfell festgeschnallt ist. Wir nähern uns dem Times Square. Der Himmel ist pechschwarz und von orangen, gelben, roten und violetten Streifen zerklüftet. Alle Menschen feiern. Sie sind froh, dass sie endlich sterben werden."
Als "Offenbarungserlebnisse", ähnlich der biblischen Johannes-Apokalypse, wertet der umstrittene Popstar solche Träume und Phantastereien. Sie brachten den 33-Jährigen zu der Überzeugung, dass "ich selbst der Antichrist bin". Und nicht nur ihn.
Zu den zahllosen Gerüchten, die über Marilyn Manson im Internet kursieren, gehört u. a., dass er dem Teufel sein rechtes Auge verkauft habe - dies sei auch der Grund, weshalb er darunter rotes Make-up aufträgt.
Andere Fans sind sich sicher, Manson werde sich bei einem Konzert an Halloween das Leben nehmen, indem er das Gebäude und alle, die sich darin aufhalten, in die Luft sprengt.
Für US-Senator Joseph Lieberman (Connecticut) verkörpern Manson und seine Musiker die "wahrscheinlich krankhafteste Gruppe, die jemals von einer großen Plattenfirma vermarktet worden ist".
Der Gouverneur von Oklahoma, Frank Keating, musste schockiert feststellen, dass Marilyn Manson "ganz versessen darauf ist, Frauen und jede Form von Religion und Anstand zu entwürdigen, während er gleichzeitig die Anbetung Satans, Kindesmissbrauch und Drogenkonsum propagiert." Im Januar und Februar 2001 tobte Marilyn Manson auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz über die Bühne. Eine Musikzeitschrift "warnte" ihre Leser:
"Der Wahnsinn hat Methode! In seinen Shows ritzt sich Manson schon mal mit Glasscherben den Oberkörper blutig. Letzter Skandal: Auf dem Album-Cover von "Holy Wood" posiert er wie der leidende Jesus, auf der Single "Disposable Teens" (in England verboten!) nagelte er gleich einen Embryo ans Kreuz, und im Video lässt er sich zum Papst krönen. Da stellt sich die Frage: Hat dieser durchgeknallte Typ nicht einen an der Waffel?"
Marilyn Manson heißt eigentlich Brian Warner und wurde am 5. 2. 1969 in Canton, Oklahoma, geboren. Fast drei Jahrzehnte später kehrt Manson noch einmal in das kleine Städtchen zurück, als sein Jugendfreund Chad heiratet.
"Bei dieser Hochzeit betrat ich auch zum ersten Mal seit meiner Kindheit wieder eine Kirche. Die ganze Messe über fühlte ich mich extrem unwohl. Ich trug einen schwarzen Anzug, ein rotes Hemd, einen schwarzen Schal und eine Sonnenbrille. Alle um mich herum schienen mich mit äußerstem Misstrauen zu beobachten. Nicht nur der Priester, sondern auch meine gesamte Familie warfen mir böse Blicke zu. Während sie alle gottesfürchtig ihre Gebete rezitierten und Hymne auf Hymne heruntersangen, betrachtete ich jedes einzelne Gesicht mit kaltem Blick... Eigentlich konnte ich nicht so recht verstehen, warum ich so völlig anders geworden war als die ganzen Leute, die hier um mich herum saßen. Ich hatte die gleiche Erziehung und Ausbildung bekommen, ich hatte die gleichen Vorzüge und Nachteile wie sie auch. In diesem Moment kam mir eine Zeile in den Sinn, die später auf dem fertigen Album landen sollte: 'Der Junge, den ihr geliebt habt, ist nun der Mann, den ihr fürchtet.'"
Pop, Pathos, harter Rhythmus, durchtriebene Provokation und satanistisch-lyrische Spielereien - das ist das Konzept des "bösen King des Schock-Rocks". Auf der Bühne ist Manson kraftvoll und absolut humorlos. Er kokettiert mit Teufelskult, Transsexualität und Todessehnsucht. Und im Gegensatz zu rein kommerziellen Bizarro-Bands wie "Limp Bizkit", "Slipknot" oder "The Impotent Sea Snakes" nimmt Manson sich sehr ernst. "Ich habe geträumt, ich sei der Antichrist, und ich glaube, es ist die Wahrheit. Seitdem ich das Wort zum ersten Mal in der Christian School gehört habe, ist mir die Frage, ob ich der Antichrist bin, nicht mehr aus dem Kopf gegangen."
Spinnereien? Nicht unbedingt. Besagte "Heritage Christian School" in Canton schildert Manson in seiner Autobiografie "The long hard road out of hell" als bedrückendes emotionales Ödland, seine Schulzeit als eine Art realen Horrorfilm, geprägt von christlich-rechtsextremen Verschwörungstheorien und panischer Angst vor der Apokalypse.
In Mansons Nacherzählung erscheint seine Lehrerin "Miss Price" als Furcht einflößendes Monster, das seine abstrusen religiösen Doktrinen dazu benutzt, die Schüler innerlich zu verkrüppeln, indem es seine eigene seelische Deformation zum Ideal und Vorbild erklärt. "Das war die Zeit, in der ich meine ersten Albträume bekam - Albträume, die mich bis auf den heutigen Tag verfolgen. Die Vorstellung eines nahenden Weltuntergangs und des Antichristen versetzten mich in Angst und Schrecken... Das alles, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Predigten, die jede Woche an der Christian School gehalten wurden, ließ die Apokalypse so wirklich, so greifbar erscheinen, dass ich ständig von quälenden Träumen und Sorgen heimgesucht wurde, was geschehen würde, wenn ich herausfände, wer der Antichrist ist. Würde ich mein Leben aufs Spiel setzen, um die anderen zu retten? Was wäre, wenn ich selbst der Antichrist bin? Ich war verängstigt und verwirrt."
"Satanische" Schallplatten von "Black Sabbath", "Kiss", Alice Cooper etc. werden von den Lehrern rituell verbrannt - was für den jungen Brian den größten Schrecken innerhalb jeder amerikanischen Biografie noch weiter verstärkt: im erbarmungslosen sozialen System an den US-Schulen ein Außenseiter zu sein. Zu diesem Zeitpunkt war der spätere Schock-Rocker nämlich längst Fan dieser Bands: "Das zweite Mal war ich fällig, nachdem ich Miss Burdicks Hausaufgabe, ein Album mitzubringen, bei dem die ganze Klasse mitsingen konnte, auf meine Weise gelöst und mit 'Highway to Hell' von AC/DC zurückgekommen war." Lustfeindlicher, bigotter Fanatismus einerseits und auf der anderen Seite ein Großvater, der im Keller des Warnerschen Wohnhauses absonderlichen sexuellen Neigungen nachging; mangelnde Selbstachtung, Erniedrigungen, Zorn "gegen meine Eltern und die ganze Welt" sowie traumatische Erlebnisse mit "Frauen, Sex und Genitalien": Nach Ansicht des Schweizer Sekten-Experten Roman Schweidlenka erklären die Erfahrungen, die Manson in seiner Jugend machte, den heutigen Popstar: "Ich gehe davon aus, dass er seine Erlebnisse in dieser Zeit nicht bewältigen konnte und sein Leben und seine Bühnenshows immer wieder eine Abrechnung mit seiner Kindheit und Jugendzeit sind."
Also eine Art Schocktherapie für sich selbst. Nach seinem Wechsel auf eine öffentliche Schule gerät Manson durch den älteren Bruder eines Kumpels in den Einflussbereich von satanisch geprägtem Jugend-Okkultismus und in den Sog eines verschlingenden Bermuda-Dreiecks aus Sex, Drugs und Rock'n'Roll. Als Brian Warner daraus wieder auftaucht, nennt er sich "Marilyn Manson" - nach der blonden Beauty-Queen Marilyn Monroe und dem satanistischen Mörder Charles Manson: "Für einen frustrierten Schriftsteller wie mich war Marilyn Manson die perfekte Hauptfigur. Er war ein Charakter, der aus Verachtung für die Welt - und noch mehr aus Selbstverachtung - jeden Trick ausprobiert, mit dem er Menschen für sich einnehmen kann. Und dann, wenn ihm das gelungen ist, benutzt er ihr Vertrauen, um sie zu zerstören." Wenn Manson heute mit diabolischer Intensität ins Mikrophon rüpelt, stimmt er nach eigenem Bekunden einen Abgesang "auf das scheinheilige Amerika an, das an der Titte des Christentums herumsabbert". Doch anders als etwa die "Rolling Stones" in den sechziger Jahren will Manson mit seinen kultischen Protest-Inszenierungen gesellschaftliche Missstände und kulturell-weltanschauliche Einseitigkeiten nicht nur spiegeln.
Sein geradliniger Zickzack-Kurs streift die publicityträchtige Image-Vermarktung von Black-Metal-Posern wie "Slayer" und das rebellische "Bad Boys"- Dasein von "AC/DC" ebenso wie die satanistisch inspirierte Weltdeutung von "King Diamond" und den gewalttätigen Elitarismus von "Burzum" (siehe Kasten) - ohne sich vor einen bestimmten Karren spannen zu lassen. "Je tiefer man als Leser in seine Autobiografie eindringt, desto widersprüchlicher wird das Bild", merkt ein Musikjournalist an. Ebenso widersprüchlich ist die Einschätzung verschiedener Experten, welche Wirkung nun Mansons Geschrammel auf adoleszente Fans hat. "In einer ultraliberalen, reizüberfluteten Gesellschaft erfordert das Abschotten zwangsläufig immer neuere Extreme", gibt sich der Spiegel liberal bis resigniert. Medienwissenschaftler sind sich nach mehr als 6000 Studien zum Thema Gewalt zumindest weitgehend einig, dass Musik, Computerspiele, Film und Fernsehen eine Wirkung haben. Nur welche? Natürlich ist der Mensch viel zu komplex, um sich nur von einem Impuls bestimmen zu lassen. Allerdings können Musik oder Spiele vorhandene Tendenzen in einer von Langeweile und unterdrückter Aggression geprägten Gesellschaft durchaus sehr ungünstig verstärken. Anders gesagt: Ein Jugendlicher, der aus Spaß am Abtanzen mit seiner Freundin im Arm ein Marilyn-Manson-Konzert besucht, wird auf Parolen wie "Kill your Parents!" wohl anders reagieren als ein Altersgenosse, der morgens in der Schule übel gemobbt wurde und nachmittags Streit mit seinen Eltern hatte.
"Jeder sucht sich das Lied oder das Spiel aus, das zu seinen Wünschen und seinen Gefühlen passt", ist der Sozialforscher Jürgen Fritz überzeugt. So auch Marilyn Manson himself. Zur Entstehung seines Konzept-Albums "Antichrist Superstar" schreibt er:
"Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass der Antichrist eine Metapher ist, die man unter verschiedenen Namen in nahezu allen Religionen finden kann. Vielleicht liegt genau darin ihre Wahrheit begründet, denn offenbar gibt es einen enormen Bedarf nach einer solchen Figur. Wenn man die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, dann könnte es durchaus sinnvoll sein, in dem Antichristen keinen Bösewicht zu sehen, sondern ihn als den letzten Helden zu feiern, der die Menschheit vor ihrer eigenen Ignoranz rettet."
Doch Mansons Versuch, sich an die Musik zu verlieren, um sich selbst zu finden, ist offenbar nur zum Teil geglückt. Denn eine Zeile weiter lässt er sogleich einen rein destruktiven Drang zur Auflösung erkennen:
"Wer hat eigentlich behauptet, dass die Apokalypse mit Feuer, Pech und Schwefel auf uns niedergehen wird? Sie könnte sich doch auch auf einer viel persönlicheren Ebene ereignen. Wenn du glaubst, dass du das Zentrum des Universums bist, und du das Universum zerstören willst, dann brauchst du dafür nicht mehr als eine Pistole und eine Kugel."
Manson ist von dem bekannten Neo-Satanisten Anton Szandor LaVey persönlich zum "Priester" der "Church of Satan" ernannt worden und bekennt sich wie einst dieser dazu, "den Umsturz des Christentums zu betreiben, es mit dem vollen Gewicht seiner eigenen Verlogenheit zu Fall zu bringen: Der Krieg, den das Christentum seit Menschengedenken gegen den Teufel führt, ist in Wahrheit ein Kampf gegen die natürlichen Instinkte. Er richtet sich gegen Sex, gegen Gewalt, gegen jede Form von Selbstgenuss - und verleugnet so die unbestreitbare Tatsache, dass der Mensch dem Reich der Tiere angehört. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod ist nichts anderes als eine perfide Strategie des Christentums, um die Hölle auf Erden errichten zu können."
Ironischerweise hat Marilyn Manson sich mit seinem LaVey'schen "Teufelspakt" zur hemmungslosen Selbstbefreiung durch Drogen-, Sex-, Psycho- und Selbstverstümmelungs-Exzesse wenig mehr geschaffen als seine eigene Hölle. Die Tragik seines Lebens scheint letztendlich nicht darin zu bestehen, dass er etwas nicht erreicht hat - sondern dass er tatsächlich alles bekommen hat, was er wollte.
Seinem Tagebuch vertraute der Feind Nr. 1 des konservativen Establishments schon im September 1997 an: "Ich habe einen chinesischen Glückskeks aufgebrochen, und auf dem kleinen Zettelchen stand: 'Wenn alle deine Wünsche erfüllt sind, werden viele deiner Träume zerstört sein.'"
Literatur:
- Beier, L.O. (2002): Die freie Hasswirtschaft. In Der Spiegel 19/2002
- Harder, B. (2002): Die jungen Satanisten. Pattloch-Verlag, München
- Manson, M. (2000): The long hard road out of hell. Hannibal-Verlag, Höfen
- "Marilyn der Schreckliche." In Popcorn 6/2002
- Müller, K. (2002): "Marilyn Manson - Hat er ein Menschenleben auf dem Gewissen?" In: Yam 17/2002
- Stillich, S. (2002): Der Tod als Ware. In: Stern 20/2002
- Schweidlenka, R. (2001): Satanistischer Zeitgeist. In Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 7/2001
- Wolfsgruber, C. (2002): Morden und Metzeln. In Focus 19/2002
"I'm possessed by all that is evil; The Death of your God I demand; I spit at the virgin you worship; And sit at Lord Satan's left hand"
("Ich bin besessen von allem Bösen; den Tod eures Gottes fordere ich; Ich spucke auf die Jungfrau, die ihr verehrt; Und sitze zur linken Hand meines Herrn Satan")
gebärdeten sich "Venom" oder "Slayer" wie Satans leibhaftige Erfüllungsgehilfen und Stellvertreter auf Erden. Der amerikanische Ex-Musiker und Radio-Prediger Bob Larson wurde von einer großen Musikzeitschrift gebeten, "Slayer" auf einer Deutschland-Tournee zu begleiten. Nach und nach durchschaute Larson das immer gleiche Gebaren der Knüppel-Band:
"Alles, was die Gruppe tat, schien geplant, selbst die Zwischenbemerkungen auf der Bühne. In den folgenden Tagen merkte ich, dass jeder Gag genau einstudiert war. Nichts war spontan. Selbst Arayas rechtes Augenlid, das er bei dem Wort "Satan" immer leicht hochzog, schien vor dem Spiegel eingeübt zu sein. Jeder "böse Blick" wiederholte sich und kehrte auf ein bestimmtes Zeichen an der derselben Stelle wieder... Die Slayer-Fans in meiner Talkshow glauben, dass sich die Gruppe endlosen Satansorgien hingibt. In Wirklichkeit hatten die Jungs aber nach drei Wochen die Nase voll, sie langweilten sich und wollten nach Hause. Sie wollten Ansichtskarten von Schlössern am Rhein und weder schwarze Katzen noch heilige Dolche zum Herbeirufen von Dämonen kaufen...
Sollten die "Slayer" ihre Seelen an den Satan verkauft haben, dann haben sie das nicht bei einer schwarzen Messe, sondern auf der Bank getan. Vom magischen Becher des Todes und der Verzweiflung haben sie nicht getrunken, eher vom Elixier des Ruhmes. Image ist wichtiger ist Wahrhaftigkeit, ein skandalumwittertes Leben ist wichtiger als Integrität." (Larson 1990)
Ultraböse Images waren damals (wie heute) ein nicht unwirksames verkaufsförderndes Instrument. Und mittlerweile "rennen haufenweise solcher Truppen durch die Gegend, deren Musiker mit Satanismus absolut nichts am Hut haben. Sicheres Kennzeichen solcher Formationen ist die Tatsache, dass sie in der Kunde von den düsteren Mächten oftmals wenig bewandert sind und ihre Aussagen leicht widerlegt werden können, wenn man sich ein wenig mit der jeweiligen Materie auskennt." (Ludwig 1999)
Literatur
- Roccor, B. (1998): Heavy Metal - Kunst. Kommerz. Ketzerei. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde im Fach Volkskunde. I.P.-Verlag Jeske/Mader, Berlin
- Larson, B. (1990): Geht unsere Jugend zum Teufel? Hänssler-Verlag, Neuhausen
- Ludwig, R. (1999): "Haarus Longus Satanas?"
- Im Internet unter www.crossover-agm.de/
Er ist der Sohn eines Pfarrers und gab auf der Bühne drei Jahrzehnte lang das rockende Gruselmonster. Heute führt Alice Cooper ein Restaurant in Phoenix/Arizona, spielt Golf und schickt seine Kinder in den Sonntagsgottesdienst. Wohl nicht zu Unrecht nannte einst ein Kritiker den Skandal-Rocker Alice Cooper "Pfahl im Fleisch der Love-Generation". Dasselbe gilt z. B. für die englische Band "Iron Maiden", um die sich immer wieder Satanismus-Vorwürfe ranken. Dabei ist das einzige "teuflische" Lied der Hardrocker, "The Number of the Beast", mitnichten die "satanische Hymne", zu der es durch unvollständige und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate häufig gemacht wird. Ganz im Duktus des Heavy-Metal-Genres weisen "Iron Maiden" in diesem Stück darauf hin, dass das Böse mitunter eine geradezu teuflische Faszination ausüben kann - und dass jeder Mensch sich entscheiden muss, ob er seinen Trieben und Aggressionen - also der Macht des "Tieres" - nachgibt oder nicht.
Gitarrist Angus Young (v.) mag sich noch so sehr um den bösen Blick bemühen - mit Satanismus haben die Hardrocker von AC/DC nichts an der Mütze. In Songs wie "Highway to Hell" besingen sie lediglich eine "coole" Gegenwelt, in der alles erlaubt ist, was Spaß macht. Während Alice Cooper oder "Iron Maiden" den Teufel als Symbol für das Böse im Menschen hernehmen, wird er von anderen Musikern als eine Art Kollektiv-Zweifel an christlich-autoritären Werten instrumentalisiert. Dazu zählen u.a. "AC/DC". Ihr Kult-Hit "Highway to Hell" ist von echtem Satanismus ebenso weit entfernt wie Nicoles "Ein bisschen Frieden" von gezielter Sozialkritik. Die "Hölle" ist für die Hardrocker wenig mehr als eine "coole" Gegenwelt, in der es keine Vorschriften gibt und alles erlaubt ist, was Spaß macht. "Satan" erscheint hier weniger als böse Macht, sondern eher als "Luzifer" (lat. "Lichtbringer"), der sich gegen Gott aufgelehnt hat und deswegen aus dem Himmel verwiesen wurde. Er symbolisiert somit den Aufstand gegen die soziale Ordnung, die aus Sicht der Musiker und ihrer Fans Unterwerfung verlangt.
Eine schroffe Absage ans Establishment - das dürfte die weitaus häufigste Bedeutung von "teuflischer" Symbolik in der Rockmusik sein. Auch z. B. bei den "Rolling Stones", deren Song "Sympathy for the devil" seit einem Vierteljahrhundert als Einfallstor für den Gehörnten in die Populärkultur gilt. Dass "Sympathy" im Zusammenhang mit "for" mitnichten "Sympathie" heißt, sondern "Mitleid" oder "Verständnis", wird von zahllosen Kritikern ebenso geflissentlich überhört wie die dezente Ironie des Songs aus dem Jahr 1968.
Für die "Rolling Stones" war der Teufel kein anbetungswürdiges Idol, sondern Spötter und Ankläger des "heilen", selbstgerechten Amerika und der Materialismusgläubigkeit. Zugleich griffen Mick Jagger und seine Mannen direkt auf die Wurzeln der heutigen Rock- und Popmusik zurück: den Blues. Denn in den Songs der schwarzen Bevölkerung Amerikas stand der Teufel für die Auflehnung gegen unterdrückte Sinnlichkeit und jedwede restriktive, zumeist puritanische, Ethik. (Fermor 1995)
Literatur:
- Roccor, B. (1998): Heavy Metal - Kunst. Kommerz. Ketzerei. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde im Fach Volkskunde. I.P.-Verlag Jeske/Mader, Berlin
- Fermor, G. (1995): Satanismus in der Rockmusik. Orientierungen und Berichte der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen Nr. 22, Berlin<
So wie Jimmy Page gibt es durchaus echte "Gläubige" unter den Düster-Metallisten; diese aber wollen unter ihrer "satanistischen" Weltanschauung in der Regel etwas völlig anderes verstanden wissen als ihre Fans und Kritiker. Offen bekennt sich z. B. der Ex-"Mercyful Fate"-Sänger King Diamond zur "Church of Satan". Und was meint der Däne, wenn er vom Teufel singt? "Ich meine nicht den biblischen Satan, für mich ist das Wort ein Synonym für die Kraft der dunklen Mächte und des Unbekannten! Was wir den Leuten sagen wollen ist: Live out your feelings! Macht das, was ihr immer machen wolltet! Ich persönlich glaube weder an Gott noch an den Teufel oder sonst so etwas..." "Der Song 'Satan's Fall' beschreibt schlicht und einfach das dümmliche Klischee, das die christliche Kirche dem Satanismus anzuhängen versucht. Aber das haben viele Leute nicht begriffen und das Ganze deshalb wörtlich genommen." (Roccor 1998)
Bedenklich muss nichtsdestotrotz die Tatsache stimmen, dass King Diamond wie auch "Morbid Angel" oder "Deicide" die Verantwortung für etwaige "Missverständnisse" allein den Hörern zuschieben. Die Unterscheidung, wer in seinen Songs - sich "modern" dünkende - neosatanistisch-weltanschauliche Gedanken verarbeitet und wer lediglich einen mittelalterlichen Okkultismus-Katalog plündert, ist ohne Kenntnis des Gesamtwerks einer Band und ohne regelmäßige Lektüre von Musikmagazinen, Interviews etc. nahezu unmöglich. "Ein zu Protestzwecken gebrauchtes Pentagramm sieht nun mal genauso aus wie ein als religiöses Symbol benutztes." (Ludwig 1999)
Literatur:
- Roccor, B. (1998): Heavy Metal - Kunst. Kommerz. Ketzerei. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde im Fach Volkskunde. I.P.-Verlag Jeske/Mader, Berlin
- Ludwig, R. (1999): "Haarus Longus Satanas?"
- Im Internet unter www.crossover-agm.de
Schlagzeuger Bard G. Eithun, genannt "Faust", tötete auf dem Olympiagelände von Lillehammer einen Homosexuellen und sitzt für 14 Jahre hinter Gittern. Gitarrist "Samoth" zündete eine Kirche an und wurde zu 16 Monaten Haft verurteilt. Keyboarder "Tchort" stach einen Mann nieder, was ihm ein halbes Jahr Gefängnis einbrachte: Zusammen mit ihrem Sänger "Ihsahn" bildet die norwegische Black-Metal-Band "Emperor" wohl in der Tat den "höllischsten Vierer, den ihre Heimat und die Welt je gesehen haben", wie ein wohlmeinender Szene-Kritiker hervorhebt. Mehr noch: "Emperor" bildeten mit den "Mayhem", "Burzum", "Satyricon", "Darkthrone" und "Thorns" mutmaßlich die Elite des berüchtigten "Inner Circle" - einer mysteriösen Clique von gewaltbereiten satanistischen Überzeugungstätern, denen Kirchenbrände und andere Verbrechen angelastet werden. Ob der "Inner Circle" nach dem Mord an "Mayhem"-Gitarrist Oystein Aarseth, zahlreichen brennenden Kirchen und der Verurteilung von "Burzum"-Sänger Varg Vikernes wegen Mordes und Brandstiftung zu 20 Jahren Gefängnis noch existiert, ist unklar.
Nach dem Motto: "Die alten Bands haben nur darüber gesungen - wir tun es!" bekunden einige Musiker offen, ihre düstere Zerstörungslyrik auch am lebenden Objekt testen zu wollen. Der Sänger "Shagrath" von "Dimmu Borgir" ("Dunkle Festung") antwortet auf die Frage, was er am meisten hasse: Christen, Juden, Buddhisten, Moslems und alle anderen schwachen Menschen. Sein eigenes "Glaubensbekenntnis" umreißt er mit den Worten: "Satan ist mein Gott. Er ist der Meister dieser Welt und wird bald kommen, um sein Königreich zu errichten. Er ist der König über allen Königen."
Den Anteil des radikalen Flügels am gesamten Black- und Heavy-Metal-Bereich schätzen Experten vorsichtig auf zwei bis vier von 100 Bands. Rein musikalisch stagniert die Szene seit Jahren und "nervt", wie es viele Fans in Leserbriefen an Heavy-Metal-Magazine wie "Rock Hard" zum Ausdruck bringen. Aktuell versuchen Varg Vikernes und Co., einen Schulterschluss zwischen Black Metal, Satanismus und Neofaschismus herbeizuführen. Die Nazis und Antichristen haben offensichtlich einige Gemeinsamkeiten. "Das Elitedenken steht ganz oben", beobachtet der Politologe Rainer Fromm. Sowohl Nazis als auch Satanisten wollten einer außerordentlichen Gemeinschaft angehören. Hinzu kämen die ähnlichen Feindschemata: die Unterscheidung in lebenswerte und lebensunwerte Wesen. Auch das geringschätzige Frauenbild spiele eine Rolle. Während bei Nazis die Frau als Gebärmaschine gelte, müsse sie beim Satanismus als "Gebrauchsgegenstand" für Rituale herhalten, so Fromm.
Ob diese Vernetzung allerdings gelingen wird, ist unter Experten sehr umstritten. Denn die rechte Szene huldigt eher neuheidnischen und esoterischen Denkmustern, in denen Satanisten als Spinner gelten.
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 3/2002.