Im Dom von Neapel wird als Reliquie getrocknetes Blut des Heiligen Januarius (San Gennaro) gezeigt, das sich bei bestimmten Anlässen wieder verflüssigt. Da es sich seit Jahrhunderten in einer versiegelten Ampulle befindet, kann es sich kaum um Betrug oder Täuschung handeln. Handelt es sich dann nicht um ein replizierbares paranormales Phänomen?
Das "Blutwunder" von Neapel findet alljährlich regelmäßig Anfang Mai und am 19. September und den jeweils folgenden sieben Tagen, sowie am 16. Dezember statt. Am Anfang der Zeremonie, die oft Tausende von Gläubigen anlockt, enthält die in einer silbernen Monstranz ("teca") montierte Ampulle eine schwärzliche, feste Masse - laut Überlieferung das Blut des 305 von Kaiser Diokletian enthaupteten Januarius, Bischof von Benevent. Begleitet von Gebeten der Gläubigen dreht der Priester die Monstranz immer wieder, bis der zunächst am Glas haftende Klumpen sich verflüssigt. Dabei wird auch berichtet, dass sich das Volumen der Flüssigkeit ändern kann, doch kann es sich dabei um eine Täuschung handeln, wenn die Flüssigkeit mehr oder weniger die Wandungen benetzt. Nur selten bleibt die Verflüssigung aus, was dann oft als schlechtes Omen angesehen wird. Umgekehrt jedoch kommt es gelegentlich auch vor, dass die Substanz bereits bei der Entnahme der Monstranz aus dem Schrein flüssig ist, oder eine Verflüssigung unabhängig von der Zeremonie bei Reparaturen der "teca" auftritt. Das Blutwunder ist zum ersten Mal für 1389 dokumentiert, und seit 1659 wird eine vollständige Chronik geführt (Bender 1965). Worum handelt es sich bei dem "Blut" tatsächlich?
Leider ist eine vollständige Analyse der Substanz ohne Öffnen der Ampulle nicht möglich. Im Jahre 1902 wurde zwar eine spektroskopische Untersuchung durchgeführt, bei der die für Blut charakteristischen Spektrallinien gefunden wurden. Damit ist jedoch nur gezeigt, dass sie einen Anteil Blut enthält, doch ist es möglich,dass es sich hauptsächlich um eine ganz andere Substanz handelt, der Blut zur Färbung beigemischt wurde. Solange eine vollständige Analyse des Ampulleninhalts nicht möglich ist, kann eine endgültige Lösung des Wunders natürlich nicht gegeben werden. Die Frage ist nun, ob es Substanzen gibt, die ein ähnliches Verhalten wie das "Blut des Hl. Januarius" zeigen und unter ähnlichen Bedingungen eine Verflüssigung zeigen. Da die Verflüssigung bei ganz verschiedenen Temperaturen stattfindet, kann es sich nicht um normales Schmelzen einer leicht schmelzbaren Substanz handeln. Jedoch sind die Beobachtungen mit dem Verhalten so genannter thixotroper Flüssigkeiten konsistent. Unter
Thixotropie versteht man die Eigenschaft mancher Gele oder fester Stoffe, unter Vibration oder bei Bewegung flüssig zu werden. Tatsächlich ist beim Blutwunder von Neapel das Bewegen der Ampulle ein wichtiger Aspekt. Der Chemiker Luigi Garlaschelli (1991) ist dieser Erklärung nachgegangen und konnte eine dunkelbraune thixotrope Substanz aus Eisenchlorid (das als Mineral Molysit am Vesuv vorkommt), Kalk und Kochsalz nach einem einfachen Verfahren herstellen. Andere Rezepte beruhen auf Ton, Bienenwachs, Alkohol, Leinsamen und Öl. Da alle Rohstoffe leicht in der Natur erhältlich sind, konnten fromme Fälscher im Prinzip bereits in der Antike oder im Mittelalter ohne Probleme thixotrope Substanzen erzeugen und durch Beifügung von Blut realistisch aussehen lassen, sodass zum Verständnis des Blutwunders keine übernatürlichen Erklärungen notwendig sind.
Stephan Matthiesen
Literatur
- Bender H (1965) Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie 8: 176-197
- Garlaschelli L, Ramaccini F, Dellasala S (1991) Working Bloody Miracles. Nature 353: 507