Robert Todd Carroll (Übersetzung: Tobias Budke)
Als "Leitfaden für den menschlichen Verstand" bezeichnet die Scientology-Organisation das Buch "Dianetik" ihres Gründers Ron Hubbard. Nach Auffassung der Scientologen ist Dianetik zugleich eine Wissenschaft und eine therapeutische Technik, die alle psychosomatischen Krankheiten und mentalen Störungen heilen kann. Doch was ist tatsächlich von dieser Heilslehre zu halten?
Im Jahre 1950 veröffentlichte Lafayette Ronald Hubbard sein Werk "Dianetik: Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit". (Herausgegeben von The American Saint Hill Organization, Los Angeles. Alle Seitenangaben beziehen sich auf diese gebundene Ausgabe.) Dieses Buch ist die "Bibel" der Scientology, die als Wissenschaft, als Kirche und als Religion bezeichnet wird. Hubbard teilt dem Leser mit: "Dianetik enthalte eine therapeutische Technik, mit der alle nicht-organischen Geisteskrankheiten und alle organischen psychosomatischen Erkrankungen mit der Garantie vollständiger Heilung behandelt werden können …"
Er behauptet, er habe die "einzige Ursache mentaler Störungen" entdeckt (S. 6). Eine vorbeugende Warnung findet sich jedoch auf dem Einband des Buches: Sie besagt, dass "Scientology und ihr Teilgebiet, Dianetik, wie von der Kirche praktiziert … keine Personen anzunehmen beabsichtigen, die eine Behandlung für körperliche oder geistige Erkrankungen wünschen. Diese seien an qualifizierte Spezialisten verwiesen, die sich mit diesen Problemen befassen."
Dieses "Dementi" scheint offensichtlich ein Schutzmechanismus gegen Vorwürfe zu sein, man praktiziere Medizin ohne Berufslizenz, da der Autor wiederholt darauf beharrt, Dianetik könne so ziemlich alle Leiden und Plagen heilen. Er beharrt ebenso nachdrücklich darauf, bei Dianetik handele es sich um eine Wissenschaft. Allerdings kann jeder, der sich mit wissenschaftlichen Texten auskennt, schon nach den ersten paar Seiten von "Dianetik" feststellen, dass es kein wissenschaftliches Werk und der Autor kein Wissenschaftler ist. Dianetik ist ein klassisches Beispiel für eine Pseudowissenschaft.
Auf Seite 5 von "Dianetik" versichert Hubbard, eine Wissenschaft des Geistes müsse "eine einzige Ursache aller Geisteskrankheiten, Psychosen, Neurosen, Zwangshandlungen, Verdrängungen und sozialen Störungen" finden. Eine solche Wissenschaft muss laut Hubbard "unabänderliche wissenschaftliche Beweise über die grundlegende Natur und den funktionalen Hintergrund des menschlichen Verstandes" liefern und "Ursache und Heilung aller psychosomatischen Krankheiten" verstehen. Dennoch behauptet er gleichzeitig, es sei sinnlos, von einer Wissenschaft des Geistes zu erwarten, sie könne eine einzige Ursache für Geisteskrankheiten ermitteln, da manche durch"missgebildete, zerstörte oder verletzte Gehirne oder Nervensysteme", andere wiederum durch ärztliche Eingriffe verursacht werden. Frohgemut trotz dieses offensichtlichen Widerspruchs fährt Hubbard fort und stellt fest, dass diese Wissenschaft des Geistes "in Bezug auf die experimentelle Präzision auf einer Stufe mit Physik und Chemie stehen würde."
Danach erfahren wir, Dianetik sei "… eine geordnete Wissenschaft des Denkens, errichtet auf klaren Axiomen: Aussagen über Naturgesetze auf derselben Stufe wie die der Naturwissenschaften … " (S. 6).
Es gibt klare Hinweise darauf, dass diese so genannte Wissenschaft des Geistes überhaupt keine Wissenschaft ist. Einen Beweis liefert die Behauptung, Dianetik sei errichtet auf "eindeutigen Axiomen"; ein anderer ergibt sich aus Hubbards a priori-Wissen über die Zahl der kausalen Mechanismen, die für alle Phänomene existieren müssen. Echte Wissenschaft basiert auf vorläufigen Hypothesen zur Erklärung beobachteter Phänomene. Die wissenschaftliche Ermittlung von Ursachen - einschließlich ihrer Zahl - ist eine Sache der Entdeckung, nicht der willkürlichen Festsetzung. Außerdem haben Wissenschaftler im Allgemeinen Respekt für logisches Denken und täten sich schwer, ohne Schalk im Nacken zu sagen: Diese neue Wissenschaft muss nachweisen, dass es eine einzige Ursache aller geistigen Erkrankungen gibt; ausgenommen hiervon seien diejenigen geistigen Erkrankungen, die eine andere Ursache haben.
Weitere Beweise für die Unwissenschaftlichkeit der Dianetik liegen vor. Hubbards Theorie des Verstandes hat nur wenig gemein mit moderner Neurophysiologie und all dem, was über das Gehirn und seine Funktionsweise bekannt ist. Laut Hubbard hat der Verstand drei Teile: "Der analytische Verstand ist der Teil, der Erfahrungen wahrnimmt und speichert, um Probleme zu erfassen, zu lösen und den Organismus entlang der vier Haupttriebe zu steuern. Er denkt in Unterschieden und Ähnlichkeiten. Der reaktive Verstand ist der Teil des Geistes, der körperlichen und emotionalen Schmerz ablegt und speichert und bestrebt ist, den Organismus ausschließlich auf einer Reiz-Reaktions-Basis zu lenken. Dieser Teil denkt nur in Identitäten. Der somatische Verstand ist derjenige, der - angeleitet vom analytischen oder reaktiven Verstand - Lösungen auf der körperlichen Ebene in die Tat umsetzt." (S. 39)
Wenn wir Hubbard glauben wollen, dann ist die einzige Ursache von Geisteskrankheit und psychosomatischen Störungen das Engramm. Engramme finden sich in jedermanns "Engramm-Speicherbank", d. h. im reaktiven Verstand."Der reaktive Verstand kann bei einem Menschen Arthritis, Asthma, Allergien, Stirnhöhlenvereiterung, Herzprobleme, hohen Blutdruck und alle weiteren Krankheiten auf der Liste der Psychosomatik erzeugen, wobei noch einige hinzukommen, die niemals klar als psychosomatisch eingestuft wurden, etwa die Erkältung" (S. 51), so Hubbard. Man sucht allerdings vergeblich nach Belegen für diese Behauptungen und wird abgespeist mit: "Das sind wissenschaftliche Fakten. Sie passen ausnahmslos zu den Beobachtungsergebnissen." (S. 52)
Ein Engramm wird definiert als"eine klare und permanente Spur, die von einem Reiz auf dem Protoplasma des Gewebes zurückgelassen wird. Man betrachtet es als eine Einheitengruppe von Reizen, die nur das zelluläre Wesen beeinträchtigen." (S. 60, Anmerkung)
Wir erfahren, dass Engramme nur während Phasen körperlichen oder seelischen Leidens aufgezeichnet werden. Während dieser Phasen macht der "analytische Verstand" dicht, und der reaktive Verstand wird aktiviert. Der analytische Verstand hat allerlei fantastische Eigenschaften, einschließlich der Unfähigkeit, Fehler zu begehen. Er hat, so Hubbard, normale Erinnerungsspeicher im Gegensatz zum reaktiven Speicher. Diese normalen Erinnerungsspeicher zeichnen alle möglichen Wahrnehmungen auf und sind laut Hubbard vollkommen und speichern alles Gehörte und Gesehene ganz exakt.
Wie steht es mit Beweisen für die Existenz von Engrammen und ihrer "festen Verankerung" in Zellen während schmerzhafter körperlicher oder emotionaler Erlebnisse? Hubbard sagt nichts von irgendwelchen Laborstudien, aber er sagt: "In der Dianetik, auf der Ebene der Laborbeobachtungen, entdecken wir zu unserem großen Erstaunen, dass Zellen auf eine zurzeit noch unerklärliche Art offenbar ein Bewusstsein haben. Wenn wir also nicht eine menschliche Seele annehmen wollen, die in Sperma und Ei bei der Zeugung eintritt, dann gibt es Dinge, die keine andere Annahme erklären kann außer der Annahme vom wie auch immer gearteten Bewusstsein der Zelle." (S. 71)
Diese Erklärung liegt nicht auf der "Ebene der Laborbeobachtungen", aber sie stellt eine falsche Alternative dar und führt zu einer Scheinfrage. Darüber hinaus hat die Theorie von Seelen, die in Zygoten eintreten, zumindest einen Vorzug vor Hubbards Vorstellungen: Sie basiert nicht auf Täuschung und ist eindeutig metaphysisch. Hubbard hingegen ist bemüht, seine metaphysischen Behauptungen im wissenschaftlichen Gewand zu präsentieren: "Die Zellen als Gedankeneinheiten haben Einfluss, als Zellen, auf den Körper als Gedankeneinheit und Organismus. Wir sind nicht gezwungen, diese strukturellen Probleme zu entwirren, um unsere funktionalen Grundannahmen zu klären. Zellen speichern offenbar Engramme von schmerzhaften Erlebnissen. Schließlich sind sie es, die verletzt werden…
Der reaktive Verstand könnte durchaus die kombinierte zelluläre Intelligenz sein. Es ist nicht nötig, anzunehmen, dass es so ist, aber es ist eine praktische Strukturtheorie angesichts des Mangels an ernsthafter Arbeit auf dem Gebiet der Strukturen. Die reaktive Engramm-Bank könnte aus dem Material bestehen, das die Zellen selber lagern. Es spielt im Moment noch keine Rolle, ob dies glaubhaft oder unglaublich ist … Es ist eine wissenschaftliche Tatsache - beobachtet und getestet - dass der Organismus angesichts körperlicher Schmerzen zulässt, dass der Analysierende aus dem Kreislauf gestoßen wird und daher nur eine begrenzte oder gar keine Menge an persönlichem Bewusstsein als Einheitsorganismus besteht." (S. 71)
Hubbard versichert, dass diese Tatsachen auf Beobachtungen und Tests basieren, aber Fakt ist, dass keine ernsthafte Arbeit auf diesem Gebiet geleistet wurde. Die folgenden Beispiele sind typisch für die "Beweise", die Hubbard für seine Engramm-Theorie liefert: "Eine Frau wird von einem Schlag getroffen. Sie 'verliert das Bewusstsein'. Sie wird getreten und als Simulantin bezeichnet; man sagt ihr, sie tauge nichts, sie sei launisch und unberechenbar. Während dessen wird ein Stuhl umgeworfen. Ein Wasserhahn läuft in der Küche. Ein Auto fährt am Haus vorbei die Straße entlang. Das Engramm enthält eine laufende Aufzeichnung all dieser Wahrnehmungen: Sicht, Geräusche, Körperkontakt, Geruch, organische Wahrnehmung, kinetischer Sinn, Gelenkposition, Durst etc. Das Engramm beinhaltet alles, was die Frau wahrgenommen hat, während sie 'ohne Bewusstsein' war: Lage und Gefühlsausdruck der Stimme, Geräusch und Gefühl der ersten und späteren Schläge, den Kontakt mit dem Fußboden, Gefühl und Geräusch des umkippenden Stuhls, die organische Wahrnehmung des Schlages, vielleicht auch den Geschmack von Blut oder irgendetwas anderem im Mund, den Geruch der Person, die sie angreift, ebenso wie die Gerüche im Zimmer, das Geräusch des vorbeifahrenden Autos (Motor und Reifen), etc." (S. 60)
Inwieweit dieses Beispiel einen Bezug zu Geisteskrankheit oder psychosomatischen Erkrankungen hat, wird von Hubbard so erklärt: "Das Engramm, das die Frau erworben hat, enthält eine neurotische positive Suggestion … Man hat ihr gesagt, sie sei eine Simulantin, sie tauge nichts, sie sei launisch und unberechenbar. Wird das Engramm dann später auf eine der zahllosen möglichen Arten wieder ausgelöst [etwa durch das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens bei gleichzeitig laufendem Wasserhahn und einem umkippenden Stuhl], dann bekommt sie das Gefühl, sie tauge nichts, sie sei eine Simulantin und sie werde mal wieder einer Laune nachgeben." (S. 66)
Eine Methode, solche Behauptungen empirisch zu testen, kann es nicht geben. Eine "Wissenschaft", die nur aus solchen Behauptungen besteht, ist nichts als eine Pseudowissenschaft.
Hubbard gibt an, enorme Datenmengen seien gesammelt und nicht eine einzige Ausnahme von seiner Theorie gefunden worden (S. 68). Wir müssen seinem Wort vertrauen, scheint es, denn die "Datenmengen", die er präsentiert, haben alle die Form von Anekdoten oder erfundenen Beispielen wie dem obigen.
Ein weiteres Indiz für die Unwissenschaftlichkeit der Dianetik und der Ahnungslosigkeit ihres Begründers in Bezug auf die wissenschaftliche Arbeitsweise findet sich in Behauptungen wie dieser: "Mehrere Theorien könnten aufgestellt werden, warum der menschliche Geist sich so und nicht anders entwickelte, aber es handelt sich um Theorien, und Dianetik befasst sich nicht mit Strukturen." (S. 69)
Auf diese Art teilt Hubbard uns mit, dass es ihn nicht kümmert, dass man Engramme nicht beobachten kann, denn obwohl sie als permanente Veränderungen in den Zellen definiert sind, sind sie als physikalische Strukturen unauffindbar. Es schert ihn ebenso wenig, dass die Heilung aller Krankheiten darin besteht, diese "permanenten" Engramme aus der reaktiven Bank zu "löschen". Er gibt an, sie werden nicht wirklich entfernt, sondern einfach in die Standard-Bank übertragen; wie dies physikalisch oder strukturell vor sich geht, spielt offenbar keine Rolle. Es wird einfach versichert, dass es so ist - ohne Argumente oder Belege. Hubbard wiederholt schlicht, es handele sich um eine wissenschaftliche Tatsache, als ob dies ausreichen würde.
Noch eine "wissenschaftliche Tatsache" ist laut Hubbard der Umstand, dass die schädlichsten Engramme im Mutterleib entstehen. Der Mutterleib wird zu einem schrecklichen Ort; er ist "nass, unbequem und ungeschützt" (S. 130). "Mama niest, das Baby 'verliert das Bewusstsein'. Mama läuft leicht und locker gegen einen Tisch, das Baby erhält einen Schlag auf den Kopf. Mama hat Verstopfung und das Baby wird beim Versuch des Stuhlgangs zerquetscht. Papa gibt sich der Leidenschaft hin, und das Baby hat das Gefühl, es sei in eine laufende Waschmaschine geraten. Mama wird hysterisch, das Baby bekommt ein Engramm. Papa schlägt Mama, das Baby bekommt ein Engramm. Der Kleine springt auf Mamas Schoß, das Baby bekommt ein Engramm. Und so weiter." (S. 130)
Hubbard informiert uns, dass ein Mensch "mehr als zweihundert" pränatale Engramme haben kann und dass Engramme, die "man als Zygote bekommt, potentiell die verstörendsten sind, da ganz und gar reaktiv. Diejenigen, die man als Embryo bekommt, sind außerordentlich verstörend. Engramme, die man als Fötus erhält, reichen für sich genommen schon aus, um Leute in eine Anstalt zu bringen." (S. 130f.)
Wo sind die Beweise hierfür? Wie testet man eine Zygote auf Engramm-Aufzeichnung? "All diese Dinge sind wissenschaftliche Tatsachen, getestet, nochmal überprüft und dann wieder getestet", meint Hubbard (S. 133). Aber sein Wort ist alles, was wir kriegen. Anders als Politiker und Fußballtrainer erwarten Wissenschaftler normalerweise nicht, dass man ihrem Ehrenwort glaubt, wenn es um derart aufsehenerregende Behauptungen geht.
Um von einer Krankheit geheilt zu werden, braucht man zusätzlich noch einen Dianetik-Therapeuten, einen so genannten Auditor. Wer hat diese Qualifikation? "Jeder Mensch, der intelligent, von normaler Beharrlichkeit und bereit ist, dieses Buch ['Dianetik'] gründlich zu lesen, sollte in der Lage sein, ein Dianetik-Auditor zu werden." (S. 173)
Der Auditor muss "dianetische Träumerei" verwenden, um eine Heilung zu erzielen. Ziel der dianetischen Therapie ist die Herstellung eines "release" oder eines "clear" (Anmerkung des Übersetzers: Diese Begriffe werden auch im deutschen Sprachraum in ihrer englischen Form verwendet. Ihre Bedeutung ist etwa "Freigelassener" bzw. "Reiner"). Beim Ersteren wurden starke Stress- und Angsterlebnisse durch Dianetik entfernt; der Letztere hat weder aktive noch potenzielle psychosomatische Krankheiten oder Störungen (S. 170). "Ziel und einziger Zweck der Therapie ist die Entfernung des Inhaltes der reaktiven Engramm-Bank. Bei einem release wird ein Großteil seiner emotionalen Beschwerden aus der Bank gelöscht; bei einem clear wird alles entfernt." (S. 174)
Die "Träumerei", die man einsetzt, um diese Wunder zu erzielen, wird als intensivierte Verwendung einer speziellen Fähigkeit des Gehirns beschrieben, die jedermann besitzt, die aber "der Mensch durch ein merkwürdiges Versäumnis niemals zuvor entdeckt hat" (S. 167).
Hubbard hat also etwas entdeckt, das zuvor niemand jemals gefunden hat, und doch geht seine Beschreibung der "Träumerei" nicht über die eines Menschen hinaus, der still sitzt und einem anderen seine Probleme erzählt (S. 168). Beeindruckend zusammenhanglos verkündet er dann, dass Auditing "vollständig aus dem Bereich der existierenden Gesetzgebung" herausfalle, anders als Psychoanalyse, Psychologie und Hypnose, die alle "auf irgendeine Weise ein Individuum oder die Gesellschaft schädigen können" (S. 168f.).
Es wird jedoch nicht klar, warum das Erzählen von Problemen eine monumentale Entdeckung sein sollte - oder warum Auditoren anderen Menschen oder der Gesellschaft keinen Schaden zufügen können, wo Hubbard ihnen doch rät: "Bewerten Sie niemals das Datenmaterial … stellen Sie den Wert der Daten nie in Frage. Behalten Sie Ihre Bedenken für sich." (S. 300).
Das klingt nicht wie ein Wissenschaftler, der seinen Schülern einen vernünftigen Rat gibt; es klingt wie ein Guru, der seine Jünger anweist.
Dem, was Hubbard einem als Wissenschaft des Geistes verkaufen will, mangelt es sehr an einem entscheidenden Bestandteil, den man von Wissenschaft erwarten darf: empirische Tests von Hypothesen. Die entscheidenden Bestandteile von Hubbards so genannter Wissenschaft scheinen nicht testbar zu sein, und doch behauptet er wiederholt, er verwende nur wissenschaftliche Tatsachen und Daten aus vielen Experimenten. Es wird noch nicht einmal deutlich, wie solche "Daten" beschaffen sein könnten; das meiste Material liegt vor in Form von Anekdoten und Spekulationen wie diese über eine Patientin, die glaubt, ihr Vater habe sie mit neun Jahren vergewaltigt. "Viele geisteskranke Patientinnen behaupten so etwas", sagt Hubbard und fährt dann fort, indem er angibt, die Patientin sei tatsächlich "vergewaltigt" worden "neun Tage nach der Zeugung … Druck und Durcheinander des Koitus sind sehr unbequem für das Kind und führen normalerweise zu einem Engram, das den Geschlechtsakt und alles dabei Gesagte enthalten wird." (S. 144)
Spekulationen dieser Art gehören in einen Roman, aber nicht in die Wissenschaft.
Robert Todd Carroll ist Professor für Philosophie am Sacramento City College in Kalifornien.
Tobias Budke hat im Internet eine "Skeptische Ecke" eingerichtet; sie ist als kritisches Forum für "skeptisches Denken, Wunderglauben, Esoterik und dergleichen" konzipiert. Kernstück der Seiten ist neben vielen Literaturhinweisen die Übersetzung von Robert Todd Carrolls "The Skeptic's Dictionary" (http://www.skepdic.com). Inzwischen hat Budke etwa 120 Texte von "Abrakadabra" bis "Zombie" übersetzt, mit Kommentaren versehen und eigene Einträge hinzugefügt. [Nachtrag 15.03.2009: Die Website existiert inzwischen nicht mehr.]
Anmerkung des Übersetzers: Über Hubbard ist außerordentlich viel geschrieben worden, insbesondere mit Bezug auf Scientology; die Dianetik war insofern die Vorläuferin, da Hubbard aus Steuergründen für seine Therapie einen Religionsstatus haben wollte (bereits 1951 folgte Hubbard mit dem Werk "Science and Survival", das die Dianetik deutlich in Richtung religiöse Sekte auf Kurs brachte). Der Psychologe Colin Goldner vom "Forum kritische Psychologie" berichtet von einem Fall, in dem ein Münchner Ingenieur DM 176 000 an Kursgebühren bezahlte, bevor er zu Sinnen kam und Scientology verklagte; die "psychologischen" Methoden der Kirche gehen samt und sonders auf die Dianetik zurück. Man kann sich Hubbards Ideen gar nicht absurd genug vorstellen. So gibt es bei Scientology nicht nur einfach "clears", sondern noch zahlreiche höhere Stufen, "Operative Thetanen (OT)" genannt, offenbar Übermenschen mit Macht über Raum und Zeit. In kostspieligen Kursen kann man sich vom "clear" zum "OT 1", "OT 2" und so weiter hocharbeiten, vermutlich ohne Ende. Hubbard ließ die angeblichen Fähigkeiten einer "clear" namens Sonya Bianca 1950 vor 6000 Zuschauern demonstrieren; das Publikum war vom Scheitern der Demonstration so verärgert, dass es in Scharen abwanderte. Hubbard selber gab damals zu, er sei kein "clear", aber später liest man Behauptungen wie die, er habe den Himmel besucht, und zwar "43 891 832 611 177 Jahre, 344 Tage, 10 h, 20 min, 40 sec vor dem 9. 5. 1963, 22:02:30 Uhr". "Die Bedeutung dieser Aussage entgeht den meisten Menschen" (James Randi). Er begann als Science-fiction-Autor des so genannten "Goldenen Zeitalters", lenkte seine SF-Phantasien aber rasch in profitablere Bahnen; zwischenzeitlich war er Mitglied im OTO, der okkulten Vereinigung des Neo-Satanisten Aleister Crowley, und wurde mitsamt seiner Dianetik lange von dem Herausgeber des SF-Magazins Astounding, John Campbell Jr, unterstützt. Hubbard, geboren 1911, starb 1986, obwohl der Kult dies niemals zugegeben hat. Vermutlich betrachten sie ihn als entrückt. Tobias Budke
Moderne Untersuchungsmethoden wie die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) zeigen, dass sämtliche Hirnregionen aktiv sind - wenn auch nicht alle zur gleichen Zeit, genauso wenig wie wir sämtliche Muskeln unseres Körpers gleichzeitig anspannen können. Richtig ist, dass "nur etwa zehn Prozent der 100 Milliarden Neuronen mit Denkprozessen beschäftigt sind", erklärt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt, Professor Wolf Singer. Doch die restlichen Nervenzellen liegen mitnichten brach, sondern sie steuern beispielsweise die vegetativen Funktionen. Die Vorstellung, mehr Hirnaktivität sei gleichbedeutend mit "besserem" Denken, ist also völlig irrig. Bernd Harder
Literatur
- Drösser, C. (2000): Stimmt’s? Sonderausgabe. 122 moderne Legenden im Test. Rowohlt, Reinbeck
- Radford, B. (2000): The Ten-Percent-Myth. In: Bizarre Cases, S.118, Committee for the Scientific Investigation in Claims of the Paranormal (CSICOP), Amherst
Internet-Tipp: "Auditing und andere Psychotechniken aus wissenschaftlicher Sicht" von Professor Hans Kind (www.ingo-heinemann.de)
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 1/2002.