10. GWUP-Konferenz "Moderne Mythen" in München, 1. - 4. Juni 2000
Andrea Kamphuis, Stephan Matthiesen
Das Forum der Technik auf der Münchner Museumsinsel war Veranstaltungsort der 10. GWUP-Konferenz, zu der etwa 100 Teilnehmer aus allen Teilen Deutschlands anreisten.
Das Münchner Forum der Technik war Veranstaltungsort der diesjährigen GWUP-Konferenz.
Beschränkt auf den Vortragssaal war die Konferenz jedoch nicht, denn die nahe gelegenen Biergärten luden dazu ein, die Diskussionen über das facettenreiche Thema „Moderne Mythen" während der Pausen auch in weniger formellem Rahmen unter der heißen Münchner Sonne fortzuführen.
Ein unterhaltsamer und zugleich lehrreicher Einstieg in das Thema war der Abendvortrag von Walter Krämer. Unter der These „Es ist das Potential des Irrtums, das den Menschen vom Schimpansen unterscheidet" stellte Krämer eine ganze Reihe verbreiteter Irrtümer vor, die er grob in vier Klassen zusammenfasste: Irrtümer über Fakten, Irrtümer aufgrund widersprüchlicher Definitionen, Trugschlüsse der Logik sowie falsche Theorien. Zu den Irrtümern über Fakten gehört beispielsweise der Glaube, dass Ketchup eine amerikanische Erfindung ist - tatsächlich beruht es auf einem chinesischen Rezept und ist nur von dem Amerikaner Heinz popularisiert und vermarktet worden. Derartige Irrtümer über Fakten sind „gutmütig", man kann sie im Prinzip meist leicht klären, indem man die Fakten herausfindet.
Schwieriger zu entdecken und aufzuklären sind dagegen Irrtümer aufgrund unterschiedlicher Definitionen. So scheinen Peru und andere südamerikanische Länder eine überraschend geringe Säuglingssterblichkeit zu haben. Doch unterscheiden sich die Definitionen von „Säuglingssterblichkeit" von Land zu Land: „Lebendgeboren" sind Kinder in Deutschland mit dem ersten Herzschlag oder dem Einsetzen der Atmung, in Peru jedoch erst mit dem Zeitpunkt der Taufe - alle Kinder, die nach dem ersten Herzschlag, aber vor der Taufe sterben, tauchen daher in Peru nicht in der Säuglingssterblichkeitsstatistik auf, sondern gelten als Totgeburten.
Eine weitere Klasse von Irrtümern sind logische Trugschlüsse. Katholische Bischöfe haben unter allen Berufen eine der höchsten Lebenserwartungen - leben sie also gesünder als Angehörige anderer Berufe?
Nicht unbedingt, denn es handelt sich um eine extrem verzerrte Stichprobe: Da man erst im fortgeschrittenen Alter Bischof wird, sind alle Personen, die jung sterben, automatisch aus der Statistik ausgeschlossen. Gerade auf dem Gebiet der logischen Fehlschlüsse und bedingten Wahrscheinlichkeiten wusste Krämer, seines Zeichens Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik, das Auditorium mit anschaulichen Beispielen zu verblüffen (siehe Kasten „Simpsons Paradoxon").
Simpsons Paradoxon
Sie möchten aus einer der beiden Urnen A1 oder B1 eine schwarze Kugel ziehen und wissen, wie viele schwarze und weiße Kugeln sich in jeder Urne befinden (Abb. unten). Offensichtlich haben Sie eine größere Chance, wenn Sie in Urne A1 greifen. Ebenso haben Sie eine größere Chance mit Urne A2 gegenüber B2. Doch nun schüttet jemand die Urnen A1 und A2 sowie B1 und B2 zusammen. Überraschenderweise ist nun die Urne A nicht mehr die beste Wahl, vielmehr haben Sie durch einen Griff in B die größere Chance, eine schwarze Kugel zu erwischen.
Dies ist ein Beispiel von Simpsons Paradoxon: Legt man Daten aus verschiedenen Populationen zusammen, können sich dabei Korrelationen umkehren, wenn sich die Populationen in einer wichtigen dritten Variable unterscheiden.
Ein weiteres Beispiel ist die folgende Behauptung, die unter der Schlagzeile „Methusalems machen Kasse" in die Tagespresse Eingang fand: „Je länger das Studium dauert, desto höher ist das Anfangsgehalt." Diese Beziehung überrascht, stimmt aber wirklich. Nur: Wenn man für jeden einzelnen Studiengang das Anfangsgehalt mit der Studiendauer korreliert, ist die Beziehung umgekehrt: Je kürzer das Studium, desto höher das Anfangsgehalt. Des Rätsels Lösung: Das Anfangsgehalt hängt nicht nur von der Studiendauer ab, sondern auch vom Beruf: Chemiker verdienen im Allgemeinen mehr als Betriebswirte und studieren auch länger (Abb. unten).
Simpsons Paradoxon kann in der Praxis sehr schwer zu entdecken sein, wenn nur die Daten der kombinierten Statistik, aber nicht mehr die Einzeldaten zur Verfügung stehen. Auch bei Meta-Analysen, bei denen mehrere Studien zusammenfassend statistisch ausgewertet werden, kann es zu falschen Ergebnissen führen.
-sm-
Der Freitagvormittag stand unter dem Motto „Was macht uns krank?" Dr. Peter Höppe vom Institut für Arbeits- und Umweltmedizin der Münchener Universität informierte über den aktuellen Wissensstand in Sachen Ozon. Dieses sehr starke Oxidationsmittel bildet sich in der Atmosphäre, wenn Stickstoffdioxid (NO2) unter Strahlungseinwirkung zu Stickstoffmonoxid (NO) und freiem Sauerstoff (O) zerfällt, der sich rasch mit molekularem Sauerstoff (O2) zusammenlagert. Die Problematik lässt sich unter dem Slogan „unten zu viel, oben zu wenig" zusammenfassen: Während sich in der oberen Atmosphäre das Ozonloch ausbreitet, werden am Boden in stark besiedelten Gebieten teilweise gesundheitsschädliche O3-Konzentrationen gemessen, da die Stickoxide der Autoabgase die Ozonbildung anheizen. Im internationalen Vergleich steht Deutschland ganz gut da, während z. B. die Bevölkerung von Los Angeles seit Mitte der 50er Jahre stark exponiert ist. 1999 ging die Nachricht um, es gebe 4000 „Ozon-Tote" pro Jahr: ein Kurzschluss, der die VDI-Nachrichten zu der Schlagzeile „Tod durch Statistik" veranlasste. In die Meta-Analyse, die hinter der Schreckensmeldung stand, waren einige Studien, die keine Korrelation zwischen Ozonbelastung und Sterblichkeit gefunden hatten, willkürlich nicht einbezogen worden; außerdem hatte man keinen Versuch unternommen, den publication bias (also den Umstand, dass negative Untersuchungsergebnisse seltener veröffentlicht werden) realistisch abzuschätzen. „Ozon-Tage" sind zugleich meist heiße Tage, und die erhöhte Mortalität ist vor allem auf die Temperatur zurückzuführen. Ozon kann die körperliche Leistungsfähigkeit, insbesondere die Lungenfunktion beeinträchtigen und steht im Verdacht, Lungenkrebs zu fördern. Außerdem setzt es die Reaktionsschwellen auf andere Umweltgifte herab und macht daher Allergikern und Asthmatikern zu schaffen. 10-20% der Bevölkerung sind - vermutlich genetisch bedingt - sogenannte Ozon-Responder, also besonders ozonsensibel. Expositionsstudien in Klimakammern haben jedoch gezeigt, dass typischerweise dem Ozon angelastete Reizsymptome wie Kopfschmerzen gar nicht auf diese Verbindung, sondern auf andere Sommerwetter-Parameter wie Pollen, hohe Lufttemperatur etc. zurückzuführen sind. Tatsächlich wird die dank Filterung ozonfreie Luft in Großraumbüros subjektiv als stickiger empfunden als normale Frischluft: Ozon bindet Gerüche und kann in geringen Konzentrationen als ungefährlich, ja nützlich angesehen werden. Höppe kam zu dem Schluss, dass das Risiko chronischer Gesundheitsschäden durch Ozon in Deutschland gering ist, dass man sich aber wegen des Treibhauseffektes und der Schadwirkung auf Pflanzen weiterhin um eine Reduzierung der Stickoxidmenge bemühen sollte.
Professor Werner Richter vom Institut für Fettstoffwechsel und Hämorheologie in Windach befasst sich seit Jahrzehnten mit Schlankheitskuren aller Art und hatte uns wenig Erfreuliches zu berichten: Die meisten Diäten haben schlechte Langzeit-Erfolgsquoten, manche sind regelrecht gefährlich. Während einer Schlankheitskur sollte man mindestens 50 g Kohlehydrate und 45 g Eiweiße am Tag zu sich nehmen, da sonst Nierensteine, Herzmuskelschäden etc. drohen. Besondere Vorsicht ist bei so genannten Blitz-Diäten angeraten: Wird die Kohlehydrataufnahme stark gedrosselt, so sinkt der Natriumgehalt des Urins, und der Körper scheidet viel Wasser aus. Mit dem Gewicht geht auch der Blutdruck in den Keller, was unter Umständen zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Bei aller Kritik an den teils dogmatischen und wissenschaftlich nicht haltbaren Diätkonzepten räumte Richter ein, dass z. B. die Hay'sche Trennkost - bei der man saure und basische Lebensmittel nie gleichzeitig zu sich nehmen soll - zum Nachdenken über die eigene Ernährung und zu einer nützlichen Selbstdisziplinierung führen könne. Vergleicht man den krankhaft übergewichtigen Bevölkerungsanteil („Body mass index" BMI von über 30 kg/m2) verschiedener Industrieländer, so zeigt sich, dass scheinbar sehr ähnliche Lebensbedingungen sich in Sachen Ernährung und Bewegung stark unterscheiden können: Liegen in Deutschland immerhin schon 19% der Erwachsenen oberhalb des Grenzwertes, so haben nur 8% der erwachsenen Niederländer einen BMI von über 30.
Der ehemalige Leiter des Normenausschusses Kerntechnik am Deutschen Institut für Normung, Professor Klaus Becker, sprach über die Gefährlichkeit kleiner Strahlendosen. Als kleine Dosis definierte er eine Belastung von unter 50 Millisievert pro Jahr; eine solche Strahlenbelastung stellt seines Erachtens ein zu vernachlässigendes „Mikrorisiko" dar. Sicher: Strahlung erhöht die Mutationsrate, aber selbst unter den Einwohnern des südindischen Bundesstaates Kerala, von denen viele nicht in festen Gebäuden, sondern in Palmhütten leben und daher extrem hohen Dosen von atmosphärischer Strahlung ausgesetzt sind, hat Becker keine Häufung der in der Literatur kolportierten Strahlenschäden (Kleinwuchs etc.) feststellen können. Seiner Ansicht nach wird die Strahlenhysterie in den Medien von vielen Strahlenschutzexperten wider besseres Wissen gebilligt oder gar angefacht, da überzogene Strahlenschutzmaßnahmen die eigenen Arbeitsplätze sichern. Der Trend zum Sensations- und Gesinnungsjournalismus macht sachliche Aufklärung nicht eben leichter.
Medienschelte übte auch Dr. Helmut Burtscher in seinem Vortrag „Fortschrittsangst am Beispiel der Gentechnik": Besonders die deutsche Presse transportiere eher starke Meinungen als Informationen zum Thema, sodass in weiten Teilen der Bevölkerung erschreckendes Unwissen über Genetik und Gentechnologie herrsche. Die Gentechnik müsse zum Teil die Suppe auslöffeln, die ihr die Kerntechnik (und die Anti-Atomkraft-Bewegung) eingebrockt habe; von dieser hat sie die Etikettierung als „Risikotechnologie" geerbt. Die sehr lebhafte Diskussion zeigte, dass auch einige Skeptiker davor warnen, nun ins Gegenteil zu verfallen und jede kritische Position zu Themen wie Patentierung von Gensequenzen und Kennzeichnungspflicht gentechnisch erzeugter Lebensmittel als irrationale Fortschrittsangst abzutun. Zwar trägt die Verteufelung zum Beispiel der so genannten „Anti-Matsch-Tomate" in der Tat irrationale Züge (die hier besonders deutlich zu Tage treten, da dieser Tomate keinerlei fremdes - und womöglich „unberechenbar" agierendes - Erbgut hinzugefügt, sondern schlicht ein Gen entfernt wurde). Dennoch sind Menschen, die das Matschigwerden der Tomate als guten Indikator für ihr Alter und damit für den Gehalt an Vitaminen etc. schätzen und daher auf eine Kennzeichnung der Ware pochen, nicht per se Fortschrittsphobiker oder Wissenschaftsbanausen.
Am Freitagnachmittag wurde die hoch spannende, aber auch anstrengende „Frontalbeschallung" des Auditoriums mit Expertenwissen durch spielerische, aktivere Formen des Wissenserwerbs abgelöst: In drei parallelen Arbeitsgruppen (siehe Kästen) wurden „paranormale Phänomene" wie der Bibel-Code oder das Gespür für den Blick im Rücken ergründet, Wahrnehmungstäuschungen erfahren und verstanden sowie einige Tricks der Gedächtniskünstler erlernt. Einer der Referenten wäre übrigens fast vom Unglauben abgefallen, als ihm aufging, dass diese „tierisch guten" Workshops von einem Herrn Hund, einem Herrn Hahn und einem Herrn Wolf abgehalten wurden: Das kann doch kein Zufall sein - oder? Auch bei der Abendveranstaltung hatte der Bierernst, der Skeptikern sonst gerne angehängt wird, Hausverbot: Zauberer Hundini verlas beinahe echte „Anfragen an die GWUP-Geschäftsstelle" und verblüffte uns bei deren Beantwortung mit allerlei (ebenfalls beinahe echten) Verstößen gegen die Naturgesetze.
Tricks der Mnemotechniker
Workshop von Wolfgang Hahn
Können Sie eine Liste von 25 Begriffen innerhalb von fünf Minuten auswendig lernen und auch nach Tagen noch in der richtigen Reihenfolge fehlerfrei wiedergeben? Wer dies für unmöglich hielt, wurde in dem Workshop von Wolfgang Hahn zum Thema „Tricks der Mnemotechniker" schnell eines Besseren belehrt - am Ende des Workshops konnten alle Teilnehmer dies schaffen. Der Trick: Man verwendet ein Merkwortsystem, also ein System, bei dem jeder Zahl ein Wort zugeordnet ist. Die Eins wird z. B. mit einem Turm visualisiert, die Zwei mit einem Schwan usw. Mit diesen Merkworten kann man die neu zu lernenden Fakten verbinden: Angenommen, der erste zu lernende Begriff sei „Kaffee". Dann stellt man sich ein möglichst merk-würdiges Bild vor, in dem Turm (für Eins) und Kaffee zusammen vorkommen, etwa einen Turm, auf den es Kaffee regnet, bis er darin versinkt. Will man sich später an das erste Wort erinnern, so braucht man nur an einen Turm zu denken, und schon steht das ganze Bild wieder vor Augen - und erinnert daran, dass man Kaffee kaufen wollte. Je ungewöhnlicher das Bilder, desto besser funktioniert die Methode.
Der Erfolg dieser und ähnlicher Tricks beruht darauf, dass unser Gedächtnis für Bilder wesentlich besser ist als unser Gedächtnis für Worte. Solche Mnemotechniken (nach griechisch mneme: Gedächtnis) sollen nach Angaben des römischen Autors Cicero zuerst von dem griechischen Dichter Simonides um ca. 500 v. u. Z. erwickelt worden sein. Er sei nach einer Rede auf einem Festmahl weggerufen worden - zu seinem Glück, denn kurz darauf stürzte der Saal ein, und alle Gäste kamen ums Leben. Doch sei es Simonides möglich gewesen, die verstümmelten Toten zu identifizieren, da er sich noch genau erinnern konnte, wo sich die einzelnen Personen aufgehalten hatten. Aus dieser Erfahrung entwickelte er die Methode der Orte: Man stellt sich die zu merkenden Objekte bildlich an verschiedenen Stellen in einem wohlbekannten Raum, etwa dem eigenen Wohnzimmer, vor. Um sich an sie wieder zu erinnern, braucht man dann nur vor dem geistigen Auge den Raum entlangzugehen.
Glücklicherweise stürzte das Forum der Technik während des Workshops nicht ein, aber dennoch funktionierten die im Workshop eingeübten Gedächtnistricks problemlos bei den Teilnehmern - und nicht wenige waren von ihrem eigenen Erinnerungsvermögen sehr überrascht.
-sm-
„Beweisen Sie mir mal, dass es das nicht gibt!"
Workshop von Wolfgang Hund
Auf spielerische und unterhaltsame Art ging dieser Workshop einigen paranormalen Behauptungen nach und löste dabei immer wieder Erstaunen, Verblüffung und viel Freude bei den Teilnehmern aus. Wie schwierig es ist, ein sorgfältiges Experiment durchzuführen, konnten die Teilnehmer an einem einfachen Demonstrationsversuch erfahren. Es sollte die Behauptung überprüft werden, ob man es spüren kann, wenn man von hinten angestarrt wird. Gruppengröße und Aufbau des Experiments (z. B. Dauer des „Anstarrens", Anzahl der Versuche) wurden den Teilnehmern überlassen. Gemeinsam war den fünf Gruppen, dass die Versuchspersonen von ein oder zwei „Starrern" für eine vorab nach dem Zufallsprinzip festgelegte Zeit angestarrt bzw. nicht angestarrt wurden. Der „Angestarrte" notierte dann jeweils, ob er das Gefühl hatte angestarrt zu werden oder nicht. Es wurde schnell klar, dass es selbst bei einem auf den ersten Blick so simplen Versuch recht aufwendig ist, den Versuchsablauf und die Versuchsbedingungen zu definieren. Das Ergebnis zeigte insgesamt, dass man nicht spüren kann, ob man angestarrt wird. Allerdings gab es in einer Gruppe einen Probanden, dessen Ergebnis eindeutig „Ja" lautete. Interessant war auch, dass in einer Gruppe eine Versuchsperson, die alle zehn durchgeführten Versuche mit „Nein" beantwortete, damit 60% „Treffer" erzielt hat, da viermal gestarrt und sechsmal nicht gestarrt wurde.
In einem weiteren Experiment wurde „Schicksalszahlen" nachgespürt. Nach dem Lesen eines Artikels, der „verblüffend" viele Gemeinsamkeiten im Leben der amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson darstellte, wurden die Teilnehmer zufällig zu Zweiergruppen zusammengeführt und aufgefordert, nun Gemeinsamkeiten mit dem jeweiligen Gruppenpartner zu entdecken. Schon nach kurzer Zeit konnten die meisten Gruppen mit einer Liste aufwarten. Die gefundenen Übereinstimmungen bezogen sich zum Teil auf eine bestimmte Zahl, z. B. Quersumme der Geburtsdaten: 8, Summe der Hausnummern: 8, Anzahl der Buchstaben der Vornamen: jeweils 8. Versuchen Sie dies einfach selbst mal, indem Sie in Ihrem Leben nach Bezügen zur Zahl 4 suchen. Die Ausbeute wird nicht gering sein! Wenn Sie dann die 4 für Ihre „Schicksalszahl" halten, versuchen Sie es einfach mit der 7. Sie werden ein ähnliches Ergebnis erhalten!
In der Bibel sind verborgene Botschaften enthalten: der „Bibel-Code". Doch nicht genug: Wolfgang Hund konnte mit Hilfe seines „Rotkäppchen-Codes" zeigen, dass auch der Märchenklassiker Botschaften enthält, die auf schlimme Machenschaften von Geheimdiensten und Großkonzernen hindeuten!
-mh-
„Das elfte Gebot: Du sollst dich nicht täuschen!"
Workshop von Rainer Wolf
Im biblischen Dekalog fehlt die Aufforderung, überkommene Lehren und eigene Erfahrungen zu hinterfragen, sie zu bezweifeln, skeptisch zu sein, kurz: sich selbst nicht zu täuschen. Anhand von vielen Beispielen lernte man entscheidende Schlüsselexperimente kennen, die uns „die Augen aufmachen". Man erlebte, dass man das sieht, was man bewusst oder unbewusst zu sehen erwartet: Wahrnehmungen sind Hypothesen unseres Gehirns.
Überrascht registrierten die Teilnehmer, dass fünf Sechstel des Sehfeldes blind sind für die Farbe Grün, ohne dass man dies im Alltag bemerkt. Und dass unser Gehirn Farben mit Formen assoziiert: Malt man in der oberen Abbildung alle weißen Streifen, die nach rechts abfallen, hellgrün an, die ansteigenden dagegen hellrot, und blickt bei guter Beleuchtung fünf Minuten lang abwechselnd auf rote und grüne Flächen, sieht man danach in der unteren Abbildung zart die entsprechenden Komplementärfarben, auch wenn man das Bild um 90° dreht - ein Nacheffekt (der McCollough-Effekt), der wochenlang anhalten kann! Was hier als Sehtäuschung erscheint, hat normalerweise den biologischen Sinn, den Farbfehler der Augen per „Software" zu korrigieren (BiuZ 17:33-49, 1987). Verstärkt man den Farbfehler künstlich durch eine „ChromaDepth"-3D-Brille, werden Farbflächen in flachen Bildern zu Farbskulpturen, was in der Malerei genutzt wird (www.freenet.de/dorlewolf-paintings2D+3D).
An der Objektivität der Wahrnehmung und der Souveränität des eigenen „Ego" kratzen Befunde, die das Gehirn als „Zeitmaschine" ausweisen: Unsere Wahrnehmung wird nämlich um die Verrechnungszeit, die bis zu einer halben Sekunde dauern kann, vordatiert, sodass wir die eintreffenden Reize in der „richtigen" Reihenfolge erleben. Und dass wir auch dann meinen, frei zu sein, wenn wir es nicht sind, weist darauf hin, dass wir nicht so ganz die „Herren im eigenen Haus" sind, als die wir uns fühlen.
Warum eigentlich sollen wir uns nicht täuschen? Mit „Lebenslügen" lässt sich`s offensichtlich herrlich leben, vor allem überleben - denn sonst gäbe es uns nicht. So wurde schließlich auch das 11. Gebot selbst kritisch in Frage gestellt, weil es Übermenschliches fordert: Erfüllen kann es niemand. Die höchste Erkenntnisstufe, die wir erreichen können, ist, dass wir bemerken, wenn wir uns täuschen (siehe auch Skeptiker 4/1999, S. 140).
Hilfestellung leistet hier als „Hirntraining" auch die Zauberkunst. Denn wie ein Trick funktioniert, erkennt man nur, wenn man lernt, eingeschliffene Denkbahnen zu verlassen und mit Betrug zu rechnen. Das fällt Naturwissenschaftlern schwer: Die Natur, die sie erforschen, betrügt nicht, und so haben sie wenig Erfahrung darin, zu erkennen, ob sie getäuscht werden, sei es von anderen oder von sich selbst. Nachdem man dann noch gemeinsam „mit geballter Geisteskraft" eine Glühlampe zerschmettert hatte, war zu lernen, wie man ungefährdet die entstandenen Glasscherben mit Genuss verspeisen kann: Dank des Krachens beim Zerkauen eine eindrucksvolle Übung, aber ungefährlicher als der Lauf über Scherben oder glühende Kohlen.
Rainer Wolf
Wieso brach nach dem Radio-Hörspiel „Krieg der Welten" (Orson Welles 1938) eine Panik aus? Wie kam es, dass die Erzählungen der körperlich zurückgebliebenen Bernadette Soubirous im Jahre 1858 von einem mysteriösen „Mädchen in Weiß", das sie in einer Grotte angetroffen habe, selbst heute noch Hunderttausende zu diesem Ort, nämlich der Grotte von Lourdes, pilgern lassen? Anhand dieser Beispiele untersuchte der Literaturwissenschaftler Hans-Joachim Neubauer am Samstagmorgen die Ausbreitung von Gerüchten. Redewendungen wie „Kein Rauch ohne Feuer" stützen eine einmal in Umlauf gebrachte Fama, selbst wenn sie dem Augenschein und der Logik widerspricht. Gerüchte, so Neubauer, entstehen oft vor dem Hintergrund einer allgemeinen Unsicherheit und geben den Menschen die Möglichkeit, ihre Angst zu kommunizieren.
Das Bedürfnis, eigene Ängste zu kommunizieren, mag auch den Berichten der bayerischen Propheten wie dem „Mühlhiasl" oder Alois Irlmaier zu Grunde gelegen haben. Oder sind ihre Berichte echte Zukunftsvisionen? „An dem Tag, an dem zum ersten Mal der eiserne Wolf auf dem eisernen Weg durch den Vorwald bellen wird, an dem Tag wird der große Krieg angehen." Wolfgang Johannes Bekh vertrat in seinem unterhaltsamen Vortrag die Meinung, der „Mühlhiasl" habe im 18. Jahrhundert mit solchen und ähnlichen Aussagen tatsächlich die beiden Weltkriege vorausgesagt. Eine Interpretation, die jedoch in der anschließenden Diskussion auf Widerspruch stieß: Bernd Harder wies darauf hin, dass es keine schriftlichen Quellen für das Leben des „Mühlhiasl" gebe und die ihm zugeschriebenen Prophezeiungen erst zwischen 1870 und der Mitte des 20. Jh. schriftlich niedergelegt wurden, sodass sie wohl eher eine Sammlung von allgemein verbreiteten Fortschritts- und Zukunftsängsten darstellen, wie sie um die Jahrhundertwende für das ländliche Bayern auch durch andere Quellen bezeugt sind (siehe auch Skeptiker 1/00, S. 52). Dieser auf den Regensburger Volkskundler Reinhard Haller zurückgehende Interpretation wollte Bekh jedoch nicht zustimmen.
Nicht jeder ist mit der Wettervorhersage im Fernsehen zufrieden. „Warum nehmen Sie denn nicht die Bauernregeln?" - eine Frage, die den Berliner Meteorologen Horst Malberg vor Jahren dazu brachte, die alten Wetterregeln anhand moderner Wetteraufzeichnungen zu überprüfen. Nun sind viele Wetterregeln, die Vorhersagen für die nächsten Stunden geben, relativ leicht physikalisch erklärbar: „Regenbogen am Morgen macht Sorgen, am Abend - erlabend" beruht auf der Beobachtung, dass am Morgen, wenn die Sonne im Osten steht, ein Regenbogen nur in westlicher Richtung erscheinen kann und damit eine von Westen kommende Regenfront anzeigt. Der Regenbogen am Abend dagegen deutet auf eine im Osten befindliche Regenfront, die sich aber bei der meist vorherrschenden Westwetterlage vom Beobachter weg bewegt. Schwieriger zu prüfen sind Witterungsregeln, die die Witterung für längere Zeiträume voraussagen sollen. Zwar kann man die Siebenschläferregel statistisch überprüfen und findet, dass sie in Süddeutschland in 80% der Fälle korrekte Voraussagen liefert (wenn man einberechnet, dass die relevanten „Siebenschläfertage" durch die Gregorianische Kalenderreform gegenüber unserem Kalender um elf Tage verschoben sind). Ähnlichen Erfolg kann Malberg bei einer großen Zahl anderer Regeln aufweisen. Was fängt man aber mit einer Regel an wie „Je frostiger der Januar, desto freundlicher das ganze Jahr", für die man keinen statistischen Beleg finden kann? Ist sie falsch? Nicht unbedingt, so Malberg, denn wir wissen gar nicht, was hier mit „freundlich" eigentlich gemeint ist. Wohl nicht ein besonders sonnenreiches, warmes Jahr, wie man sich es als moderner Tourist wünscht. Der mittelalterliche Bauer hoffte wohl eher auf ein „durchwachsenes" Jahr mit nicht zu viel und nicht zu wenig Regen und Sonne - also ein Jahr, das sich durch keine besonderen Extreme auszeichnet und daher eher schwer statistisch zu charakterisieren ist. Angesichts solcher Probleme will sich Malberg auch nicht festlegen, diejenigen Bauernregeln endgültig als falsch zu bezeichnen, für die noch keine statistische Bestätigung existiert. Oft wissen wir einfach nicht, aus welcher Region die Regel eigentlich stammt, und da manche Regeln sehr alt sind, muss man auch Klimaänderungen der Vergangenheit (etwa die mittelalterliche Wärmeperiode um 900-1400) mit bedenken. Die große Zahl von Regeln, die durch Malbergs Studien bestätigt wurden, lasse vermuten, dass Bauernregeln im Allgemeinen in ihrer jeweiligen Region und Zeit brauchbare Vorhersagen lieferten.
Auch der so genannte Hundertjährige Kalender wurde von Malberg überprüft, doch hier ist das Urteil eindeutig: keine Signifikanz, richtige Vorhersagen sind nur Zufallstreffer. Nicht ganz verwunderlich, beruht doch der Kalender nur auf einer Beobachtungsreihe von sieben Jahren, die dann nach astrologischen Vorstellungen fortgesetzt wurde.
Franziska Kröling, deren PR-Agentur sich auf Firmen mit Produktimage-Problemen spezialisiert hat, skizzierte die Entwicklung des „Elektrosmogs als Medienereignis". In den 70er Jahren seien elektrische Felder eher als gesundheitsfördernd angesehen worden, und es waren Geräte auf dem Markt („elevit"), die in Betonbauten „natürliche Felder" künstlich erzeugen sollten. Im Laufe der 80er Jahre veränderte sich dann die populäre Meinung, zunächst wurden Hochspannungsleitungen als gesundheitsschädigend empfunden, und mit dem Aufkommen von Mobiltelefonen wurden auch diesen schädliche Wirkungen zugeschrieben. An dem „Märchen vom bösen Handy" seien mehrere Faktoren beteiligt.
Das heiße Wetter und die nahen Biergärten luden zum Diskutieren ein.
So handele es sich beim Handy um ein typisches „Snob-Produkt" mit einem negativen Image. Warum Handys teilweise ein sehr negative Image haben, wurde übrigens unfreiwillig dadurch belegt, dass der Vortrag - ebenso wie fast jeder andere Vortrag der Konferenz - immer wieder von piepsenden Geräten im Publikum gestört wurde. Weiterhin sind die Masten vor allem im ländlichen Bereich deutlich sichtbar, weshalb der Widerstand auf dem Land generell größer als in der Stadt sei. Nicht zu vergessen sei jedoch auch der Einfluss der Medien, die oft nur persönliche Meinungen referieren, ohne sorgfältig auf den Forschungsstand einzugehen.
„Sachbuchmythen" ging der Berliner Physiker Markus Pössel auf die Spur und stellte als Beispiel den Mythos des gefälschten Pharaonennamen vor. Die große Pyramide von Gizeh wird in der Archäologie dem Pharao Cheops zugeschrieben - schließlich findet sich der Name des Pharaos in einer Bauteam-Markierung auf einem der großen Steinblöcke der Entlastungskammern über der so genannten Königskammer. Doch der Sachbuchautor Zecharia Sitchin behauptet, das könne nicht stimmen, denn tatsächlich sei der Name des Königs falsch geschrieben, was sich wohl kein ägyptischer Baumeister hätte leisten können. Tatsächlich habe der Entdecker der Kammer, Colonel Vyse, die Hieroglyphen gefälscht und dabei einen falschen Buchstaben verwendet. Markus Pössel ging der Behauptung nach und sah sich die Originalzeichnung an. Ergebnis: Der Name ist völlig korrekt geschrieben, und es scheint, dass Sitchin nicht mit dem (erst kürzlich im Britischen Museum wiederentdeckten) Original, sondern mit einer schlechten Kopie gearbeitet hat.
Interessant wird der Fall dadurch, dass mehrere weitere Autoren aus der Präastronautikszene wie Erich von Däniken, Luc Bürgin und Michael Haase (Anm: siehe "Erratum: Position von Michael Haase falsch dargestellt") die Behauptung Sitchins in ihren Büchern wiedergeben, offenbar ohne sich je die Mühe gemacht zu haben, selbst nachzurecherchieren. Von guten Sachbüchern könne man erwarten, dass die Autoren auf Originalquellen zurückgreifen und sich nicht blind auf Aussagen in anderen Sachbüchern verlassen. Im Falle des „gefälschten" Pharaonennamens hat der Mythos inzwischen ein Eigenleben entwickelt: Zu einer „guten Story" gehört es auch, dass die handelnden Personen klare Motive haben, und so wird der angebliche Fälscher, Colonel Vyse, dargestellt als das schwarze Schaf der Familie: Er habe unter Geldknappheit gelitten und schon vor seiner Expedition lauthals verkündet, dass er eine sensationelle Entdeckung machen werde. Tatsächlich war Vyse zum Zeitpunkt der Entdeckung ein 51-jähriger, angesehener und wohlhabender Beamter mit acht Söhnen und einem Ehrendoktortitel.
Gibt es eindeutige Kriterien, wie man ein schlechtes Sachbuch erkennt? Eine einfache Antwort auf diese spannende und wichtige Frage wurde in der anschließenden Diskussion nicht gefunden. Am ehesten kann wohl noch das Literaturverzeichnis einen Anhaltspunkt geben: Sind Originalquellen, etwa in Fachzeitschriften, zitiert oder nur andere Sachbücher? Sind viele unterschiedliche Quellen zitiert, oder beruft sich der Autor nur auf wenige? Zudem sollte der Leser versuchen, die eine oder andere Information unabhängig zu prüfen, was manchmal schon mit einem Blick ins Lexikon geht. Eine sichere Methode zum Erkennen schlechter Sachbücher gibt es jedoch nicht, und Sachbuchmythen sind auch keineswegs auf Außenseitergebiete beschränkt, sondern können auch innerhalb der normalen Wissenschaft vorkommen.
Um einige Illusionen, Vorurteile und Mythen ärmer, aber um Erkenntnisse und Erfahrung reicher fuhren die meisten Tagungsteilnehmer (nach einem letzten Run auf die verlockenden Büchertische) schon am Samstagabend heim - und freuten sich hoffentlich schon auf die 11. GWUP-Konferenz, die im Sommer 2001 in Roßdorf stattfindet.
Erratum: Position von Michael Haase falsch dargestellt
Der Bericht "Moderne Mythen: 10. GWUP-Konferenz in München" enthält einen schweren Irrtum. Zu dem Vortrag von Markus Pössel zur angeblichen Fälschung der Cheopskartusche hatte ich geschrieben:
"Interessant wird der Fall dadurch, dass mehrere weitere Autoren aus der Präastronautikszene wie Erich von Däniken, Luc Bürgin und Michael Haase die Behauptung Sitchins in ihren Büchern wiedergeben, offenbar ohne sich je die Mühe gemacht zu haben, selbst nachzurecherchieren."
Hierzu möchte ich klarstellen, dass die Nennung des Autors Michael Haase in einer Reihe mit von Däniken und Bürgin auf einem Fehler meinerseits beruht. Richtig ist vielmehr:
- Michael Haase hat sich wiederholt kritisch zu "Sachbuchmythen" aus dem Präastronautik-Bereich geäußert und war insbesondere im deutschsprachigen Bereich der Erste, der Kritik an der "Gefälschten Cheops-Hieroglyphe" geübt hat.
- Markus Pössel hat die Rolle Haases in seinem Vortrag korrekt wiedergegeben und seine kritische Position klar gewürdigt.
- Haase gehört nicht zur "Präastronautik-Szene", sondern beschäftigt sich in seinen Büchern mit herkömmlicher Ägyptologie.
Dies ist auch in meinen handschriftlichen Konferenznotizen noch eindeutig erkennbar. Wie mir dann beim Schreiben des Konferenzberichtes das Missgeschick passieren konnte, Michael Haases Position ins Gegenteil zu verkehren, ist mir im Nachhinein unbegreiflich. Ich möchte mich hier ausdrücklich bei Michael Haase und Markus Pössel für diese Verzerrung entschuldigen.
Stephan Matthiesen, Edinburgh
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 1/2000.