Die im Osten weitverbreitete Lehre von der Wiedergeburt (Reinkarnation) beruht auf der Annahme, die Seele eines Menschen löse sich im Tode vom Körper und werde gleichzeitig - oder zu einem späteren Zeitpunkt - in einem anderen Körper wiedergeboren. Diese Vorstellung steht im Zentrum buddhistischer und hinduistischer Überlieferung. Buddhistische und hinduistische Vorstellungen unterscheiden sich indes in einem wesentlichen Punkt: "Reinkarnation" (also "Wiederverkörperung" oder richtiger "Wiederfleischwerdung") wird eher dem Hinduismus zugeordnet und bedeutet, dass mit der Wanderung der individuellen Seele in einen anderen Körper deren Persönlichkeit mitgeht und auch im neuen Dasein erhalten bleibt. Im Buddhismus dagegen sprechen die Gläubigen meist von "Wiedergeburt". Das bedeutet: Wie die Flamme einer Kerze wird nur eine Art Lebenskraft von einer Existenzform an eine andere weitergegeben. Diese sehr komplizierte Unterscheidung wird von Experten allerdings durchaus kontrovers diskutiert. Wann aber kommt das "Samsara", das Rad des Lebens, zum Stillstand? Dann, wenn die Auswirkungen früherer Taten abgetragen sind. Ob für diese Befreiung der Seele ("Moksha") eine höhere Instanz - also ein Gott - zuständig ist oder ob sie sich "einfach so" vollzieht, als Verschmelzung mit einer unerpersönlichen kosmischen Energie, wird ebenfalls unterschiedlich gelehrt. Die rund zwei Milliarden Anhänger der buddhistischen und hinduistischen Religion verstehen allerdings etwas ganz anderes unter der Wiedergeburt als unsere westliche Erlebnisgesellschaft. Hierzulande gilt Reinkarnation als eine Art "Reset"-Taste, mit der man das Spiel des Lebens noch einmal von vorne beginnen kann, mit neuen Chancen und Möglichkeiten. Vor allem Theosophen und Spiritisten betrachten Reinkarnation als eine Art spirituellen Darwinismus, als "evolutionären Weg zur Selbstvervollkommnung", nicht nur des Einzelnen, sondern der gesamten Menschheit. Im Osten dagegen bedeutet jeder neue Lebensdurchgang eine Verlängerung der irdischen Mühsal - also keine wünschenswerte Erlösung vom Tod, sondern ein Verhängnis. Denn das Sterben wird zwar überlebt, aber nur, um wieder in ein weiteres, dem Tod ausgeliefertes Leben voller Leid zurückzukehren. Die anthroposophische Lehre Rudolf Steiners greift wesentlich auf Reinkarnationsvorstellungen zurück.
Seit den 50er Jahren wird die Idee der Wiedergeburt auch in "therapeutischem" Zusammenhang praktiziert. Im deutschsprachigen Raum ist die Reinkarnationstherapie vor allem mit dem Namen des Münchener Psycho-Astrologen Thorwald Dethlefsen verbunden, der 1968 die Arbeiten amerikanischer "Jenseitsforscher" aufgriff und publikumswirksam aufbereitete.
In angeblicher "Fortentwicklung" der Psychoanalyse, die die Ursache von psychischen Störungen in erster Linie in ungelösten Konflikten der frühen Kindheit sucht, geht die Reinkarnationstherapie in ihrer "Ursachenforschung" weiter zurück. Noch vor der Empfängnis, also in angeblichen früheren Existenzformen, liege die Ursache von Störungen. Traumatische und unbewältigte Extremerfahrungen früherer Leben wie schwere Krankheit, Folter und der eigene Tod würden sich zwangsläufig in die jeweils nächste Inkarnation "übertragen" und sich dort in einer Vielzahl psychischer und psychosomatischer Beschwerden niederschlagen. Ängste, Schuldgefühle, chronische Schmerzen, Allergien, Epilepsie u. v. a. seien allesamt Überreste aus früheren Leben. Die Symptome lösten sich auf, sobald ihre "wirkliche" Ursache erkannt und noch einmal bewußt "durchlebt" werde.
Die Rückführung wird in der Regel auf hypnotisch-suggestivem Wege vorgenommen. Vielfach wird hyperventilierendes Atmen eingesetzt, um einen Trancezustand herbeizuführen. "Rückgeführte" berichten aus jedwedem vergangenen Zeitalter, ob bei den alten Römern, Griechen oder Chinesen; "Vorausgeführte" - auch das ist möglich - beschreiben Landungen auf dem Mars oder auf Alpha Centauri. Auch Erlebnisse in Tier-, Pflanzen- oder Mineralform gibt es, ebenso wie Berichte aus Himmel, Hölle oder dem "Leben zwischen den Leben".
In keinem einzigen Fall konnte jedoch nachgewiesen werden, daß die Erinnerungen an "frühere Leben" auf tatsächlichen Geschehnissen beruhen. Meist widersprechen die berichteten Erfahrungen sogar den historisch bekannten Fakten. Auch die Behauptung, daß "Rückgeführte" plötzlich fremde Sprachen sprechen, hielt einer genauen Überprüfung durch Sprachforscher nicht stand: Das angebliche "mittelalterliche Gälisch" oder "Bulgarisch" stellte sich als Lautfolge heraus, die zwar oberflächlich wie eine fremde Sprache klang, aber tatsächlich völlig sinnlos war.
Die Erklärung für vermeintliche Erinnerungen an frühere Leben liegt in erster Linie darin, daß sich in Trance das Wahrnehmungsfeld des Klienten verengt, während gleichzeitig enorme Fantasietätigkeit freigesetzt wird. Nach außen bleibt lediglich der Kontakt zum Therapeuten erhalten, dessen Suggestionen - beabsichtigte wie unbewußte - leicht aufgenommen und in die jeweiligen Fantasiekonstrukte eingebaut werden. Menschen in Trance fabulieren bestechend "logisch" und detailliert. Zudem sind ihre Geschichten meist begleitet von heftigsten Gefühlswallungen, so daß sie selbst, wie auch Augenzeugen, unverrückbar an die faktische Realität des Erlebten glauben. Tonband- und Videoprotokolle sind oft von beklemmender Authentizität.
Aufgrund mangelhafter Ausbildung sind Reinkarnationstherapeuten in der Regel nicht in der Lage, die Gefährlichkeit ihres Tuns richtig einzuschätzen. Reinkarnationstherapie kann von akuter Verwirrung und Identitätskonflikten hin zu schweren psychotischen Entgleisungen führen. Auch von suizidalen Krisen wird berichtet. Reinkarnationstherapie ist - unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt - zur Behandlung seelischer Probleme und Störungen nicht geeignet, da sie mit einem hohem Risiko verbunden ist.
Literatur:
- Federspiel, Krista; Lackinger-Karger, I. (1996) Kursbuch Seele. Kiepenheuer &Witsch, Köln.
- Goldner, Colin (1993) Reinkarnations-Therapie. In: Skeptiker 2, S. 32