Immer wieder wird die GWUP danach gefragt, wie sie denn im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Religion stehe bzw. ob auch religiöse Aussagen zu ihrem Gegenstandsbereich gehörten. Da sie auf diese Weise regelmäßig mit dem Meinungsstreit der Weltanschauungen konfrontiert wird und die Fragestellung zudem komplex ist, war dies für die GWUP Anlaß, im Juni 1997 ein GWUP-Seminar eigens zu dieser Frage durchzuführen. In dem folgenden Artikel wurden die dort erarbeiteten und ausformulierten Positionen zusammengefaßt
1. Vorklärungen
Die Frage, ob sich die die GWUP auch mit dem Thema Religion auseinandersetzen sollte (und wenn ja wie) bzw. welches Verhältnis sie zum Thema Religion hat, kann selbstverständlich nicht geklärt werden durch Verweise darauf, welche religiösen Überzeugungen vermutlich wie viele der GWUP-Mitglieder (nicht) teilen dürften (ganz abgesehen davon, daß dies gar nicht bekannt ist). Aus zwei Gründen ist dies hier uninteressant: Denn einerseits geht es bei dieser Frage gar nicht darum, welche Positionen faktisch wie viele GWUP-Mitglieder vertreten, sondern darum, welche Positionen sie im Rahmen der allgemeinen Ziele, die sich die GWUP gesetzt hat, eigentlich vertreten sollten. Dies ist ein grundsätzlicher Unterschied. Andererseits muß auch nicht jede beliebige von GWUP-Mitgliedern vertretene Meinung für die Zielsetzung der GWUP von Relevanz sein. So ist es z.B. für die GWUP irrelevant, wie sich ihre Mitglieder hinsichtlich der parteipolitischen Orientierung zusammensetzen, denn die GWUP verfolgt gemäß ihrer Satzung keine Parteipolitik.
Die zur Diskussion stehende Frage kann natürlich auch nicht durch Hinweise auf Autoritäten bzw. durch Mehrheitsvotum entschieden werden. Genauso wenig kann es darum gehen, ob die Behandlung des Themas Religion für die GWUP eher nützlich oder schädlich wäre, denn eine solche Argumentation wäre opportunistisch.
Die Antwort muß vielmehr aus den allgemeinen Zielen, die sich die GWUP gestellt hat, abgeleitet und begründet werden.
2. Ziele und Gegenstandsbereich der GWUP
Die Bezeichnung GWUP ist Programm: "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften". Unter "Parawissenschaften" werden dabei Aussagesysteme verstanden, die selbst den Anspruch stellen, wissenschaftlichen Kriterien zu genügen, bei denen aber mehr oder minder starke Zweifel bestehen, ob es sich nicht tatsächlich um "Pseudowissenschaften" handelt, also um Aussagesysteme, die diesen Anspruch nicht einhalten können.
"Parawissenschaften" lassen sich weiter differenzieren hinsichtlich der Art und Weise wie sie ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit stellen. Im folgenden sollen drei Typen unterschieden werden:
- "explizite Parawissenschaften": Anhänger solcher Parawissenschaften bezeichnen ihre Überzeugungen ausdrücklich als "wissenschaftlich".
- "implizite Parawissenschaften": Hier werden die Behauptungen nicht (ausdrücklich) als "wissenschaftlich" bezeichnet, wohl aber als "überprüfbar" im Sinne von wissenschaftlicher Überprüfbarkeit.
- "negierte Parawissenschaften": Hier wird weder der Anspruch der Wissenschaftlichkeit noch der Überprüfbarkeit gestellt, tatsächlich sind die aufgestellten Behauptungen aber durchaus wissenschaftlich überprüfbar.
Wird der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit weder explizit noch implizit erhoben und besteht objektiv auch keine solche Überprüfungsmöglichkeit, dann handelt es sich um keine Parawissenschaft. Folglich gehört ein solches Aussagesystem dann auch nicht zum Themenkreis, mit dem sich die GWUP beschäftigt.
Die Methoden, die die GWUP zur Untersuchung von Parawissenschaften heranzieht, sind wissenschaftliche Methoden (keineswegs nur naturwissenschaftliche Methoden). Behauptungen, die mit wissenschaftlichen Methoden nicht prüfbar sind, sind nicht Gegenstand der GWUP.
Betont werden muß in diesem Zusammenhang allerdings, daß die Behauptung, die Aussage X sei eine wissenschaftlich überprüfbare Behauptung, in jedem Fall eine wissenschaftlich prüfbare Behauptung ist, auch wenn die Aussage X in Wirklichkeit doch nicht wissenschaftlich prüfbar sein sollte.
Die GWUP untersucht Parawissenschaften hinsichtlich sehr verschiedener Fragestellungen, z.B.:
- Sind die erhobenen Behauptungen zutreffend? Inwiefern sind sie einerseits mit unserem bisherigen wissenschaftlichen Wissen vereinbar ("Können sie stimmen?"),inwiefern stimmen sie andererseits empirisch, d.h. unabhängig von der "Kann-Frage"?
- Wie ist der (Nicht-)Glaube an derartige Behauptungen aus psychologischer, soziologischer oder historischer Perspektive verständlich? Auch: Inwiefern sind parawissenschaftliche Überzeugungssysteme untereinander und mit anderen Überzeugungssystemen kompatibel?
- Sind die Auswirkungen eines parawissenschaftlichen Überzeugungssystems auf Individuen bzw. auf Gesellschaften vor dem Hintergrund gewisser normativer Setzungen eher positiv oder negativ (Frage nach der Chancen-Risiko-Relation)?
- Wie können die Ergebnisse der Fragen (a), (b) und (c) popularisiert werden? Welche Zielgruppen gibt es, wie sind sie zu erreichen, was sind die Standardargumenationsmuster? (Dies ist der "aufklärerische" Aspekt der GWUP-Arbeit: ihr geht es also nicht nur um die Gewinnung, sondern auch um die Verbreitung von Erkenntnissen).
Die genannten "Frageebenen" sind zunächst einmal relativ unabhängig voneinander, denn von der Antwort auf eine der Fragen ist nicht schon automatisch auf die Antwort einer anderen Frage zu schließen. Allerdings sind sie auch nicht völlig isoliert zu betrachten: Es wäre zum Beispiel naiv, sich Frage (d) zu widmen, wenn man nicht vorher zuverlässige Antworten auf (b) gefunden hat, was auch das Bemühen einschließt, die Anhänger von Parawissenschaften in ihrer Haltung verstehen zu lernen.
Die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Religion für die GWUP muß differenziert nach diesen vier Frageebenen betrachtet werden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich zunächst nur auf die Ebene (a). Begründet liegt dies darin, da die Definition von "Parawissenschaft" im Umfeld der Frageebene (a) angesiedelt ist.
3. Zum Begriff der "Religion"
Vor einem Antwortversuch auf die gestellte Frage muß natürlich erst der zentrale Begriff der "Religion" geklärt werden. Leider glänzt er sowohl im Alltag als auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch durch eine geradezu schillernde Unbestimmtheit. Wir legen hier fest, daß "Religion" nicht die pure Mitgliedschaft in einer sich selbst als religiös definierenden Organisation (z.B. einer Kirche oder Sekte) meint (oder gar die von einer solchen Organisation festgelegten Dogmen), sondern ganz allgemein religiöse Überzeugungen, Handlungen und Erfahrungen. Denn es gibt auch nicht-institutionalisierte Formen von Religion, eine Reduktion von "Religion" auf bloße Kirchlichkeit würde viel zu kurz greifen. Für die GWUP ist es dabei ganz unerheblich, ob bestimmte Behauptungen nur von einzelnen Individuen, Sekten oder großen Kirchen vertreten werden.
Grundsätzlich muß zwischen (mindestens) zwei Varianten der Begriffsverwendung unterschieden werden: substantielle Religionsdefinitionen wie sie etwa von Rudolf Otto oder Max Weber vertreten wurden, halten den Bezug auf oder die Begegnung mit dem "Heiligen" (im Gegensatz zum "Profanen") für das wesentliche Merkmal von Religion. Als Beispiel sei die Definition von Goddijn angeführt:
"Religion ist der Glaube an und die Beziehung zu Werten von transzendenter Bedeutung: an letzte und höchste Macht oder auch Mächte, die für das Ganze oder für einen wichtigen Teil der fundamentalen Weltordnung und der menschlichen Existenz als verantwortlich und ursächlich angesehen wird."
Der Nachteil solcher substantieller Definitionen ist, daß die Trennung zwischen Immanenz und Transzendenz als Definitionsmerkmal kaum mehr aufrecht zu erhalten ist, sobald wir den okzidentalen Kontext verlassen oder zum Beispiel Formen der New-Age-Religiosität betrachten.
Im Gegensatz dazu wird bei funktionalen Religionsdefinitionen der Begriff der "Religion" an Funktionen festgemacht, die gewisse Überzeugungen oder Praktiken für das Individuum und für die Gesellschaft spielen, etwa als "ein System von Überzeugungen und Praktiken, durch welche eine Gruppe von Menschen mit den letzten Problemen des menschlichen Lebens ringt" (Yinger), als ein "Unterfangen des Menschen, einen heiligen Kosmos zu errichten" (Peter L. Berger) oder als "sozialer Kitt" bei der Integration der Gesellschaft (Durkheim). Insofern kann es auch säkuläre Religionen ("Weltanschauungen") geben, was natürlich mit dem Nachteil verbunden ist, daß der Religionsbegriff dadurch immer schwammiger wird.
Welchen Religionsbegriff wollen wir nun verwenden? Zumindest bezüglich der Frageebene (a) der GWUP ist wohl ein substantieller Religionsbegriff sinnvoller, weil handlicher.
Nun könnte man Immanenz mit empirischer Prüfbarkeit und Transzendenz (als der "Domäne" von Religion) mit empirischer Unzugänglichkeit gleichsetzen. Dann wäre Religion zweifelsohne grundsätzlich kein Thema für die GWUP (sofern die "Religionen" nicht wissenschaftliche Ansprüche erheben), weil sie auf empirische Überprüfbarkeit angewiesen ist und folglich zu transzendenten oder metaphysischen Aussagen, die sich auf die existentielle Grundsituation des Menschen beziehen, schweigen muß.
Ganz so einfach ist es jedoch nicht, denn faktisch haben wir es mit einem historischen Ausdifferenzierungsprozeß zwischen "Wissenschaft" und einem so verstandenen Idealtypus von Religion zu tun, der noch nicht sehr lange zurückliegt: Noch vor wenigen Jahrhunderten wurde ganz einfach nicht zwischen empirischen und religiösen Wahrheiten unterschieden. In einem zähen aber steten "Rückzugsgefecht" hat sich Religion nur sehr langsam, genötigt durch Erkenntnisfortschritte in den Wissenschaften, aus potentiell oder de facto empirisch zugänglichen Bereichen zurückgezogen (zumindest im Okzident). Als ein Relikt dessen müssen wir damit rechnen, daß auch heute noch in der Alltagssprache einige eigentlich empirisch überprüfbare Sachverhalte unter dem Etikett "Religion" geführt werden. Auch ist es natürlich möglich, daß sich pseudowissenschaftlich arbeitende Gruppierungen nur zum Schein das Mäntelchen der "Religion" umhängen, um in den Genuß der staatlich garantierten Religionsfreiheit zu gelangen. Dies kann dann kein Hinderungsgrund für die GWUP sein, solche Behauptungen mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen.
Wenn wir öffentlich die Frage thematisieren, ob Religion ein Thema für die GWUP sein kann, dann müssen wir auch an die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs Religion denken, wollen wir nicht ständig mißverstanden werden.
4. Die Relevanz von "Religion" für die GWUP
Letztlich folgt aus dem bisher gesagten, daß aus der öffentlichen Etikettierung eines Themas als "Religion" oder "religiös" noch nicht abgeleitet werden kann, ob dieses Thema für die GWUP relevant ist oder nicht. Ausgehend von einem solchen alltagssprachlichen Verständnis von "Religion" dürften dann die von der GWUP untersuchbaren Behauptungen sowie Behauptungen, die unter dem Etikett "Religion" geführt werden, eine Schnittmenge bilden. Es gibt also (A) Behauptungen, die nicht "religiös" aber GWUP-relevant sind, (B) Behauptungen, die "religiöser" Natur aber nicht GWUP-relevant sind, als auch (C) Behauptungen, die gewöhnlich als "religiös" klassifiziert und trotzdem GWUP-relevant sind (also die "Schnittmenge"). Allgemein gehören nur parawissenschaftliche Behauptungen zum Gegenstandsbereich der GWUP, gleichgültig, ob sie als "religiös" bezeichnet werden oder nicht, gleichgültig, ob oder welche weltanschauliche Herkunft sie haben.
5. Beispiele
Welche Themen fallen beispielsweise in die Kategorien (A), (B) und (C)? In der Kategorie (A) sind sicherlich Behauptungen wie Erdstrahlen, Homöopathie, UFOs oder Astrologie zu finden (jedenfalls solange man keinen funktionalen Religionsbegriff anlegt).
In der Schnittmenge (C) ist beispielsweise die Frage nach der Authenzität des "Grabtuchs von Turin" anzusiedeln. Oder: Gibt es, wie so oft behauptet, wissenschaftliche Belege für Reinkarnation oder für ein Leben nach dem Tod, für die Wirksamkeit von Gebeten, für Wunderheilungen, Madonnentränen oder Marienerscheinungen? Ist wirklich in nächster Zeit mit dem Weltuntergang zu rechnen, wie manche religiöse Gemeinschaften verbreiten? Sind die Behauptungen des Kreationismus haltbar? All dies sind mit wissenschaftlichen Methoden diskutierbare Fragen, die folglich zum Themenbereich der GWUP gehören.
Dazu zählen im Prinzip auch Fragen, die die moderne historisch-kritische Theologie aufgeworfen hat: Stammen zum Beispiel alle Paulusbriefe wirklich von Paulus? Sind die Evangelienberichte zur Geburt Jesu nur fromme Dichtungen? Hatte Jesus die Absicht, eine Kirche zu gründen oder war er vom unmittelbar bevorstehenden Weltende überzeugt, hat er sich also geirrt? Auch diese Fragen könnten, da im Rahmen von kritischer Textanalyse wissenschaftlich überprüfbar, prinzipiell zum Thema der GWUP werden; es handelt sich um negierte parawissenschaftliche Aussagesysteme, sofern sie mit dem Anspruch des "Glaubens" vorgetragen werden. Dabei ist es übrigens ganz und gar unwesentlich, daß hier wegen der großen zeitlichen Distanz und der mangelhaften Informationslage nur Wahrscheinlichkeitsaussagen gemacht werden können, denn dies ist nur ein gradueller Unterschied zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Absolut sicheres Wissen ist ohnehin in der Wissenschaft grundsätzlich nicht verfügbar.
Nicht in dieser Schnittmenge, also der Kategorie (B) zuzurechnen, ist etwa die Frage nach der (Nicht-)Existenz Gottes bzw. von Göttern (sofern ihnen keine wissenschaftlich überprüfbaren Eigenschaften zugeschrieben werden), nach dem "Sinn des Lebens", nach der Rechtfertigung von Werten und Normen und diverse andere ethische, teleologische und soteriologische Fragen. Auch religionspolitische Forderungen, etwa bezüglich der Trennung von Kirche und Staat, sind kein Thema für die GWUP, weil sie normative Postulate und als solche einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht zugänglich sind. Die GWUP kann in diesem Zusammenhang allerdings fordern, daß wissenschaftliche Fragen nur mit wissenschaftlichen Argumenten entschieden werden sollten, dies gilt dann aber für alle Arten von Organisationen, für Kirchen in nicht anderer Weise als für z.B. für Parteien oder auch für wissenschaftliche Organisationen. Natürlich kann man sich in eine wissenschaftliche Debatte auch mit z.B. ethischen Argumenten einschalten, was durchaus legitim ist, solange die Argumente als solche gekennzeichnet werden.
Allgemein muß in diesem Kontext auch betont werden, daß es in der Welt sicherlich viele sinnvolle und erstrebenswerte Forderungen gibt, die deshalb aber noch lange nicht zu einem Thema für die GWUP werden.
6. Können ist nicht Müssen
Daß die GWUP ein Thema im Rahmen ihrer allgemeinen Zielsetzung behandeln kann (nur darum geht es hier!), heißt noch nicht, daß sie dieses Thema auch behandeln muß. Schon aus Ökonomiegründen kann die GWUP gar nicht wirklich alle Behauptungen untersuchen, die für sie prinzipiell untersuchbar wären. Sie wird sich immer überlegen müssen, ob bestimmte Behauptungen aus ihrem Gegenstandsbereich etwa für die forschungsleitenden Fragestellungen oder unter gesellschaftspolitischer Perspektive relevant genug sind, ob sie nicht schon ausreichend von anderen Personen oder Organisationen untersucht wurden und werden, ob die fachlichen und finanziellen Kapazitäten der GWUP zur Untersuchung bestimmter Behauptungen ausreichen usw. Sie wird also auswählen müssen, und zwar in erheblichem Ausmaß. Dies ist aber hier nicht das Thema.
In diesem Text geht es nur darum, die maximal denkbare Ausdehnung des GWUP-Gegenstandsbereichs abzugrenzen, also festzustellen, was grundsätzlich zum Thema für die GWUP werden könnte und was nicht.
7. Überschätzung der Wissenschaft?
Die Weigerung der GWUP, zu weltanschaulichen Fragen Stellung zu nehmen, bedeutet keineswegs, daß diese Fragen unwichtig wären. Die GWUP behauptet nicht, daß wissenschaftliche Erkenntnis allein ausreichen würde, um sich als Mensch in dieser Welt zurecht zu finden. Dafür sind über wissenschaftliche Erkenntnisse hinausgehende, sicher unterschiedlich stark reflektierte weltanschauliche Orientierungen notwendig (z.B. Naturalismus, Theismus). Die Wissenschaft allein kann solche Orientierungen nicht bieten.
Die GWUP vertritt nicht eine Haltung, die annimmt, alle Probleme der Welt wären letztlich allein durch wissenschaftliches Denken lösbar und ergänzende, wissenschaftlich nicht begründbare Überzeugungen seien völlig überflüssig.
Zudem behauptet die GWUP selbstverständlich nicht, daß Wissenschaft völlig voraussetzungsfrei sei. Auch Wissenschaft basiert auf gewissen axiologischen und erkenntnistheoretischen Grundannahmen, bemüht sich dabei aber um äußerste Sparsamkeit, genaue Explizierung und mögliche Falsifizierung im Sinne eines konsequenten Fallibilismus.
Die GWUP geht allerdings davon aus, daß im Konfliktfall wissenschaftliches Wissen anderen Formen des Wissens vorzuziehen ist, weil wissenschaftliches Wissen das sicherste Wissen ist, über das wir derzeit verfügen.
Das Vertreten oder die Kritik weltanschaulicher Positionen an sich gehört hingegen nicht zum Aufgabenbereich der GWUP. Dafür gibt es andere Vereinigungen, in denen sich natürlich ggf. auch GWUP-Mitglieder privat engagieren können. Innerhalb der GWUP herrscht weltanschaulicher Pluralismus.
8. Die GWUP ist keine Weltanschauungsgemeinschaft
Die GWUP ist keine Weltanschauungsgemeinschaft, sondern eine wissenschaftliche Gemeinschaft. Sie führt keinen Weltanschauungskampf. Sie wird sich auch nicht vor den Karren von bestimmten Weltanschauungsgemeinschaften spannen lassen.
Weder eine allgemeine Religionskritik noch das Vertreten eigener weltanschaulicher oder religiöser Positionen zählt zu den Aufgaben der GWUP. Eine solche Auffassung ist nicht etwa inkonsequent, sondern konsequent im Sinne der allgemeinen Zielrichtung der GWUP. Wer meint, die von der GWUP angeführten Argumente gegen Pseudowissenschaften ließen sich ebensogut auch gegen Religionen allgemein anführen (im Sinne einer pauschalen Religionskritik), oder wer denkt, die GWUP müsse einen "wahren Glauben" anstelle eines von ihr kritisierten "Aberglaubens" anbieten, der hat die Argumentationsweise und die Aufgabenstellung der GWUP nicht verstanden.
9. Zusammenarbeit mit religiösen und weltanschaulichen Organisationen
Im Rahmen der so festgelegten Aufgabenstellung der GWUP und ihrer Grenzen kann, sollte und arbeitet die GWUP auch faktisch durchaus mit weltanschaulichen und religiösen Organisationen (z.B. Kirchen, nicht-religiöse weltanschauliche Vereinigungen) zusammen, soweit es thematische Überschneidungen gibt und insofern dadurch die weltanschauliche Neutralität der GWUP nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.
10. Weitere Fragestellungen der GWUP
Die bisherigen Ausführungen bezogen sich alle auf die GWUP-Frageebene (a), also auf die Frage, inwiefern die von der GWUP untersuchten parawissenschaftlichen Behauptungen zutreffend sind. Daran lehnen sich die Frageebenen (c) und (d) an: nur Behauptungen, die bei (a) zu einem Thema der GWUP werden können, können von der GWUP auch unter den Perspektiven von (c) und (d) betrachtet werden.
Eine Sonderstellung nimmt dagegen die Frageebene (b) ein, die Parawissenschaften als Überzeugungssysteme betrachtet. An dieser Stelle kommt dann doch noch der oben erwähnte funktionale Religionsbegriff zum Tragen. Denn was aus GWUP-Perspektive als Parawissenschaft erscheint, kann funktional gesehen für die Individuen durchaus einen "religioiden" Charakter haben, es kann sich um ein funktionales Äquivalent für eine traditionelle Sozialform von Religion handeln. Das ist aber eine ganz wesentliche Erkenntnis, will man paranormale Überzeugungssysteme als Phänomene unserer modernen Gesellschaft verstehen lernen, will man die Anhänger von Parawissenschaften verstehen lernen. Auch hinsichtlich Frageebene (b) können nur solche Behauptungen zum Thema der GWUP werden, die diese Bedingung auch bei (a) erfüllen, allerdings ist hier oft auch nach Korrelaten zu traditionell-religiösen Überzeugungssystemen zu fragen. Die diesbezüglichen Ergebnisse von Religionswissenschaft, Soziologie und Psychologie - auch zu traditionellen Religionen - sind dabei in vergleichender Perspektive zu berücksichtigen. Das ist eine etwas andere Situation als bei den Frageebenen (a), (c) und (d), aber auch hier wird Religion und Weltanschauung "an sich" nicht zum Gegensstandsbereich der GWUP, sondern sie wird nur als Korrelat oder Einflußfaktor in Betracht gezogen.
11. Zusammenfassung
Die GWUP ist keine Weltanschauungsgemeinschaft. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit wissenschaftlich prüfbaren Behauptungen. Viele weltanschauliche oder religiöse Aussagen sind dies aber nicht: Die Fragen z.B. nach der (Nicht-)Existenz Gottes oder nach dem "Sinn des Lebens" können nicht wissenschaftlich entschieden werden. Die GWUP bestreitet nicht, daß diese und andere Fragen interessant und wichtig sind, sie gehören aber nicht zum Aufgabenbereich der GWUP. Daher herrscht innerhalb der GWUP weltanschaulicher Pluralismus: Unter den Mitgliedern der GWUP finden sich sowohl Gläubige aus verschiedenen Religionen als auch Menschen ohne Konfession.
Anders ist es mit Behauptungen, die als "religiös" bezeichnet werden, aber trotzdem prüfbar sind, etwa die Frage der Authentizität von Wundererscheinungen oder -heilungen oder die nach der Echtheit des angeblichen Jesus-Grabtuchs von Turin. Hier geht es nicht um Glauben, vielmehr können und sollten angebliche "Wunder" wissenschaftlich untersucht werden.
Literatur:
- Tim Callahan (1997): Bible Prophecy: Failure or Fulfillment?
- Tim Callahan (2002): Secret Origins of the Bible, Altadena
- Kendrick Frazier (2001): Science and Religion 2001. In: Skeptical Inquirer September
- Paul Kurtz (1999): Should Skeptical Inquiry Be Applied to Religion?. In: Skeptical Inquirer July/August.
- Massimo Pigliucci (2000): Personal Gods, Deism, & the Limits of Skepticism.In: SKEPTIC, Volume 8, No. 2. (Special Issue on Science and Religion)
- Michael Shermer (1999): How We Believe: The Search for God in an Age of Science, New York
Linktipps:
- GWUP-Geschäftsführer Amardeo Sarma im Interview mit Gunnar Schedel (MIZ): “Schon allein deshalb ist diese Frage keine fassbare Angelegenheit...”
- Dr. Martin Mahner: Vortrag mit Literatur: Religion vs Wissenschaft: Ein ewiger Konflikt - oder friedliche Koexistenz?
- Stephen Jay Gould on Science and Religion by Russell Blackford
- Michael Shermer: God is "Only a Theory"
- Bibelcode-Eintrag im Skeptical Dictionary.