Parawissenschaften und Politik
Die 12. GWUP-Konferenz, Berlin 9.–11.05.2002
Angela Andersen, Thomas Andersen und Holger von Rybinski
Wie bereits 1996 fand die diesjährige GWUP-Konferenz in der traditionsreichen Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow statt. Trotz schönsten Wetters hatten sich vom 9.-11. Mai etwa 100 Teilnehmer im berühmten Einstein-Saal der Sternwarte eingefunden, um einer Reihe von interessanten Vorträgen zu lauschen. Das Hauptthema der Konferenz lautete - mit Bezug auf die Bundestagswahlen 2002 - "Parawissenschaften und Politik".
Mark Benecke |
Den Auftakt zur Konferenz bildete der Abendvortrag von Dr. Mark Benecke, der als einziger Kriminalbiologe Deutschlands mittlerweile weithin Bekanntheit erlangt hat und seit zwei Jahren auch Mitglied im Wissenschaftsrat der GWUP ist. In unterhaltsam-lockerer Art gab Benecke einen Überblick über das in den letzten Jahren zunehmend kontroverser diskutierte Thema "Klonen". Er stellte zunächst klar, dass trotz sensationsheischender Medienberichte weder Klone noch die sich mit ihnen beschäftigenden Forscher so etwas wie Monster sind. Er riet dazu, der seiner Meinung nach ohnehin nicht mehr aufhaltbaren Entwicklung gelassen entgegenzusehen. Auch sei die Grenze bereits überschritten: Nach seinen Informationen sollen neben dem weltbekannten Klon-Schaf Dolly bereits 1997 Kälber mit dem Ziel der Vermehrung besonders ertragreicher Tiere erfolgreich geklont worden sein. Hinter dem Klonen stünden massive wirtschaftliche Interessen, sodass man sich dieses Zweigs der Medizin als einer neuen Form der Produktionssteigerung bediene. Auch bei den Bemühungen um das Klonen von Menschen sah er weniger das Ziel, roboterähnliche neue Geschöpfe zu erzeugen, wie z. B. der Untertitel "Angriff der Klonkrieger" von "Star Wars Episode II" suggeriert, als vielmehr neue zahlungskräftige Zielgruppen für die Reproduktionsmedizin zu erschließen.
Befürworter wie Gegner der Reproduktionsmedizin würden dazu neigen, die Konsequenzen des Klonens deutlich überzubewerten. Bei einem Klon handele es sich keinesfalls um eine identische Kopie eines Menschen, sondern lediglich um einen zeitversetzten "Zwilling", der zwar mit gleicher Kern-DNA ausgestattet ist, aber durch die unterschiedliche DNA außerhalb des Zellkerns und insbesondere durch seine ganz andere individuelle Entwicklung weniger Ähnlichkeit mit dem Erbgutspender habe als ein eineiiger Zwilling mit seinem Geschwister. Letztlich sei aber vieles noch ungeklärt, so etwa die Frage, ob das höhere Alter des jeweils verwendeten Zellkerns eine Verkürzung der Lebenszeit des Klons mit sich bringe. Zum Schluss brachte Benecke noch einen außergewöhnlichen Web-Tipp: Wer sein eigenes Erbgut gegen Diebstahl schützen möchte, findet auch hierfür im Internet eine Adresse: www.dnacopyright.com.
Zum zweiten Kongresstag begrüßte der alte und neue GWUP-Geschäftsführer Amardeo Sarma die Anwesenden und gab eine Einführung in das Hauptthema der Tagung "Parawissenschaften und Politik". Er stellte fest, dass Wissenschaft häufig in Konflikt gestanden habe mit dem, was Menschen unkritisch für wahr gehalten hätten. Auch heute noch versuchten die Mächtigen, das Rad zurück zu drehen, um dem Druck derer nachzugeben, die an überholten Vorstellungen festhielten. Sarma erläuterte diese Entwicklung an drei Beispielen, um das Verhältnis von Politik und Parawissenschaften zu illustrieren.
In den Vereinigten Staaten, denen sonst eine führende Rolle in Wissenschaft und Technik zukommt, tobt seit langem ein Kampf darüber, ob in den Schulen Evolution oder Schöpfung gelehrt werden soll. Dabei wird der kreationistische Kampf gegen die Evolutionstheorie offenbar von höchster Stelle gebilligt. So zitierte Sarma den US-Präsidenten George W. Bush mit den Worten: "Kindern sollten verschiedene Theorien über die Entstehung der Welt gelehrt werden." Bushs Sprecherin, Mindy Tucker, fügte hinzu, die Auswahl des Stoffes sei zwar eine Entscheidung der lokalen Schulbehörden, Bush meine aber, es sollten sowohl Evolution als auch Schöpfung unterrichtet werden. In manchen amerikanischen Schulbüchern wird dies auch bereits so formuliert. Nur durch das Engagement kritischer Wissenschaftler kann der Kreationismus immer wieder zurückgedrängt werden.
Als zweites Beispiel nannte Sarma Indien, wo es Bestrebungen religiöser Fanatiker gebe, Lehrbücher umzuschreiben, um vedische Astrologie und Mathematik an die Schulen zu bringen. Auch wurde versucht, Schulbücher im Fach Geschichte umzuschreiben, um sie der neuen hinduistischen Ideologie, der Hindutva, anzupassen.
Sarma wandte sich im dritten Beispiel Deutschland zu, wo z. B. Homöopathie und Anthroposophische Medizin als "Besondere Therapierichtungen" anerkannt sind, was einer gesetzlichen Verankerung von Pseudowissenschaft gleichkomme. So scheute er sich auch nicht zu fragen, ob nach der Deutschen Physik des Dritten Reiches nun eine Deutsche Medizin ins Haus stünde, weil die Politik dem Druck von Interessengruppen nachgebe und damit den Verbraucherschutz aushöhle. Ein Beispiel hierfür sei die neue Positivliste für Arzneimittel der Bundesregierung. Diese beinhaltet alle zugelassenen Medikamente, die größtenteils auch von den Kassen erstattet werden müssen. Jedoch wurde aufgrund des Drucks der Homöopathen und Anthroposophen durchgesetzt, dass die Liste in einen Haupt- und einen Sonderteil gegliedert wurde. Der Sonderteil enthält u. a. alle die Präparate aus der alternativen Medizin, bei denen kein Wirkungsnachweis erbracht werden kann. Letztendlich sei es damit esoterischen Interessengruppen gelungen, ihre Pfründe zu sichern. Dabei lässt die Mehrzahl der empirischen Befunde nicht den Schluss zu, dass diese Therapierichtungen funktionieren. Wie kann die Bundesregierung so etwas billigen und fördern? Die Politik, so Sarma, sollte sich bei solchen Entscheidungen nach der Wirksamkeit der Präparate richten und nach nichts anderem. Nur so sei ein wirklicher Schutz der Verbraucher zu gewährleisten.
Klaus Olschewski |
Der anschließende Vortrag des Geologen Klaus Olschewski beschäftigte sich mit der Frage "Welchen Einfluss haben Steine, Minerale und Edelsteine auf den Menschen?" Zunächst gab Olschewski einen Überblick über die verschiedenen Gesteinsarten und erläuterte, wie die einzelnen Steine auf den Menschen wirken. Wohl jedem bekannt ist das in Höhlen auftretende Radon. Dies kann in Dosen, wie sie unterirdisch auftreten, schädlich sein, wird aber im Kurbetrieb therapeutisch immer noch eingesetzt. Bekannt sind auch durch Gesteine verursachte Krankheiten wie Silikose und Asbestose. Neben der schädlichen Wirkung sind durchaus auch positive Auswirkungen bekannt. So gibt es einen Deo-Stein (aus Alaun), der das Schwitzen unterbindet und als Blutstillstift adstringierend wirkt. Oder das "Höllenstein" genannte Silbernitrat, welches zur Behandlung von Warzen eingesetzt werden kann, da es katalytisch auf Sauerstoff wirkt und die Warzenviren schädigt.
Der Referent ging dann über zur Gemmologie, der Edelsteinkunde. Zu den Edelsteinen zählen u. a. Bernstein, Perlen, Korallen und Elfenbein - bei Preisen von 20 Euro pro Gramm (4000 Euro pro Karat) sei hier eine eindeutige Wirkung auf die Psyche der Frauen festzustellen - eine Bemerkung, die ihren erheiternden Effekt nicht verfehlte. Olschewski widmete sich dann aber den in Mode gekommenen Heilsteinen. Ein guter Heilstein müsse auf jeden Fall bunt und attraktiv sein. Von Esoterikern werden fast alle attraktiven Minerale gegen jede Art von Beschwerden eingesetzt. In der Szene sind zurzeit "Donuts" in Mode, ringförmig geschliffene, flache Anhänger, die an Lederschnüren getragen werden. Dem Tigerauge etwa schreibt man positiven Einfluss auf Lunge, Augen und Darm zu, es soll helfen bei hormoneller Überfunktion, Knochenkrankheit, Asthma usw. usw. Kein Steinchen, dem nicht eine Vielzahl von Heilwirkungen zugeschrieben werde - und Achat helfe sowieso gegen alles!
Daneben gibt es noch die Heilstein-Alchemie. Hier wird etwa die Asche von angeblich heilenden Steinen, z. B. von Diamant (!), aufgegossen mit Regenwasser, als Elixier verabreicht. Damit solle die "Information" des Heilsteines weitergegeben werden. Oder es werden "Tees" zubereitet, wobei z. B. der grüne Malachit gegen den Grünen Star eingesetzt wird. Die Steine werden auch getragen, wobei sie mit schädlicher Energie aufgeladen werden, sodass man sie danach wieder entladen muss, um sie schließlich wieder mit positiver Energie aufladen zu können. Mondstein etwa legt man zu diesem Zweck bei Vollmond ans Fenster. Die Palette der Anwendungsmöglichkeiten ist schier unendlich...
Entbehren solche Behauptungen jeder Grundlage, sollte man mögliche schädliche Wirkungen von Steinen ernster nehmen. So werden etwa so genannte Handschmeichler aus Zinnober vertrieben. Zinnober ist Quecksilbersulfid, das schon durch schwache Säuren wie etwa im Handschweiß gelöst wird, wodurch Quecksilber über die Haut aufgenommen werden kann. Das Mineral Rotnickelkies, das von Esoterikern gegen Anämie empfohlen wird, verwittert schon an der Erdoberfläche. Dabei entstehen u. a. Arsenate und Nickeloxide, die zum einen giftig und karzinogen sind und zum anderen hochallergen wirken können. Als Schmuckanhänger sollten auch radioaktive Zirkone nur dann eingesetzt werden, wenn man, so Olschewski, "von der Trägerin als Universalerbe eingesetzt wurde". In den meisten Heilsteinbüchern fehle jedoch der Hinweis auf die Gefahren durch Mineralien.
Barbara Burkhard |
Als nächstes widmete sich die Internistin Dr. Barbara Burkhard dem Thema "Okkulte 'Geisteswissenschaft' in einer modernen Gesellschaft?" Beispiel: Anthroposophische Medizin. Detailliert erklärte sie die Entstehung der Anthroposophie Rudolf Steiners, der diese als Erkenntnisweg, als "Geisteswissenschaft" betrachtete. Dabei sei besonders zu beachten, dass anthroposophische Begriffe nicht dem normalen Gebrauch entsprechen, so auch der Begriff "Geisteswissenschaft", der für Steiner soviel wie "Geheimwissenschaft" bedeutete.
Zentral für die Anthroposophische Medizin (AM) ist Steiners Lehre von den vier Wesensgliedern des Menschen: der physische Leib, der Ätherleib, der Astralleib und der Ich-Leib. Krankheiten werden als Störungen des Gleichgewichts zwischen diesen "Wesensgliedern" begriffen. Ein weiterer zentraler Aspekt der anthroposophischen Weltanschauung ist die Karmalehre. Der Geist des Menschen, sein Ich, kehre, bereichert um die Erfahrungen eines vergangenen Erdenlebens, aus dem Jenseits immer wieder auf die Erde zurück, um neue Erfahrungen zu sammeln und sich weiter zu entwickeln. Krankheiten seien karmisch vorbestimmt. Wer beispielsweise Lungenentzündung hat, habe in früheren Leben ausschweifend gelebt. Ein Arzt könne daher solche selbst gewählten Krankheiten nicht heilen, sondern nur beeinflussen.
Laut Anthroposophischer Medizin (AM) bestünde eine "evolutive Verwandtschaft zwischen Mensch und Naturreich", und der Kosmos und die Sterne finden ihr Spiegelbild in den einzelnen Organen des Menschen. Die AM schildert differenziert die Beziehung der Tierkreiszeichen zu Metallen, die in Kombination mit Farben auf die Organe wirken. Es gibt zudem spezifische anthroposophische Heilweisen, eingeteilt u. a. nach Konstitutionstypen, für die Mineralien oder Metalle eingesetzt werden.
Gregor Huesmann |
Der Apotheker Dr. Gregor Huesmann referierte danach zum Thema "Wundermittel und Nahrungsergänzungsmittel - Wettbewerbsrecht kontra Verbraucherschutz". Huesmann, bekannt geworden durch die Aktion "Scheiß des Monats", mit der er jeweils ein pharmakologisch unwirksames Produkt im Schaufenster seiner Apotheke ausstellte, klärte zunächst über die verschiedenen Begriffe auf, die für das Apothekensortiment verwendet werden. Als Nahrungsergänzungsmittel gelten nach seiner Definition (der Begriff ist nicht festgelegt) Stoffe oder Zubereitungen, die dazu dienen, Ernährungsdefizite auszugleichen. Viele Lebensmittel der so genannten novel foods, die medizinische Wirksamkeit beanspruchen, seien nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) jedoch Arzneien. Dann gibt es die Medizinprodukte, die der Medizinprodukteverordnung unterliegen. Laut Huesmann sei diese geschaffen worden, um den Umsatz anzukurbeln, nicht, um den Verbraucher zu schützen. Medizinprodukte haben eine rein physikalische Wirkung, keine medizinische. Rein rechtlich können hier jedoch Behauptungen aufgestellt werden, die man bei keinem Medikament machen dürfte. Als Beispiel präsentierte Huesmann ein Zellulosepräparat zur Gewichtsreduktion, das im Magen aufquillt und so den Hunger stillen soll. Dieses Präparat habe jedoch zu Darmverschlüssen geführt. Nach Beschwerden wurde flugs ein Nachfolgeprodukt präsentiert, das schneller abgebaut werden kann. Hintergrund für die schnelle Reaktion der Hersteller: Bei Medizinprodukten muss der Verbraucher belegen, dass das Mittel schädlich ist. Gelingt dies leicht, wie im vorigen Falle geschehen, müssen die Hersteller zahlen.
Huesmann schilderte ferner, wie er mit seiner "Scheiß des Monats"-Aktion ins Visier der Hersteller geriet. Gegen ihn wurde mehrfach geklagt, da zwischen dem Vertreiber von Arzneimitteln oder Medizinprodukten und den Apothekern ein Wettbewerbsverhältnis gesehen wird. Öffentliche Kritik am "Konkurrenzprodukt" ist daher nicht erlaubt, obwohl er als promovierter Apotheker durchaus in der Lage wäre, die Tauglichkeit eines Produkts zu beurteilen. Derart "schmähende" öffentliche Kritik unterlasse er seither tunlichst. Nur persönlich in der Apotheke dürfe er den individuellen Kunden kritisch beraten.
Zum Ende seines Vortrags präsentierte er noch einige zweifelhafte Präparate, die auch in Apotheken angeboten werden. Beispielsweise gibt es einen durchaus gesunden Multivitaminsaft, dessen exorbitant hoher Preis vom Hersteller damit gerechtfertigt wird, dass der am Flaschenboden befestigte Magnet die Inhaltsstoffe besser im Saft halte. Die Publikumsfrage, ob Huesmann sich als Apotheker und Geschäftsmann mit seiner Aufklärungsarbeit nicht selbst schade, verneinte er. Generell mache der Verkauf nichtmedizinischer Produkte nämlich nur etwa 1 % des Apothekenumsatzes aus.
In der Nachmittagssitzung berichtete der Biophysiker Prof. Dr. Roland Glaser von der Humboldt-Universität zu Berlin über "Sinn und Unsinn in der Elektro- und Magnetotherapie". Vom Hypnosepionier Franz Anton Mesmer im 18. Jahrhundert begründet (Mesmerismus), wurde die Behandlung von Kranken mit Magneten sogleich heftig kritisiert. Der Berliner Arzt Ch. W. Hufeland meinte, dass "Berührung, Einbildungskraft, Nachahmung und gereizte Sinnlichkeit" die wahren Ursachen der "Erscheinung" (der Wirkung der mit Hypnose verbundenen ersten Magnetbehandlungen) seien. Diese Feststellung sei auch heute noch für die Behandlung mit statischen Magneten gültig. Anders verhalte es sich im Falle von starken Magnetfeld-Pulsen, mit denen elektrische Reizströme im Gewebe induziert werden können. Je schwächer jedoch diese Felder werden, desto zweifelhafter sei ihre Wirksamkeit. Wiewohl nicht grundsätzlich unplausibel, sei bislang kein Wirksamkeitsnachweis solcher Behandlungen erbracht. Werde die Reizschwelle so deutlich unterschritten, wie es bei vielen derzeit angebotenen Therapien mit pulsierenden Magnetfeldern der Fall sei, so seien auch diese als unsinnig zu betrachten. Trotz der vielen Quacksalberei auf diesem Gebiet bestünde aber durchaus Grund zu der Annahme, dass sich in der Zukunft eine wissenschaftlich begründete Elektro- und Magnetotherapie entwickele.
Ein verwandtes Thema, jedoch sehr viel kontroverser in der Öffentlichkeit diskutiert, behandelte der Beitrag von Prof. Dr. Jörg-Peter Güttler: "Elektrosmog: Der aktuelle Stand der Diskussion und der Umgang mit dem Thema in Deutschland". Zunächst gab Güttler eine Übersicht darüber, welche echten und welche eingebildeten Belastungen es durch elektrische bzw. magnetische Felder gibt. Die Belastung durch elektrische Felder etwa sei vernachlässigbar. Um das Magnetfeld einer Steckdose wahrzunehmen, müsse man mindestens 1 cm nah an sie herankommen. Heizdecken hingegen, bislang nie Gegenstand einer Elektrosmog-Diskussion, wirkten in dieser Hinsicht direkter auf den Menschen ein.
Die heftigsten Debatten werden zurzeit über den Mobilfunk geführt. In vielen Städten und Gemeinden haben sich Bürgerinitiativen gebildet, um die Errichtung vermeintlich gefährlicher Mobilfunkantennen zu verhindern - kurioserweise auch dann, wenn beispielsweise eine nur 25 Watt starke Antenne aufgestellt werden soll. Gefährlich sei hier jedoch nicht die Leistung, so die Mobilfunkgegner, sondern die gepulste Strahlung. Güttler meinte, wenn man von Wirkung spreche, sei es wichtig, zwischen EMV-Problematik (Einfluss auf elektrische Geräte) und EMVU-Problematik (Einfluss auf die Umwelt) zu unterscheiden. Radarfunk, Militärfunk, Bahn- und Schiffsfunk senden teilweise ganz erheblich stärker. Die Behauptung, die gepulste Strahlung von Antennen sei gefährlich, sei nicht aufrecht zu erhalten.
Interessant ist hier auch zu wissen, wieviel der Handy-Leistung vom Kopf absorbiert wird (gemessen mit dem sog. IAR-Wert). Die Grenzwerte basieren u. a. auf den Werten der thermischen Einwirkung. Bei der Leistung der augenblicklich vertriebenen Handys ist dies mit der Wirkung vergleichbar, die eintritt, wenn man vom Schatten in die Sonne tritt, vorausgesetzt allerdings, man würde mindestens eine halbe Stunde telefonieren. Grenzwerte sind immer gesetzlich festgelegt. Anders die darüber hinaus angewandten Vorsorgewerte. In aller Munde sind momentan die "Schweizer Vorsorgewerte", eine politische Größe. In der Schweiz gelten die gleichen Grenzwerte wie in Deutschland. Als reine Vorsichtsmaßnahme, ohne irgendeinen Hinweis darauf, dass dies aus wissenschaftlicher Sicht notwendig wäre, werden daneben die niedrigeren Vorsorgewerte angewandt, die im Einzelfall nach unterschiedlichen Methoden (abhängig vom Standort usw.) ermittelt werden und mittlerweile auch von vielen deutschen Mobilfunkgegnern gefordert werden. Außerdem nehmen die Schweizer Vorsorgewerte das Handy selbst aus, da es - was gern übersehen wird - stärkere Werte als die Antenne hat. Je näher man dabei mit dem Handy an die Antenne kommt, desto geringere Leistung ist notwendig.
Nach all diesen interessanten Vorträgen hatten die Kongressteilnehmer Gelegenheit, Kritik und Vorschläge bei einer "politischen Diskussion" vorzubringen. Amardeo Sarma präsentierte zunächst die Wahlprüfsteine der GWUP. Wie bereits bei der Bundestagswahl 1998 hatte die GWUP fünf Fragen zur Gesundheitspolitik an alle im Bundestag vertretenen Parteien verschickt (s. Skeptiker 2/02). Des Weiteren wurden einige Reaktionen von Krankenkassen auf den Artikel von Prof. Martin Lambeck über die "Unterstützung der Homöopathie durch die Krankenkassen" aus dem Skeptiker 3/01 vorgestellt. So sieht etwa die BKK Post ihr Modellprojekt zu den Besonderen Therapierichtungen als Gelegenheit zur wissenschaftlichen Prüfung der Homöopathie bzw. Anthroposophischen Medizin an. Es gebe viele Möglichkeiten, dem Verbraucher zu helfen, und die Schulmedizin sei halt nur eine davon, so der Chef der BKK Post in seinem Schreiben. Abschließend wurde ein Katalog mit "Forderungen an die Politk" zur Gesundheitspolitik diskutiert.
Markus Pössel |
Der letzte Konferenztag war verschiedensten freien Themen gewidmet. Den Auftakt am Samstag früh machte der Physiker Markus Pössel mit einem Thema, das auf den ersten Blick eher dem Bereich der Science-Fiction zuzugehören scheint, tatsächlich jedoch hochkomplexe Probleme der Physik behandelt: Sind Zeitreisen möglich? Nach komplexen Erörterungen über Parallelwelten, Wurmlöcher und Relativitätstheorie lautete Pössels Fazit für alle hoffnungsvollen Science-Fiction-Fans: "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen". Bis dahin können wir uns zumindest an Einzelerkenntnissen erfreuen, wie z. B. dem "Trödelprinzip": Kräftefreie Körper bewegen sich so, dass zwischen zwei Punkten ihrer Bahn möglichst viel Zeit vergeht und dass Zeitreisen in die Zukunft - zumindest theoretisch - möglich sind.
Leichtere Kost, jedoch nicht weniger professionell beleuchtet, bot dann Dr. Klaus Richter mit seinem Vortrag "Wider jede Logik - Über den Umgang der Paläo-SETI mit Fakten und Kritikern". Dabei ist Paläo-SETI (Search for Extraterrestrial Intelligence) ein anderer Name für die Prä-Astronautik, d. h. für die historische Pseudowissenschaft, die behauptet, dass Außerirdische in der Vergangenheit die Erde besucht und sowohl Evolution als auch technische wie kulturelle Entwicklung des Menschen wesentlich beeinflusst haben. Am bekanntesten machte diese These der Schweizer Erich von Däniken 1968 mit seinem Bestseller "Erinnerungen an die Zukunft", der geschickt die Raumfahrt-Euphorie der 60er nutzte, um seine Fans in retrograde Phantasien zu versetzen. Der weltweite Däniken-Boom, der auch viele Nachahmer fand, führte 1973 zur Gründung der Ancient Astronaut Society (A.A.S., seit 1998: Forschungsgesellschaft für Archäologie, Astronautik und SETI).
Aber was ist dran an diesen Behauptungen? Wie eindeutig sind die geschilderten und oft abgebildeten "Indizien" für die frühen extraterrestrischen Besucher? Die von Klaus Richter angeführten Beispiele belegen klar: Es handelt sich nicht um eine kurz vor ihrer Adelung stehenden "Grenzwissenschaft", sondern um eine echte Pseudowissenschaft! Hier wird mit Unterstellungen, Behauptungen und Manipulationen unwissenschaftlich gearbeitet, eindeutige Fakten werden negiert. Richter nannte folgende Argumentationsstruktur als kennzeichnend:
- Es werden Rätsel geschaffen, die sich mit herkömmlichen Methoden angeblich nicht erklären lassen. Beispiel: Wie und wozu wurden die ägyptischen Pyramiden erbaut? Dazu werden die vorliegenden Erklärungen als unbefriedigend und unbeweisbar abgetan.
- Des Rätsels Lösung lautet in der Regel: ein möglicher Kontakt zu Außerirdischen.
- Die Belege, die angeblich vom Autor "in langjähriger Forschungsarbeit selbst entdeckt" wurden, würden in Wirklichkeit aber meist fleißig von gleichgesinnten Autoren abgeschrieben.
- Die reine Möglichkeit wird zur Gewissheit. Längst Widerlegtes wird unbeirrt weiter behauptet.
- Die etablierte Wissenschaft wird als antiquiert und fortschrittsfeindlich dargestellt, oft auch in Verbindung mit einer persönlichen Polemik gegenüber Kritikern.
- Die Autoren sehen sich in einer langen Tradition von "querdenkenden" Forschern, die in ihrer Zeit ebenfalls gegen das Establishment angehen mussten, wie Bruno oder Galilei.
All dies lässt für Richter nur einen Schluss zu: Es handelt sich bei Paläo-SETI um eine Ideologie, nicht um Wissenschaft, die kritische Hinterfragung oder Faktendiskussion zulässt.
Martin Lambeck |
Wohl jeder, der sich kritisch mit Paraphänomenen auseinandersetzt, kennt den Vorwurf, Skeptiker nörgelten an allen neuen Erkenntnissen herum, vor allem an denen, die eine wissenschaftliche Revolution erwarten ließen. Der Physiker Prof. Dr. Martin Lambeck schlug in seinem Vortrag "Brauchen wir eine neue Physik? Die Vierkräfte-Lehre der Physik als Mittel zur Untersuchung von Parawissenschaften durch Wissenschaft und Politik" vor, als Gegenstrategie stärker auf die Argumentation zu achten, und verband dies beispielhaft mit einer kritischen und humorvollen Auseinandersetzung mit dem bisherigen Kenntnisstand der Physik.
Angenommen, wir haben ein Paraphänomen X, so sei von einer Argumentation der Form "Da das Phänomen der Physik widerspricht, kann es nicht existieren" eher abzuraten, da es als dogmatisch wahrgenommen werde und die weitere argumentative Auseinandersetzung hemme. Die Kommunikation basierend auf der Variante B, "Wenn das Phänomen existiert, ist die Physik bzw. ein Teilgebiet der Physik falsch", gerate leider auch ins Stocken, da die Gründe hierfür schwer zu vermitteln seien. Lambeck zog aufgrund seiner Erfahrung die Aussage "Wenn das Phänomen existiert, ist die Physik grob unvollständig, weil sie das Phänomen nicht kennt" vor und verband sie mit dem Hinweis, dass das Schließen einer solch groben Wissenslücke für Wissenschaft und Wirtschaft von immenser Bedeutung wäre. Anhand von Beispielen aus der Medizin, der Landwirtschaft und der Feng-Shui-Lehre zeigte er, warum für die jeweils angegebenen Funktionsmechanismen die bisher bekannten vier Kräfte der Physik (Schwerkraft, elektromagnetische Kraft, starke und schwache Kraft) zur Erklärung nicht ausreichen. So müssten z. B. sowohl bei der Gedankenübertragung als auch bei der Elektroakupunkturdiagnose nach Voll (EAV) die Informationen einen leeren Raum überwinden, wofür eine bisher unbekannte Kraft benötigt würde. Folgerichtig riet Lambeck zur Intensivierung der Forschung in diesen Feldern, da eine eventuell hierbei zu entdeckende neue Kraft der Physik der einheimischen Wissenschaft und Wirtschaft viel Ruhm einschließlich eines Nobelpreises einbringen könnte.
Den Abschluss der 12. GWUP-Konferenz am Samstag Nachmittag bildete eine Reihe von Seminaren als Parallelveranstaltungen. Dr. Volker Guiard bot einen intensiven Kurs über "Probleme mit der Statistik in den Parawissenschaften" an. Dr. Christoph Bördlein, der Autor des jüngst erschienenen Buches "Das sockenfressende Monster in der Waschmaschine" (siehe Skeptiker 2/02), führte in das kritische Denken ein, und der Lebensmittelchemiker Jochen Bergmann sprang mit einem diskussionsfreudigen Seminar zum Thema "Nahrungsergänzungsmittel" für die leider ausgefallene Veranstaltung über den Mythos der Shaolin-Mönche ein.
So bot die 12. GWUP-Konferenz in Berlin ein breites Spektrum unterschiedlicher Themen. Die 13. GWUP-Konferenz wird abweichend vom üblichen Himmelfahrtswochenende vom (Freitag, dem) 13. bis 14. 6. 2003 in Darmstadt stattfinden.
Angela Andersen, Wirtschaftsingenieurin, Miteigentümerin einer Berliner Karriereberatung, schätzt die GWUP-Themen als "wundervolle" Anreize zur Beschäftigung mit und Diskussion über Wissenschaft und Kultur.
Thomas Andersen, Diplom-Kaufmann, Marketingberater in Berlin, liebt Science-Fiction und hofft, in der Weltraumbar den Skeptiker bald auch an Aliens verkaufen zu können.
Holger v. Rybinski ist gelernter Bibliotheksassistent und glaubt fest daran, dass Skeptizismus der Aufklärung dient - wobei er bei bei Menschen, die ganz fest an etwas glauben, schon wieder skeptisch wird.
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 2/2002.