In der Antike galten Orakel (lat. oraculum = Weissagung) als Aussprüche von Göttern. "Orakel" war aber auch eine Bezeichnung für die heiligen Stätten. Es gab Spruch- und Zeichenorakel (Oepen et al. 1999). Eine ausführlichere Definition lautet: "Unter Orakel verstehen wir jeden Brauch, mit Hilfe eines vom Menschen zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Orten, mit bestimmten Mitteln oder unter bestimmten Bedingungen absichtlich herbeigeführten Vorganges, dessen außerhalb der menschlichen Willenstätigkeit liegendes Ergebnis als Zeichen oder Antwort aufgefasst wird, eine schwebende Angelegenheit zu entscheiden oder noch verhüllte Bezogenheiten und Verflechtungen von Geschehnissen zu enthüllen, um demgemäß sein Verhalten einzurichten.
[...] Wir teilen also ein: Kündung oder Erforschung des Unbekannten [...]:
A. Passive Wahrsagung aus natürlichen Zeichen, ohne Zutun des Menschen, der nur die Deutung unterlegt [...].
B. Aktive Wahrsagung aus vom Menschen absichtlich bewirkten Zeichen [...]:
1. Orakel (die Tätigkeit des Menschen ist kunst- und systemlos);
2. Mantik (der Mensch handelt planmäßig nach scheinbar wissenschaftlichen Verfahren)" (Bächtold-Stäubli 1927/1987, S. 1261).
3. Welche spezielle Methode des Wahrsagens oder welche Hilfsmittel das "magische Medium" verwendet, ist für das Ergebnis bzw. für den Eindruck beim Ratsuchenden zweitrangig. "Eigentlich brauche ich die 'magischen Dinge' gar nicht, aber die Kundschaft wünscht den Hokuspokus", ist die hinter vorgehaltener Hand oft geäußerte Meinung der "Medien". Heutzutage finden bestimmte Methoden wieder häufiger Anwendung, nachdem sie im Laufe der Jahrhunderte völlig verschwunden waren, bis sie im Zuge des härter gewordenen Konkurrenzkampfes auch in dieser Szene wieder ausgegraben und als neu ausgegeben werden. Die Deutung und der daran anschließende Orakelspruch erfolgen aufgrund entsprechender Beobachtungen ...
Aeromantie: ... von atmosphärischen Phänomenen wie Luft, Himmel, Wolkenformen;
Alphitomantie: ... durch Verzehren speziellen Gerstenbrotes;
Astragalomantie: ... von Sprungbein- oder Wirbelknochen von Schafen;
Astrologie: ... der Gestirne;
Austromantie: ... des Windes;
Axinomantie: ... eines Steines, der auf einer glühenden Axt balanciert;
Bellomantie: ... von Pfeilbündeln, des Fluges von Pfeilen;
Botanomantie: ... des Rauchs beim Verbrennen von Wildrosen- oder Eisenkrautzweigen;
Ceromantie: ... von geschmolzenem Wachs, das in kaltes Wasser gegossen wird;
Chalcomantie: ... der Töne, die beim Anschlagen von Metallbecken entstehen;
Chiromantie: ... der Handformen und des Verlaufs von Handlinien;
Chresmomantie: ... des Stammelns einer Person in Ekstase;
Chromniomantie: ... des Wachstums von Zwiebeln;
Daphnomantie: ... der Geräusche, die ins Feuer geworfene Lorbeerzweige beim Verbrennen machen;
Felidomantie: ... des Verhaltens von Katzen;
Floromantie: ... des Wuchses von Pflanzen;
Gelomantie: ... der Art von hysterischem Gelächter;
Geomantie: ... von Sandformen bzw. -malereien, von Linien und Figuren in der Erde;
Gummibärchenorakel: ... der Zahl und Farben von blind aus einem Originalbeutel gezogenen Fruchtgummifiguren (neuzeitliche Form);
Gyromantie: ... des Stammelns eines nach einem wilden Tanz total Erschöpften;
Halomantie: ... des Feuers, in das Salz gestreut wird;
Hepatoskopie: ... des Aussehens und der Beschaffenheit der Leber von Opfertieren;
Hippomantie: ... der Gangart von Pferden bei Prozessionen;
Hydromantie: ... der Bewegung von Quellwasser, in das Gegenstände geworfen werden;
Ichthyomantie: ... des Verhaltens von Fischen bzw. ihrer Eingeweide;
I Ging: ... der Lage von Schafgarbenstängeln zueinander;
Kartomantie: ... von Spielkarten;
Katoptomantie: ... von Bildern, die im Wasser oder im Spiegel entstehen;
Keromantie: ... der Figuren von in Wasser gegossenem Wachs;
Kephalomantie: ... eines gekochten Ziegen- oder Eselskopfes;
Kristallomantie: ... der Art der Spiegelung von und in Kristallen (z.B. auch in Kristallkugeln, in Wasseroberflächen, im Spiegel, in einer Schwertklinge);
Kristallographie: ... Farbe, Form und Lage von Kristallen;
Lekantomantie: ... der akustischen Wirkung von Becken und Schalen;
Lithomantie: ... der Reflexion von Kerzenlicht auf Edelsteinen;
Lychnomantie: ... der Flammenform von leuchtenden Fackeln;
Macharomantie: ... der Lage von Schwertern, Dolchen und Messern;
Metopomantie: ... der Stirnfalten eines Menschen;
Metoskopie: ... der Form der Stirn;
Moleoskopie: ... von Muttermalen;
Myomantie: ... des Verhaltens und der Geräusche von Mäusen und Ratten;
Nephelomantie: ... der Formen und des Zuges von Wolken;
Numerologie: ... des Zusammentreffens von Zahlen bei einem Menschen oder einem Ereignis;
Oenomantie: ... der Farbe und des Geschmacks von Weinen;
Omphalomantie: ... des Aussehens des eigenen Nabels;
Oneiromantie: ... von Träumen und nächtlichen Visionen;
Onychomantie: ... des Widerscheins von Sonnenlicht auf den Fingernägeln;
Ophiomantie: ... des Verhaltens von Schlangen;
Ornithomantie: ... der Formen des Vogelflugs;
Ovomantie: ... der Formen, die beim Tropfen von Eiweiß in Wasser entstehen;
Pedomantie: ... der Form und des Aussehens von Fußsohlen;
Phyllorhodomantie: ... der Geräusche, die entstehen, wenn man Rosenblätter gegen die Hand schlägt;
Psephomantie: ... von Steinwürfen;
Pyromantie: ... der Art der Flammen von Opferfeuern;
Sciomantie: ... der Schatten von Toten (Form, Größe);
Selenomantie: ... der Mondphasen;
Sideromantie: ... der Formen, die entstehen, wenn man trockenes Stroh auf heißes Eisen fallen lässt;
Skapulomantie: ... der Kerben am Schulterknochen eines Tieres, die im Feuer erhitzt wurden;
Splanchomantie: ... der Eingeweide von Opfern;
Sykomantie: ... der Form von getrockneten Feigenblättern;
Tarot/ Tarock: ... der Lage von Karten;
Tasseografie: ... von Kaffeesatz und Teeblättern, nachdem die Flüssigkeit getrunken wurde;
Transataumantie: ... von Ereignissen, die man zufällig sieht oder hört;
Tyromantie: ... von gerinnendem Käse;
Uromantie: ... von Urin;
Vogelfraß: ... des Fressverhaltens von Vögeln;
Xylomantie: ... von dürren Ästen und Zweigen, die man auf seinem Weg findet, von brennenden Holzscheiten oder kleinen Stecken, die der Wahrsager auf den Boden wirft;
Und viele andere Methoden mehr...
Wolfgang Hund
Literatur
- Oepen I, Federspiel K, Sarma A, Windeler J (Hg.) (1999) Lexikon der Parawissenschaften. Lit-Verlag: Münster
- Bächtold-Stäubli H (Hrsg.) (1987) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Band 6. Walter de Gruyter: Berlin
- Cave J, Foreman L (1988) Wahrsagungen und Prophezeiungen. Time-Life : Amsterdam
- Hund W (1996) Okkultismus: Materialien zur kritischen Auseinandersetzung. Verlag an der Ruhr: Mülheim
- Hund W (2000) Falsche Geister - echte Schwindler? Esoterik und Okkultismus kritisch hinterfragt. Echter: Würzburg