Die Psychologie der Séance - Vom Experiment zur Inszenierung
Richard Wiseman, Clive Jeffreys, Matthew Smith und Andy Nyman
Vor einigen Jahren haben wir ein ungewöhnliches Experiment durchgeführt, um die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen und die psychologischen Mechanismen zu untersuchen, die bei Séancen eine Rolle spielen (Wiseman, R., Smith, M., Wiseman, J., „Eyewitness testimony and the paranormal", Skeptical Inquirer Nov./Dec. 1995, 29-32). Mit dem Ziel, die Zuverlässigkeit der Berichte der Teilnehmer abzuschätzen, arrangierten wir drei Séancen mit je 25 Teilnehmern. Alle dabei auftretenden paranormalen Phänomene waren vorgetäuscht.
Während der Séancen saßen die Teilnehmer in einem abgedunkelten Raum um einen kleinen Tisch herum. Ein Buch, eine Handglocke, eine Schiefertafel und eine Rumbarassel, die alle mit Leuchtfarbe bestrichen waren, wurden auf dem Tisch platziert, und die Teilnehmer wurden gebeten, sich auf diese Gegenstände zu konzentrieren, um sie in Bewegung zu versetzen. Mit Hilfe eines kleinen Tricks rollte einer der Gegenstände - die Rassel - über den Tisch und fiel dann zu Boden; alle anderen Gegenstände bewegten sich nicht.
Alle Teilnehmer mussten zwei Fragebögen ausfüllen. Der erste, der vor der Séance beantwortet wurde, fragte nach dem Glauben an das Paranormale, während der zweite, nach der Séance verteilt, die Erfahrungen während des Geschehens abfragte.
27 % der Teilnehmer gaben an, dass sich wenigstens einer der drei tatsächlich unbewegten Gegenstände bewegt habe. Weiterhin berichteten signifikant mehr Gläubige als Ungläubige von einer vermeintlichen Bewegung der unbewegten Objekte, und sie neigten eher dazu, die Phänomene während der Séance als echte paranormale Ereignisse zu interpretieren.
Vorletztes Jahr entschlossen wir uns, die Frage der Beeinflussbarkeit im Séance-Ambiente eingehender zu untersuchen. Einige Forscher meinen, die gemeinhin mit einer Séance verknüpften Umstände (Dunkelheit, Unsicherheit, Furcht etc.) machten die Teilnehmer besonders empfänglich für Beeinflussung, und das Medium könne im Bewusstsein der Beteiligten eine Wirklichkeit erschaffen, indem es während der Sitzung das Auftreten bestimmter Phänomene suggeriere. Wir nahmen uns vor, diese These zu überprüfen.
Unser neues Experiment wurde im März 1997 während einer Tagung durchgeführt, die von der Fortean Times organisiert wurde, einer britischen Zeitschrift, die sich mit einem breiten Spektrum „außergewöhnlicher Erscheinungen" befasst. Diesmal führten wir acht Sitzungen mit jeweils 25 Teilnehmern durch. Wie zuvor füllten alle Testpersonen vor der Séance den gleichen Fragebogen aus. Der Aufbau und die Séance-Gegenstände blieben im Prinzip unverändert; es wurde lediglich ein weiteres Objekt hinzugefügt: ein Ball aus Flechtwerk, der so präpariert war, dass er sich - wie die Rassel im ersten Experiment - bewegen konnte.
Der vierte Autor, Andy Newman, ist Profischauspieler und Zauberkünstler. Er war so freundlich, unser Medium darzustellen, und hielt sich während aller acht Sitzungen an ein vorab erarbeitetes „Drehbuch". Am Anfang bat er die Teinehmer, sich an den Händen zu fassen. Dann gingen alle Lichter aus, und nur die Gegenstände auf dem Tisch blieben sichtbar - dank der Leuchtfarbe, mit der sie bestrichen waren. Die Gruppe wurde zunächst gebeten, sich auf den Ball zu konzentrieren. Langsam stieg er etwa 30 cm auf, schwebte durch den Séance-Raum und kehrte dann auf den Tisch zurück. Dann bat Andy alle Anwesenden, den Tisch durch Gedankenkraft in Bewegung zu versetzen. Der Tisch blieb völlig unbewegt, aber durch ermunternde Bemerkungen suggerierte Andy, dass er tatsächlich schwebe, zum Beispiel: „So ist es gut, hebt den Tisch an; gut so, nicht nachlassen: Haltet den Tisch in der Luft."
Zwei Wochen später erhielten alle Teilnehmer per Post einen Fragebogen zu ihren Erfahrungen während der Séance. Zunächst fragten wir die Leute, ob sie glaubten, mindestens eins der Phänomene, die während der Sitzung auftraten, sei paranormaler Natur. Wie schon beim ersten Experiment zeigte sich, dass der Glaube der Teilnehmer an das Paranormale ihre Deutung dessen, was sie gesehen hatten, beeinflusste: 40 % der Gläubigen meinten, die Levitationen während der Séance seien echte, unverfälschte Para-Erlebnisse. Nur 2,6 % der Ungläubigen waren derselben Meinung.
Die zweite Frage galt der Wirksamkeit der verbalen Beeinflussung. Das Ergebnis war verblüffend: Immerhin 34 % aller Beteiligten gaben an, der Tisch habe sich tatsächlich bewegt.
Und wieder spielte die eigene Einstellung zum Paranormalen eine Schlüsselrolle: 51 % der Ungläubigen, aber nur 31 % der Gläubigen erkannten, dass der Tisch sich nicht bewegt hatte.
Unser Fragbogen bat die Leute auch um Auskunft, ob sie während der Séance irgendwelche ungewöhnlichen Erfahrungen gemacht hatten. Fast jeder Fünfte bestätigte dies; verschiedene seltsame Empfindungen wurden genannt, so ein Frösteln, während man sich auf die Gegenstände konzentrierte, der Eindruck, eine starke Energie ströme im Kreis, und das Gefühl, in der Mitte des Raums, in der Nähe des Tisches halte sich eine Wesenheit auf. 30 % der Gläubigen spürten etwas Derartiges, von den Ungläubigen hingegen nur 8 %.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Gläubigen die durch Trick und Suggestion erzeugten Séance-Phänomene signifikant häufiger als authentisches paranormales Geschehen einstuften als die Ungläubigen. Darüber hinaus war sich mehr als ein Drittel der Teilnehmer sicher, der Tisch habe sich bewegt, und zwar nur aufgrund der spärlichen Kommentare und Anweisungen des „Mediums", und die Empfänglichkeit für solche Suggestionen korrelierte mit dem Glauben an das Paranormale. Und schließlich wussten Gläubige häufiger als Ungläubige von außergewöhnlichen Erfahrungen während der Sitzungen zu berichten.
Am Ende des Experiments verschickten wir einen kurzen Ergebnisbericht an alle Teilnehmer, auf den wir einige bemerkenswerte Antworten erhielten. Manche Leute konnten nicht glauben, dass der Tisch wirklich nicht geschwebt hatte, und spekulierten darüber, ob wir womöglich - ohne es selbst zu bemerken - eine echte paranormale Levitation zustande gebracht hatten. Zum Glück hatten wir alle Séancen per Infrarotkamera gefilmt, und die Durchsicht dieser Aufnahmen zeigte, dass der Tisch tatsächlich während aller Sitzungen auf dem Boden geblieben war!
Andere Teilnehmer ließen uns wissen, dass die ganze Sache sie stark beeindruckt habe und sie Berichten über Séancen und paranormale Erscheinungen nun deutlich skeptischer gegenüberstünden. Diese Reaktionen regten uns an darüber nachzudenken, ob man das Konzept der Trick-Séancen gezielt einsetzen könnte, um den Skeptizismus und das kritische Denken zu fördern. Nach ausführlicher Diskussion entschlossen wir uns, die Séance zu einer Show auszubauen, die für ein breites Publikum geeignet wäre. Und so begann die Produktion von „Séance - ein Abend im Geistertheater".
Die Show wurde entworfen, geschrieben und aufgeführt von Richard Wiseman und Andy Nyman. Die Aufführungen sollten im März 1998 stattfinden, im Rahmen der „British National Science Week". In dieser Woche finden allerorten viele Veranstaltungen statt, die in der Öffentlichkeit das Verständnis für Wissenschaft fördern sollen, und wir hatten das Gefühl, dass unsere Séancen, so ungewöhnlich sie waren, sich gut in diesen Zusammenhang fügten.
Gesucht wurde ein angemessener Schauplatz: im Idealfall klamm, dunstig, düster und ungemütlich. Diese Kriterien erfüllte eine unterirdische Touristenattraktion im Herzen Londons perfekt: das „House of Detention", ein ehemaliges viktorianisches Gefängnis. Sobald unsere Wahl gefallen war, nahmen wir Kontakt zu den Medien auf, einschließlich der BBC-Fernseh- und Rundfunkabteilungen. Es gelang uns, erhebliches Interesse an dem Vorhaben zu wecken.
Fünf Tage lang gaben wir jeweils zwei Abendvorstellungen vor maximal 25 Zuschauern. In der ersten Halbzeit der Show wurde das Publikum durch das Labyrinth der Gefängnisflure geleitet und dabei über die Geschichte der Séancen und die diesbezüglichen Erkenntnisse der modernen Psychologie informiert. Die erste Episode, die Geschichte der Geschwister Fox, wurde in einer dunklen Zelle erzählt. Das Publikum erfuhr, wie die Schwestern in den 1840er Jahren eine Modewelle der Geisterbeschwörung auslösten und wie die Gesellschaftsstruktur jener Zeit dazu beitrug, diese Neuigkeit über ganz Amerika, ja die ganze Welt zu verbreiten.
Die Führung wurde fortgesetzt, und in einer zweiten Zelle wurde dargelegt, dass viele der in der viktorianischen Ära tätigen Berufsmedien Schwindler waren. Dieser Umstand wurde anhand des Lebens und Wirkens von Henry Slade verdeutlicht, dessen Karriere als Medium ein jähes Ende fand, als er mehrfach der Scharlatanerie überführt wurde; er starb völlig mittellos in einem amerikanischen Armenhaus. Die Teilnehmer wurden in einige der Tricks eingeweiht, die Slade benutzt hatte, um Geisterschrift auf Schiefertafeln erscheinen und Geister oder Dinge aus dem Nichts auftauchen zu lassen.
Die nächste Etappe führte wiederum in eine schwach erleuchtete, enge viktorianische Gefängniszelle und diente der Demonstration, warum gerade die Atmosphäre einer Séance die besten Voraussetzungen für Beeinflussungen und leichte Halluzinationen liefert. Hier drehte sich alles um die Geschichte des Mediums D. D. Hume, das einige der beeindruckendsten Séance-Phänomene aller Zeiten zustande gebracht hat, so eine berühmte „Levitation" am Ashley Place in London.
Schließlich führten wir den Zuschauern eine kurze Diashow mit kaum bekannten historischen Fotos vor, die anschaulich machen sollten, dass der Augenzeugenbericht selbst des vermeintlich qualifiziertesten Beiwohners einer Séance alles andere als zuverlässig sein kann. Als Beispiel wählten wir Sir William Crookes' Untersuchung des Mediums Florence Cook. Crookes, ein hervorragender viktorianischer Wissenschaftler von Rang und Namen, hatte sich damals für die Echtheit der Materialisationen und Geisterkontakte von Miss Cook verbürgt. Erst später wurde die Lauterkeit von Crookes' Untersuchung in Frage gestellt: Man beschuldigte die beiden, sich heimlich getroffen und eine außereheliche Affäre gehabt zu haben.
Zu diesem Zeitpunkt hatte das Auditorium also erfahren, dass und wie die besonderen Umstände einer Séance dem Trickbetrug, der Suggestion und der Selbsttäuschung Tür und Tor öffnen. Damit diese Erkenntnisse nicht bloße Theorie blieben, sondern leibhaftig nachvollzogen werden konnten, wurden nun alle Teilnehmer zu einer Zeitreise eingeladen: Sie sollten der theatralischen Rekonstruktion einer viktorianischen Séance beiwohnen.
Rasch führten wir das Publikum durch einen engen Belüftungsschacht ins Kernstück des Gefängnisses. Dort hatte Andy Nyman bereits am Kopf einer langen Tafel Platz genommen, die nur von ein paar Kerzen beleuchtet wurde. Jeder suchte sich einen Sitzplatz, und die Séance konnte beginnen.
Der erste Abschnitt diente dem Aufbau einer spannungsgeladenen Stimmung, wozu unter anderem eine viktorianische Gruselgeschichte erzählt wurde: die Ermordung der Marie Ambrose. Während des Vortrags sollte das Publikum aus einem Packen viktorianischer Fotografien ein Lieblingsbild auswählen, eine alte Taschenuhr auf eine Uhrzeit eigener Wahl einstellen sowie sich eine willkürliche vierstellige Zahl ausdenken. Am Ende der Geschichte legte Andy eine Reportage über den Mordfall aus einer Zeitung der Jahrhundertwende hervor. Das Bild, auf das sich das Publikum geeinigt hatte, entpuppte sich als identisch mit dem Zeitungsfoto des Opfers; die Uhr war auf den Zeitpunkt von Maries Ermordung eingestellt; die vierstellige Zahl entsprach dem Jahr ihres Todes. So eingestimmt, ließ man die Séance beginnen.
Die Gruppe durfte die leuchtenden Gegenstände untersuchen, darunter auch die Rassel, die Handglocke und den Ball aus Flechtwerk, und legte sie dann auf den Tisch. Alle hielten sich bei den Händen, und die Kerzen wurden gelöscht. In totaler Dunkelheit beschwor Andy den Geist der Marie Ambrose herbei. Nach ein paar Minuten bewegten sich die Gegenstände und schwebten, begleitet von atemlosem Keuchen und Schreckensschreien der gebannten Runde, über dem Tisch. Die Phänomene wurden mit einer Mischung verschiedener Tricktechniken erzeugt, die teils um die Jahrhundertwende von betrügerischen Medien eingesetzt, teils im Rahmen unserer eigenen Experimente zur Psychologie der Séance entwickelt worden waren.
Die Show war schnell ausverkauft, und viele Medien berichteten darüber. Vor allem aber zeigte sich, dass diese unorthodoxe und faszinierende Methode, die Vorzüge des Skeptizismus auschaulich zu machen, in der Praxis funktionieren kann. Untersuchungen in Museen deuten darauf hin, dass Mitmach-Exponate zur Wissensvermittlung viel effektiver sind als die klassischen Hinter-Glas-Objekte. Unsere Show knüpft an diese Erkenntnis an: Sie ermöglicht den Besuchern eine äußerst einprägsame Lernerfahrung, die ihnen klarmacht, wie wenig man sich auf vermeintliche Belege paranormaler Erscheinungen verlassen kann.
Wir haben inzwischen zwei groß angelegte Experimente zur Psychologie der Séance hinter uns, deren Ergebnisse in eine bislang einzigartige Initiative einflossen, die breite Öffentlichkeit mit dem Konzept des Skeptizismus vertraut zu machen. Unsere Ergebnisse deuten klar darauf hin, dass Zeugenaussagen oft alles andere als zuverlässig sind und dass die Einstellung der Zeugen zum Paranormalen sowohl ihre Erlebnisse während der Sitzungen als auch ihre Interpretation des Erlebten beeinflusst. Darüber hinaus haben wir erfahren, dass das Konzept der Trick-Séancen ein ansprechendes und effektives Mittel ist, um diese Hauptergebnisse unserer Forschungsarbeit darzustellen und ganz allgemein die Vorzüge einer skeptischen Herangehensweise an paranormale Phänomene zu vermitteln.
(Übersetzung: Andrea Kamphuis. Dieser Artikel erschien erstmals im Skeptical Inquirer 23(2), März/April 1999)
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 4/1999.