Bernd Harder
"Hotel California" (Eagles, 1976)
„Du fährst nachts über diesen Wüsten-Highway, und Du bist müde.
Endlich siehst Du ein Licht, und dann steht sie da im Eingang, und Du denkst:
Das hier könnte der Himmel oder die Hölle sein.
Sie zündet eine Kerze an und zeigt Dir den Weg, und im Korridor hörst Du die Stimmen.
Sie hat einen Mercedes-Benz und viele hübsche Jungs; sie tanzen im Innenhof und Du tanzt mit. Du bestellst Wein, und der Chef sagt, dass es so eine Stimmung seit 1969 nicht mehr gegeben hat.
Aber mitten in der Nacht, beim Champagner unter der verspiegelten Zimmerdecke, wecken Dich wieder diese Stimmen. Und sie sagt, dass alle hier Gefangene sind.
Und in der Kammer des Meisters stechen sie das Tier mit ihren eisernen Messern, aber sie können es nicht töten. Du rennst zur Tür, und der Nachtportier sagt, Du kannst dich jederzeit abmelden, aber niemals wieder gehen ..."
So könnte man aufs Wesentliche verkürzt den weltberühmten Song „Hotel California" von den „Eagles" übersetzen (nach www.industrial-technology-and-witchcraft.de). Ein Titel, der in der einschlägigen „Aufklärungs"-Literatur immer wieder als Beispiel für den unheilvollen Einfluss des Satanismus auf die Rockmusik genannt wird. Wieso?
Da ist einmal die mystische Symbol- Mixtur mit Anspielungen auf „das Biest/Tier" („But they just can't kill the beast") und auf das Jahr 1969 („We haven't had that spirit here since nineteen sixty-nine"). In der Johannes-Offenbarung ist „The Beast" („das große Tier") der Antichrist, und im Jahr 1969 schrieb der Gründer der amerikanischen Satanskirche, Anton LaVey, die „Satanische Bibel".
LaVey soll zum anderen auch auf dem Cover des 1976er-Albums „Hotel California" zu sehen sein, als dunkle Gestalt am Fenster im ersten Stock eines seltsamen Gebäudes – angeblich das Hauptquartier der „Church of Satan" in Kalifornien. Doch in Wahrheit zeigt die Plattenhülle das „Beverly Hills Hotel" auf dem Sunset Boulevard (auch bekannt als „The Pink Palace"), und die satanistische Interpretation ist nur eine von mehreren Lesarten des Jahrhundert-Songs der „Eagles".
Anderen Gerüchten zufolge befindet sich das unheimliche „Hotel California" in Mexiko, und zwar in der Kleinstadt Todos Santos unweit der Pazifikküste, zirka eine Autostunde südlich von La Paz. Das ist im Prinzip auch richtig, allerdings wurde das „Hotel California" in Todos Santos erst eröffnet, nachdem die „Eagles" den gleichnamigen Song geschrieben hatten.
Oder handelt „Hotel California" von einer psychiatrischen Klinik nahe Los Angeles, dem berüchtigten „Camarillo State Hospital", das 1997 geschlossen wurde? Oder aber kitzelt das Lied die unterschwelligen Ängste mancher Amerikaner, in der menschenleeren Einöde entlang der endlosen Highways in ein Kannibalen-Nest zu geraten – wovon zum Beispiel auch Filme wie „Hotel zur Hölle", „Hügel der blutigen Augen" oder „Das Kettensägenmassaker" handeln? Nichts von alledem.
„Eagles"-Schlagzeuger Don Henley erklärte 1995 gegenüber der Zeitung San Francisco Chronicle, „Hotel California" habe den damaligen Zeitgeist eingefangen – nach Don Henleys Ansicht eine „Ära der Exzesse, vor allem in der Musikindustrie". Der „Eagles"-Hit sei als ein Song über die Korruption in der dekadenten Musikszene von Los Angeles und über den „Verlust der Unschuld" der Band zu verstehen. Das „Hotel California" stehe symbolisch für einen goldenen Käfig, den die Musiker freiwillig betreten hätten, um dann später feststellen zu müssen, dass sie nie wieder da herauskommen. „Es ist eine Metapher für talentierte, aber auch weltfremde Künstler, die sich im glitzernden Spinnennetz der Musikindustrie verfangen. Das ist das Thema des gesamten ,Hotel-California'-Albums: der Überdruss am Leben auf der Überholspur."
"Sympathy for the Devil" (Rolling Stones, 1968)
Auch an „Sympathy for the devil" von den „Rolling Stones" entzündet sich immer wieder der simplifizierende Trivialmythos von der Rockmusik als Sprachrohr des Teufels. Wieso eigentlich? Sehen wir uns den Text des Songs von der 1968er-LP „Beggar's Banquet" einmal näher an:
„Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle: Ich bin ein Mann von Welt und Stil.
Ich gehe schon seit vielen Jahren um, raubte vielen Menschen die Seele und den Glauben.
Ich war dabei, als Jesus Christus seinen Moment der Qual und des Zweifels hatte.
Ich stellte sicher, dass Pilatus seine Hände in Unschuld wusch und Jesu Schicksal damit besiegelte.
Ich freue mich nun, Sie kennen zu lernen – ich hoffe, Sie erraten meinen Namen.
Denn das, was Ihnen so rätselhaft vorkommt, ist eben die Art und Weise, wie ich mein Geschäft betreibe.
Ich schlich herum in St. Petersburg, als ich sah, dass es Zeit für einen Wechsel war.
Ich tötete den Zaren und seine Minister, Anastasia schrie vergeblich.
Ich fuhr einen Panzer und hatte den Rang eines Generals, als der Blitzkrieg tobte und die Leichen stanken.
Ich sah mit Freude, wie eure Königinnen und Könige mehr als zehn Dekaden lang um ihre selbst geschaffenen Götter kämpften.
Ich schrie: „Wer hat die Kennedys ermordet? Waren es eigentlich nicht du und ich?"
Alles in allem waren es wohl du und ich.
Darf ich mich Ihnen vorstellen: Ich bin ein Mann von Welt und Stil.
Und ich legte Fallen für die fahrenden Sänger, die getötet wurden, bevor sie Bombay erreichten.
So wie jeder Polizist ein Verbrecher ist und alle Sünder heilig sind,
so wie Kopf Zahl ist, nennen Sie mich einfach Luzifer,
denn mir gegenüber ist Zurückhaltung angebracht.
Also, wenn Sie mich treffen, zeigen Sie etwas Höflichkeit, etwas Mitleid und Geschmack.
Lernen Sie Diplomatie – sonst werde ich Ihre Seele übel verwüsten."
Neben Anspielungen auf die „Beatles" (die „fahrenden Sänger" in Strophe zwei und die große Konkurrenz der „Stones") handelt „Sympathy for the devil" vom Wirken des Teufels durch die Weltgeschichte hindurch.
Das bedeutet indes mitnichten, dass die „Rolling Stones" besondere Sympathien für das Böse hegten – sondern der Song ist die musikalische Umsetzung eines Romans der Weltliteratur, nämlich „Der Meister und Margarita" von Michail Bulgakow.
In der Absicht, den „real existierenden" Sozialismus ad absurdum zu führen, schildert das 1940 erschienene Buch einen Besuch des Teufels im stalinistischen Moskau, der durch die Jahrhunderte eilt und sich nun daran macht, die erstarrte Sowjetunion „aufzumischen". Mick Jagger und seine Mannen nahmen Satan als Symbol für eine Art Kollektivzweifel am „heilen", selbstgerechten Westen und der Materialismusgläubigkeit her. Und sie sangen nicht deshalb vom Teufel, weil sie an ihn glaubten, sondern weil die große Mehrheit der Amerikaner, Engländer und (mit Verspätung) der Deutschen darüber empört war, dass sie von ihm sangen. Das laszive Beckenkreisen eines Elvis Presley und dessen erotisch angehauchte Belanglosigkeiten waren Ende der 1960er-Jahre längst out. Wer provozieren wollte, musste neue Tabus suchen und brechen.
Unbestritten ist, dass okkulte Strömungen bei „Rolling Stones"-Boss Mick Jagger privat durchaus eine Zeitlang auf Interesse stießen. So pflegte Jagger in den 1960ern Kontakte zu dem Underground-Filmer Kenneth Anger, dessen Werke stark okkult-mystisch geprägt waren. Aber Ende 1969 brach Jagger seine Mitarbeit an Angers Streifen „Lucifer Rising" ab. Kurz zuvor, am 6. Dezember, hatte es während eines „Stones"Konzerts in Altamont einen tragischen Zwischenfall gegeben: Vor der Bühne töteten Mitglieder der Rockergang „Hell's Angels" den 18-jährigen Schwarzen Meredith Hunter.
Wie ernst es Jagger bis dahin mit Satanismus gewesen war, lässt sich kaum beantworten. Fest steht: Nach Altamont wollte er von der „schöpferischen" Gesetzlosigkeit und Gottgleichheit des Individuums, das der moderne Neo-Satanismus predigt, nichts mehr wissen. Über Kenneth Anger sagte Jagger später: „Ich dachte, dass er wirklich Talente als Filmemacher hatte, aber seine ganze religiöse Erfahrung war große Scheiße."