Nachgefragt: Plesiosaurier in Neuseeland?
Stephan Matthiesen
Vor einigen Jahren soll von einem japanischen Fischerboot ein gut erhaltener Kadaver eines Plesiosaurus gefunden worden sein, obwohl diese Tiere doch seit Jahrmillionen ausgestorben sind. Dieser sensationelle Fund sei dann aber wieder über Bord geworfen worden, weil dem Kapitän die gefangenen Fische wichtiger waren. Stimmt das?
Tatsächlich ging am 25. 4. 1977 dem japanischen Fangboot „Zuiyo-maru" etwa 30 Seemeilen (50 km) östlich von Christchurch, Neuseeland, ein etwa 10 m langer, 2 Tonnen schwerer, halb verwester Kadaver eines Tieres ins Netz, das niemand an Bord identifizieren konnte. Es wurde wieder ins Meer geworfen, doch hatte der Produktionsmanager Michihiko Yano vorher die Gelegenheit, einige Größenmessungen durchzuführen, Gewebeproben zu nehmen und eine Kamera auszuleihen. Seine fünf Fotos erregten bald Aufsehen in der Weltpresse: Der anscheinend lange, dünne Hals des Tieres erinnerte an einen Plesiosaurus - eine Interpretation, die auch die Fischereigesellschaft bei ihrer Pressekonferenz am 20.07.1977 vertrat. Die japanische Zeitung Asahi Shinbun zitierte den Leiter der Tierforschungsabteilung des nationalen Wissenschaftsmuseums in Tokyo, Prof. Yoshinori Imaizumi, mit den Worten: „Es ist kein Fisch, Wal oder anderes Säugetier.(...) Es sieht einem Plesiosaurus sehr ähnlich." Auch Washington Post, Boston Globe, New York Times, New Scientist und andere berichteten über den Fund. „Seit Godzilla hatte kein Monster Japan so im Griff" (Glen Kuban). Spielzeughersteller brachten Modelle auf den Markt, am 2. 11. erschien eine japanische Plesiosaurus-Briefmarke, und sogar der Hersteller von Yanos Kamera warb mit den „Seemonster"-Fotos.
Was war dieses Tier? Michihiko Yano selbst sah es offenbar als Plesiosaurus. Seine Skizze des Tieres zeigt deutlich einen Plesiosaurus und trägt die Beschreibung „Fang eines Nessie-ähnlichen Kadavers". Allerdings: Die Skizze wurde erst zwei Monate nach dem Fang aus dem Gedächtnis angefertigt, und sie widerspricht in einigen Details den Fotos - so fehlt etwa die auf einem der Fotos sichtbare Rückenflosse.
Eine Lösung des Rätsels kam im Juli 1978 ans Licht, als eine Arbeitsgruppe in einem Report für die Societé Franco-Japonaise d'Océanographie die Ergebnisse umfangreicher Untersuchungen veröffentlichte: Alles deutet auf einen Riesenhai! Die Analyse der Gewebeproben mit verschiedenen Methoden zeigen, dass das Gewebe von einem Hai stammt. Gegen einen Plesiosaurier sprechen verschiedene anatomische Details der Fotos und der Skizze: So haben Plesiosaurier mindestens 13 Halswirbel, während der Kadaver „6 oder 7" (Yano) hatte. Auch die Form des Kopfes, die Bänder entlang der Wirbelsäule, die Rückenflosse und andere Merkmale passen zu einem Hai, aber nicht zu einem Reptil und keinesfalls zu einem Plesiosaurus.
Was aber ist mit dem langen, dünnen Hals, der für einen Hai so untypisch ist? Der Riesenhai (Cetorhinus maximus) ernährt sich von Plankton, indem er mit weit offenem Maul gemächlich unter der Wasseroberfläche schwimmt und das Plankton durch den riesigen Kiemenapparat filtert. Daher ist der Unterkiefer und der Kiemenapparat nur schwach am Rest des Körpers befestigt und geht meist als Erstes verloren, wenn das Tier verwest. Übrig bleibt die Halswirbelsäule mit dem relativ kleinen Schädel, was dem Kadaver ein „Nessie-ähnliches" Erscheinungsbild gibt. Dieses Phänomen ist seit langem bekannt und hat dem Riesenhai bereits den Spitznamen „Pseudoplesiosaurus" (Cohen, D.: The Encyclopedia of Monsters, New York 1982) eingebracht.
Zwar waren vorläufigen Ergebnisse der Gewebeproben bereits am 25. 7. 1977, wenige Tage nach der Veröffentlichung der Fotos, der Öffentlichkeit vorgestellt worden, und kritische Biologen hatten früh auf die Möglichkeit einer Verwechslung mit einem Riesenhai hingewiesen. Die Monsterbegeisterung störte dies jedoch nicht, und auch die Analyse von 1978 wurde kaum beachtet. Vor allem in der kreationistischen Literatur lebt er als ungelöstes Rätsel weiter, das angeblich der Evolutionstheorie widerspricht: Glen Kuban führt 19 Publikationen aus der Zeit zwischen 1984 und 1997 auf, die den Kadaver als Plesiosaurus bezeichnen - die meisten scheinen, so Kuban, die Ergebnisse der Untersuchung gar nicht zu kennen (Kuban: Sea-monster or Shark? Report of the National Center for Science Education, 17(3), May/June 1997, 16-28).
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 1/2000.